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Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Der Notar in der Falle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–43. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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recht, wie es sein mußte, nur leider eines nicht: die Stimmung der männlichen Bevölkerung; diese unterlag leider dem Zeitgeiste, war nicht sentimental, nicht liebenswürdig, d. h. liebedurstig, sondern patriotisch und freisinnig. Es wurde gesungen und zwar stark, daß man das Rasseln der Wagen, das Knallen der Peitschen nicht hörte. "Ho, ho, ihr Schützenbrüder" und "laßt die Fahnen wehen", das sind Lieder, welche Liebesmucken vertreiben, blutdürstig machen und schlachtensüchtig. Paff, Paff! jagte ein Lied das andere, und wenn man wegen dem Verschnaufen Pausen machen mußte, so brach der Muth in Prosa aus, und absonderlich der Notar erzählte von seinen Heldenthaten, welche er zu verrichten gedachte, und wie er sich lieber zu Kraut und Rüben verhacken, zu Pulver verstoßen ließe, als sich gefangen geben. Schieße man ihm die Beine ab, so stelle er sich an einen Baum und schlage mit dem Säbel drein; haue man ihm die Arme ab, so lade er Flinten und Pistolen mit den Füßen und schieße fort wie's Wetter, oder renne mit dem Kopf die Leute vor die Bäuche; so könne man ganze Regimenter sprengen. Er legte eine Gesinnung, eine Tapferkeit an den Tag, daß es Luise ganz kalt den Rücken auflief, daß sie ausrief einmal über das andere: O nein doch, ach nein doch, schweiget doch, es wird mir weh! Sie sah ihren schönen Notar schon ohne Beine, ohne Arme, mit dem Kopf im Bauche eines dicken Jesuiten oder eines Oesterreichers stecken wie eine Kanonenkugel in einer Mauer. In dieser patriotischen Begeisterung ging jede Privatstimmung unter, wie billig, und diese Begeisterung war so hartnäckig und schwunghaft, daß sie nicht verflog, als man aus dem Wagen stieg, sondern daß sie in immer lichtere Flammen ausbrach, als der Notar Luise durch Dick und Dünn, Nacht und Graus zu ihrer Wohnung geleitete. Er erzählte Luisen, wie er das Vaterland liebe, was er schon Alles für dasselbe gethan und noch thun wolle, wenn dasselbe auch noch nichts für ihn gethan hätte. Undank sei der Welt Lohn. Aber es komme doch die Zeit, wo man ihn erkennen

recht, wie es sein mußte, nur leider eines nicht: die Stimmung der männlichen Bevölkerung; diese unterlag leider dem Zeitgeiste, war nicht sentimental, nicht liebenswürdig, d. h. liebedurstig, sondern patriotisch und freisinnig. Es wurde gesungen und zwar stark, daß man das Rasseln der Wagen, das Knallen der Peitschen nicht hörte. „Ho, ho, ihr Schützenbrüder“ und „laßt die Fahnen wehen“, das sind Lieder, welche Liebesmucken vertreiben, blutdürstig machen und schlachtensüchtig. Paff, Paff! jagte ein Lied das andere, und wenn man wegen dem Verschnaufen Pausen machen mußte, so brach der Muth in Prosa aus, und absonderlich der Notar erzählte von seinen Heldenthaten, welche er zu verrichten gedachte, und wie er sich lieber zu Kraut und Rüben verhacken, zu Pulver verstoßen ließe, als sich gefangen geben. Schieße man ihm die Beine ab, so stelle er sich an einen Baum und schlage mit dem Säbel drein; haue man ihm die Arme ab, so lade er Flinten und Pistolen mit den Füßen und schieße fort wie's Wetter, oder renne mit dem Kopf die Leute vor die Bäuche; so könne man ganze Regimenter sprengen. Er legte eine Gesinnung, eine Tapferkeit an den Tag, daß es Luise ganz kalt den Rücken auflief, daß sie ausrief einmal über das andere: O nein doch, ach nein doch, schweiget doch, es wird mir weh! Sie sah ihren schönen Notar schon ohne Beine, ohne Arme, mit dem Kopf im Bauche eines dicken Jesuiten oder eines Oesterreichers stecken wie eine Kanonenkugel in einer Mauer. In dieser patriotischen Begeisterung ging jede Privatstimmung unter, wie billig, und diese Begeisterung war so hartnäckig und schwunghaft, daß sie nicht verflog, als man aus dem Wagen stieg, sondern daß sie in immer lichtere Flammen ausbrach, als der Notar Luise durch Dick und Dünn, Nacht und Graus zu ihrer Wohnung geleitete. Er erzählte Luisen, wie er das Vaterland liebe, was er schon Alles für dasselbe gethan und noch thun wolle, wenn dasselbe auch noch nichts für ihn gethan hätte. Undank sei der Welt Lohn. Aber es komme doch die Zeit, wo man ihn erkennen

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[0025] recht, wie es sein mußte, nur leider eines nicht: die Stimmung der männlichen Bevölkerung; diese unterlag leider dem Zeitgeiste, war nicht sentimental, nicht liebenswürdig, d. h. liebedurstig, sondern patriotisch und freisinnig. Es wurde gesungen und zwar stark, daß man das Rasseln der Wagen, das Knallen der Peitschen nicht hörte. „Ho, ho, ihr Schützenbrüder“ und „laßt die Fahnen wehen“, das sind Lieder, welche Liebesmucken vertreiben, blutdürstig machen und schlachtensüchtig. Paff, Paff! jagte ein Lied das andere, und wenn man wegen dem Verschnaufen Pausen machen mußte, so brach der Muth in Prosa aus, und absonderlich der Notar erzählte von seinen Heldenthaten, welche er zu verrichten gedachte, und wie er sich lieber zu Kraut und Rüben verhacken, zu Pulver verstoßen ließe, als sich gefangen geben. Schieße man ihm die Beine ab, so stelle er sich an einen Baum und schlage mit dem Säbel drein; haue man ihm die Arme ab, so lade er Flinten und Pistolen mit den Füßen und schieße fort wie's Wetter, oder renne mit dem Kopf die Leute vor die Bäuche; so könne man ganze Regimenter sprengen. Er legte eine Gesinnung, eine Tapferkeit an den Tag, daß es Luise ganz kalt den Rücken auflief, daß sie ausrief einmal über das andere: O nein doch, ach nein doch, schweiget doch, es wird mir weh! Sie sah ihren schönen Notar schon ohne Beine, ohne Arme, mit dem Kopf im Bauche eines dicken Jesuiten oder eines Oesterreichers stecken wie eine Kanonenkugel in einer Mauer. In dieser patriotischen Begeisterung ging jede Privatstimmung unter, wie billig, und diese Begeisterung war so hartnäckig und schwunghaft, daß sie nicht verflog, als man aus dem Wagen stieg, sondern daß sie in immer lichtere Flammen ausbrach, als der Notar Luise durch Dick und Dünn, Nacht und Graus zu ihrer Wohnung geleitete. Er erzählte Luisen, wie er das Vaterland liebe, was er schon Alles für dasselbe gethan und noch thun wolle, wenn dasselbe auch noch nichts für ihn gethan hätte. Undank sei der Welt Lohn. Aber es komme doch die Zeit, wo man ihn erkennen

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T09:45:11Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T09:45:11Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: nein; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Der Notar in der Falle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–43. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_notar_1910/25>, abgerufen am 29.03.2024.