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Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Der Notar in der Falle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–43. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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nur schönes Wetter haben, aber es wird kaum sein. -- Allerdings machte der Himmel trübe Miene, und alle Regenzeichen waren so sichtlich da, daß man vergeblich gegen sie ein Auge zuzudrücken versuchte. Luise dachte weder an Barometer, noch an Regen, noch an Sonnenschein, das kümmerte sie all nichts, wenn es nur bald fünf Uhr früh geschlagen hätte, um welche Stunde man abfahren wollte. Frau Spendvögtin war auch aufgestanden aus Angst wegen Luisens Vergeßlichkeit, sie wäre im Stande das Hemd über den Rock anzuziehen und die Nachthaube auf dem Kopf zu behalten, hatte sie gesagt. Die Tante hatte nicht Unrecht. Marei, sagte sie zu der Magd, geh mit, sonst läuft sie zum Bernthor statt zum andern, und wart' bis sie wirklich in der Kutsche sitzt, sonst setzt sie sich hinten aufs Brett oder vornen auf den Bock. Wie es den ganzen Tag gehen soll, das weiß der himmlische Vater, ich darf nicht daran denken. Wenn du nicht so mager wärest, so hättest müssen zu Ader lassen, und bessert es nicht, so muß es mir wenigstens geschröpft sein. -- Der Regen kam bachweise vom Himmel, aber das kümmerte Luise hell nichts; so tapfer war die alte Garde nicht aus Rußland marschirt, als Luise an diesem Morgen durch Dick und Dünn. Auf dem Sammelplatz machten alle Ankommenden grämliche Gesichter, und so Mancher als kam, sagte: Es regnet. Bei Jedem ging das Werweisen von Neuem an, ob es den ganzen Tag regnen, oder am Mittag oder am Abend das Wetter sich aufheitern werde? Luise allein hatte heute zum ersten Male etwas Ausgezeichnetes, sie machte ein glückliches Gesicht, jammerte über den Regen nicht, zuckte beständig, wenn sie reden wollte, mit den Füßen, als setzte sie zum Tanzen oder Hüpfen an, und sagte gewöhnlich, das Wetter dünke sie nicht so schlimm, und sei man einmal in der Kutsche, so merke man es nicht, regne es oder scheine die Sonne. Da trat ein schön geputzter Herr an sie und sagte: es sei schön von ihr, daß sie den Muth nicht verliere, und wenn es regne, sei man eigentlich viel heimeliger beisammen. Es freue ihn

nur schönes Wetter haben, aber es wird kaum sein. — Allerdings machte der Himmel trübe Miene, und alle Regenzeichen waren so sichtlich da, daß man vergeblich gegen sie ein Auge zuzudrücken versuchte. Luise dachte weder an Barometer, noch an Regen, noch an Sonnenschein, das kümmerte sie all nichts, wenn es nur bald fünf Uhr früh geschlagen hätte, um welche Stunde man abfahren wollte. Frau Spendvögtin war auch aufgestanden aus Angst wegen Luisens Vergeßlichkeit, sie wäre im Stande das Hemd über den Rock anzuziehen und die Nachthaube auf dem Kopf zu behalten, hatte sie gesagt. Die Tante hatte nicht Unrecht. Marei, sagte sie zu der Magd, geh mit, sonst läuft sie zum Bernthor statt zum andern, und wart' bis sie wirklich in der Kutsche sitzt, sonst setzt sie sich hinten aufs Brett oder vornen auf den Bock. Wie es den ganzen Tag gehen soll, das weiß der himmlische Vater, ich darf nicht daran denken. Wenn du nicht so mager wärest, so hättest müssen zu Ader lassen, und bessert es nicht, so muß es mir wenigstens geschröpft sein. — Der Regen kam bachweise vom Himmel, aber das kümmerte Luise hell nichts; so tapfer war die alte Garde nicht aus Rußland marschirt, als Luise an diesem Morgen durch Dick und Dünn. Auf dem Sammelplatz machten alle Ankommenden grämliche Gesichter, und so Mancher als kam, sagte: Es regnet. Bei Jedem ging das Werweisen von Neuem an, ob es den ganzen Tag regnen, oder am Mittag oder am Abend das Wetter sich aufheitern werde? Luise allein hatte heute zum ersten Male etwas Ausgezeichnetes, sie machte ein glückliches Gesicht, jammerte über den Regen nicht, zuckte beständig, wenn sie reden wollte, mit den Füßen, als setzte sie zum Tanzen oder Hüpfen an, und sagte gewöhnlich, das Wetter dünke sie nicht so schlimm, und sei man einmal in der Kutsche, so merke man es nicht, regne es oder scheine die Sonne. Da trat ein schön geputzter Herr an sie und sagte: es sei schön von ihr, daß sie den Muth nicht verliere, und wenn es regne, sei man eigentlich viel heimeliger beisammen. Es freue ihn

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T09:45:11Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T09:45:11Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: nein; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Der Notar in der Falle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–43. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_notar_1910/18>, abgerufen am 28.03.2024.