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Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Der Notar in der Falle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–43. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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wieder ausgepackt werden sollen. Das ist nun wieder mit Beschwerden verbunden, indessen alle Glieder sind ganz geblieben, sogar die Haut, und wenn sie schon starke Eindrücke empfangen hat: wer sagt uns, daß starke Eindrücke immer unangenehm sind? Freilich, die Garderobe der Damen ist nicht mehr ganz so frisch, sieht gerunzelt aus, wie alte Zigeunergesichter. Indessen die Damen geben schon nicht mehr so viel darauf, die sind überzeugt, die im Wagen entfaltete Liebenswürdigkeit bedeckt unendlich viele Falten, und mit Hauchen und Dämpfen kann man viel nachhelfen, Krummes gerade machen, Zerknittertes wieder blank. In unendlichem Glück war Luise neben dem Notar gesessen, die ganze Fahrt war ihr ein himmlischer Augenblick. Sie ahnete, wie vor Gott tausend Jahre wie ein Augenblick sein können, jetzt da vier Stunden neben einem Notar zu einem Moment zusammenstoßen. Nun, wie es bei einer Hochzeit vor dem Kirchengehn zugeht, weiß Jedermann. Es ist der zweite Aufzug des Schauspiels, welches beim Einsteigen aufgeführt wurde, es ist eine respective Unordnung. Die Einen kommen nie zum Frühstück, die Andern kommen nie davon, man wird nie fertig. Der Sigrist würde aus der Haut fahren, wenn nicht die Neugierde, wie groß das ihm gespendete Trinkgeld sein würde, ihn zurückhielte. In der Kirche ging's ebenfalls wie üblich; einige Freundinnen der Braut weinten, die Freunde des Bräutigams dagegen blieben hölzern und unempfindlich, woran aber weder die Kirche noch der Pfarrer schuld sind. Von wegen, jaget Kameele, Büffel, Bisonochsen, Elephanten, ja Rhinocerosse und Giraffen in eine Kirche und laßt einen Pfarrer beten und predigen, so streng er mag: weder Giraffen, noch Rhinocerosse, noch Elephanten, noch Bisonochsen, Büffel, Kameele und anderes Hornvieh wird was Anderes denken, als wenn es nur wieder raus wäre, und nichts Anderes im Auge haben als das Loch, wo es hinein kam, und wenn das nicht mehr sichtbar ist, nach einem andern spähen, wo es wieder 'raus kann. Luise war unter den Weinenden, ihr

wieder ausgepackt werden sollen. Das ist nun wieder mit Beschwerden verbunden, indessen alle Glieder sind ganz geblieben, sogar die Haut, und wenn sie schon starke Eindrücke empfangen hat: wer sagt uns, daß starke Eindrücke immer unangenehm sind? Freilich, die Garderobe der Damen ist nicht mehr ganz so frisch, sieht gerunzelt aus, wie alte Zigeunergesichter. Indessen die Damen geben schon nicht mehr so viel darauf, die sind überzeugt, die im Wagen entfaltete Liebenswürdigkeit bedeckt unendlich viele Falten, und mit Hauchen und Dämpfen kann man viel nachhelfen, Krummes gerade machen, Zerknittertes wieder blank. In unendlichem Glück war Luise neben dem Notar gesessen, die ganze Fahrt war ihr ein himmlischer Augenblick. Sie ahnete, wie vor Gott tausend Jahre wie ein Augenblick sein können, jetzt da vier Stunden neben einem Notar zu einem Moment zusammenstoßen. Nun, wie es bei einer Hochzeit vor dem Kirchengehn zugeht, weiß Jedermann. Es ist der zweite Aufzug des Schauspiels, welches beim Einsteigen aufgeführt wurde, es ist eine respective Unordnung. Die Einen kommen nie zum Frühstück, die Andern kommen nie davon, man wird nie fertig. Der Sigrist würde aus der Haut fahren, wenn nicht die Neugierde, wie groß das ihm gespendete Trinkgeld sein würde, ihn zurückhielte. In der Kirche ging's ebenfalls wie üblich; einige Freundinnen der Braut weinten, die Freunde des Bräutigams dagegen blieben hölzern und unempfindlich, woran aber weder die Kirche noch der Pfarrer schuld sind. Von wegen, jaget Kameele, Büffel, Bisonochsen, Elephanten, ja Rhinocerosse und Giraffen in eine Kirche und laßt einen Pfarrer beten und predigen, so streng er mag: weder Giraffen, noch Rhinocerosse, noch Elephanten, noch Bisonochsen, Büffel, Kameele und anderes Hornvieh wird was Anderes denken, als wenn es nur wieder raus wäre, und nichts Anderes im Auge haben als das Loch, wo es hinein kam, und wenn das nicht mehr sichtbar ist, nach einem andern spähen, wo es wieder 'raus kann. Luise war unter den Weinenden, ihr

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[0021] wieder ausgepackt werden sollen. Das ist nun wieder mit Beschwerden verbunden, indessen alle Glieder sind ganz geblieben, sogar die Haut, und wenn sie schon starke Eindrücke empfangen hat: wer sagt uns, daß starke Eindrücke immer unangenehm sind? Freilich, die Garderobe der Damen ist nicht mehr ganz so frisch, sieht gerunzelt aus, wie alte Zigeunergesichter. Indessen die Damen geben schon nicht mehr so viel darauf, die sind überzeugt, die im Wagen entfaltete Liebenswürdigkeit bedeckt unendlich viele Falten, und mit Hauchen und Dämpfen kann man viel nachhelfen, Krummes gerade machen, Zerknittertes wieder blank. In unendlichem Glück war Luise neben dem Notar gesessen, die ganze Fahrt war ihr ein himmlischer Augenblick. Sie ahnete, wie vor Gott tausend Jahre wie ein Augenblick sein können, jetzt da vier Stunden neben einem Notar zu einem Moment zusammenstoßen. Nun, wie es bei einer Hochzeit vor dem Kirchengehn zugeht, weiß Jedermann. Es ist der zweite Aufzug des Schauspiels, welches beim Einsteigen aufgeführt wurde, es ist eine respective Unordnung. Die Einen kommen nie zum Frühstück, die Andern kommen nie davon, man wird nie fertig. Der Sigrist würde aus der Haut fahren, wenn nicht die Neugierde, wie groß das ihm gespendete Trinkgeld sein würde, ihn zurückhielte. In der Kirche ging's ebenfalls wie üblich; einige Freundinnen der Braut weinten, die Freunde des Bräutigams dagegen blieben hölzern und unempfindlich, woran aber weder die Kirche noch der Pfarrer schuld sind. Von wegen, jaget Kameele, Büffel, Bisonochsen, Elephanten, ja Rhinocerosse und Giraffen in eine Kirche und laßt einen Pfarrer beten und predigen, so streng er mag: weder Giraffen, noch Rhinocerosse, noch Elephanten, noch Bisonochsen, Büffel, Kameele und anderes Hornvieh wird was Anderes denken, als wenn es nur wieder raus wäre, und nichts Anderes im Auge haben als das Loch, wo es hinein kam, und wenn das nicht mehr sichtbar ist, nach einem andern spähen, wo es wieder 'raus kann. Luise war unter den Weinenden, ihr

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T09:45:11Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T09:45:11Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: nein; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Der Notar in der Falle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–43. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_notar_1910/21>, abgerufen am 28.03.2024.