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Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Der Notar in der Falle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–43. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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sie alle noch gleich glücklich, ja Luise schöner, als sie in ihrem Leben je gewesen war. Ihr herrlicher Notar hatte ihr so oft gesagt, daß sie sein Ein und Alles, sein Leben und seine Freude sei, daß in dem guten Mädchen ein gewisses Selbstbewußtsein erwacht war, welches ihr Muth und Haltung gab, sichern Blick und festere Stimme. Sie war eine Andere, wenn man sie ansah, erst jetzt sah man, daß ihr Gesicht auch Züge hatte, daß Augen darin waren und zwar nicht so üble. Katzen thun bekanntlich am neunten Tage die Augen auf. Luise war dreimal neun Jahre alt geworden, ehe sie die Kunst lernte. Hörte man sie reden, so war Sinn in ihren Worten, worüber nicht bloß die Spendvögtin erstaunte, sondern auch der Notar, welcher von Amtswegen und sonst nicht gewohnt war, mit Worten umzugehen, welche allemal Sinn hatten. Man sagt immer, Lebloses könne den Menschen nicht beleben, sondern bloß Gott könne es, und doch war es der Notar Stößli, welcher Luise belebt hatte. Hatte er nicht Ursache stolz zu sein und zwar wie ein Gott?

Sie verbrachten einen hellen, glücklichen Tag, hatten große Freude an einander, keine Wolke stand am Himmel, kein Unfall begegnete ihnen, sie hatten ein sehr gut Mittagessen, bekamen eine billige Zeche, und die Wirthin hatte der Frau Spendvögtin ihren Spendvogt noch gekannt, erzählte ihr, wie derselbe ein braver Herr gewesen und allen Leuten lieb, und so ein Lustiger! Gspäßlein habe Keiner gewußt wie er; wie sie alle so sein sollten, aber nicht mehr so seien, absonderlich jetzt. Der Tag verrann, sie wußten nicht wie, viel kürzer, als wenn große Gesellschaft gewesen wäre, wo es so oft geschieht, daß, je größer die Gesellschaft ist, desto weniger man was mit einander anzufangen weiß.

Da in der Eile Herr Stößli keine anständige Behausung herstellen konnte -- bisher hatte er nur eine Schreibstube gehabt und Kost und Logis in einem Wirthshause, -- so hatte Tante Spendvögtin, zum heillosen Aerger der Verwandten, dem

sie alle noch gleich glücklich, ja Luise schöner, als sie in ihrem Leben je gewesen war. Ihr herrlicher Notar hatte ihr so oft gesagt, daß sie sein Ein und Alles, sein Leben und seine Freude sei, daß in dem guten Mädchen ein gewisses Selbstbewußtsein erwacht war, welches ihr Muth und Haltung gab, sichern Blick und festere Stimme. Sie war eine Andere, wenn man sie ansah, erst jetzt sah man, daß ihr Gesicht auch Züge hatte, daß Augen darin waren und zwar nicht so üble. Katzen thun bekanntlich am neunten Tage die Augen auf. Luise war dreimal neun Jahre alt geworden, ehe sie die Kunst lernte. Hörte man sie reden, so war Sinn in ihren Worten, worüber nicht bloß die Spendvögtin erstaunte, sondern auch der Notar, welcher von Amtswegen und sonst nicht gewohnt war, mit Worten umzugehen, welche allemal Sinn hatten. Man sagt immer, Lebloses könne den Menschen nicht beleben, sondern bloß Gott könne es, und doch war es der Notar Stößli, welcher Luise belebt hatte. Hatte er nicht Ursache stolz zu sein und zwar wie ein Gott?

Sie verbrachten einen hellen, glücklichen Tag, hatten große Freude an einander, keine Wolke stand am Himmel, kein Unfall begegnete ihnen, sie hatten ein sehr gut Mittagessen, bekamen eine billige Zeche, und die Wirthin hatte der Frau Spendvögtin ihren Spendvogt noch gekannt, erzählte ihr, wie derselbe ein braver Herr gewesen und allen Leuten lieb, und so ein Lustiger! Gspäßlein habe Keiner gewußt wie er; wie sie alle so sein sollten, aber nicht mehr so seien, absonderlich jetzt. Der Tag verrann, sie wußten nicht wie, viel kürzer, als wenn große Gesellschaft gewesen wäre, wo es so oft geschieht, daß, je größer die Gesellschaft ist, desto weniger man was mit einander anzufangen weiß.

Da in der Eile Herr Stößli keine anständige Behausung herstellen konnte — bisher hatte er nur eine Schreibstube gehabt und Kost und Logis in einem Wirthshause, — so hatte Tante Spendvögtin, zum heillosen Aerger der Verwandten, dem

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T09:45:11Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T09:45:11Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: nein; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Der Notar in der Falle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–43. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_notar_1910/42>, abgerufen am 29.03.2024.