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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.

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a. Die Unrichtigkeit, ein Verstoß gegen die natürliche Wahrheit pgo_188.002
der Dinge.

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Den Honig irdischer Weisheit sammeln wir nicht aus Blumen ein, sondern pgo_188.004
aus Dornen.Bulwer.

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b. Die Unangemessenheit, wenn das Bild zu groß oder zu klein pgo_188.006
ist für den verglichenen Gegenstand. Solche Bilder finden sich häufig bei pgo_188.007
Jean Paul, z. B.:

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Natur, du ruhest vor dem nassen Auge, wie ein grünendes, abendrothes pgo_188.009
Gebirge.Titan.

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Die Natur, die gestern ein flammender Sonnenball gewesen, war heute ein pgo_188.011
Abendstern voll Dämmerlicht.Titan.

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c. Die Mattigkeit, wenn der Vergleichungspunkt nicht schlagend pgo_188.013
genug hervortritt. Dies ist der größte Fehler des bildlichen Ausdruckes, pgo_188.014
indem er nicht nur dem Styl einen frostigen Charakter giebt, sondern pgo_188.015
überhaupt das Bild als einen überflüssigen Luxus erscheinen läßt. Die pgo_188.016
Metapher besonders muß den Ausdruck abkürzen, nicht schleppend pgo_188.017
machen; sie muß aus dem Gedanken organisch herauswachsen, nicht beiläufig pgo_188.018
neben ihm herleuchten.

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Die Metapher darf zwar ebenso das Sinnliche vergeistigen, wie pgo_188.020
das Geistige versinnlichen. Lenau ist ein Meister in der Kunst dieser pgo_188.021
träumerischen Naturbeseelung. Solche Metaphern aber werden leicht pgo_188.022
frostig und matt, wenn der Vergleichungspunkt nicht schlagend genug das pgo_188.023
Gemüth erfaßt. Noch mehr gilt dies von ausgeführten Vergleichungen, in pgo_188.024
denen das geistige Bild zu abstrakt angedeutet oder ausgeführt wird, z. B.

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Gleich dem ewigen Frieden schimmert pgo_188.026
Ruhig, klar und grün das Meer.
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Anastasius Grün.

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Wie ein großer Gedanke sich losreißt pgo_188.029
Aus dem Haupte eines Genius, pgo_188.030
Also springt aus des Kasbek steinernem Haus pgo_188.031
Der brausende Terekfluß.
pgo_188.032

Bodenstedt.

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Matt wird auch die schlagende Metapher, wenn sie weiter ausgesponnen pgo_188.034
wird, als der Fonds ihrer Aehnlichkeit verstattet, der für eine pgo_188.035
Metapher, aber nicht für eine Allegorie ausreicht, z. B.

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neben ihm herleuchten.

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Die Metapher darf zwar ebenso das Sinnliche vergeistigen, wie pgo_188.020
das Geistige versinnlichen. Lenau ist ein Meister in der Kunst dieser pgo_188.021
träumerischen Naturbeseelung. Solche Metaphern aber werden leicht pgo_188.022
frostig und matt, wenn der Vergleichungspunkt nicht schlagend genug das pgo_188.023
Gemüth erfaßt. Noch mehr gilt dies von ausgeführten Vergleichungen, in pgo_188.024
denen das geistige Bild zu abstrakt angedeutet oder ausgeführt wird, z. B.

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Gleich dem ewigen Frieden schimmert pgo_188.026
Ruhig, klar und grün das Meer.
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Anastasius Grün.

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Aus dem Haupte eines Genius, pgo_188.030
Also springt aus des Kasbek steinernem Haus pgo_188.031
Der brausende Terekfluß.
pgo_188.032

Bodenstedt.

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Matt wird auch die schlagende Metapher, wenn sie weiter ausgesponnen pgo_188.034
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Zitationshilfe: Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/210>, abgerufen am 29.03.2024.