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Gottsched, Luise Adelgunde Victorie: Die Pietisterey im Fischbein-Rocke. Rostock, 1736.

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Die Pietisterey
Frau Glaubeleichtin.
Woher ichs weiß? das ist eine artige Frage!
Weiß ichs nicht aus Spenern, Taulern, Francken,
und Jacob Böhmen, deren Schrifften mir unsere
Herren gegeben haben? Cathrine! antworte ihm
doch.
Cathrine.
Ey! schämen sie sich doch, Herr Obrister! Sie
dencken gewiß, wir sind wie das Orthodoxe Frauen-
zimmer, welches nichts anders weiß, als den Ca-
techismum und die Gebethe. Uber diese Kleinigkei-
ten sind wir längstens weg. Hätte ich nur eines
von der Frau Glaubeleichtin ihren Büchern hier,
so wollte ich ihnen Stellen aufschlagen, daran sie
bis Morgen Abend genug zu lesen hätten.
Herr Wackermann.
Gut! wenn aber eure Herren die Stellen übel
auslegen?
Frau Glaubeleichtin.
Das werden sie mir wohl nimmermehr beweisen.
Herr Wackermann.
Sie haben Recht. Denn da ich kein so grosser
GOttes-Gelehrter bin, als sie; so kan ich sie frey-
lich nicht überzeugen. Aber ich weiß doch, daß eine
grosse Menge anderer GOttes-Gelehrten, welche
wenigstens eben so geschickt sind, als die ihrigen,
dafür halten, daß diese Stellen übel verstanden
werden;
Die Pietiſterey
Frau Glaubeleichtin.
Woher ichs weiß? das iſt eine artige Frage!
Weiß ichs nicht aus Spenern, Taulern, Francken,
und Jacob Boͤhmen, deren Schrifften mir unſere
Herren gegeben haben? Cathrine! antworte ihm
doch.
Cathrine.
Ey! ſchaͤmen ſie ſich doch, Herr Obriſter! Sie
dencken gewiß, wir ſind wie das Orthodoxe Frauen-
zimmer, welches nichts anders weiß, als den Ca-
techiſmum und die Gebethe. Uber dieſe Kleinigkei-
ten ſind wir laͤngſtens weg. Haͤtte ich nur eines
von der Frau Glaubeleichtin ihren Buͤchern hier,
ſo wollte ich ihnen Stellen aufſchlagen, daran ſie
bis Morgen Abend genug zu leſen haͤtten.
Herr Wackermann.
Gut! wenn aber eure Herren die Stellen uͤbel
auslegen?
Frau Glaubeleichtin.
Das werden ſie mir wohl nimmermehr beweiſen.
Herr Wackermann.
Sie haben Recht. Denn da ich kein ſo groſſer
GOttes-Gelehrter bin, als ſie; ſo kan ich ſie frey-
lich nicht uͤberzeugen. Aber ich weiß doch, daß eine
groſſe Menge anderer GOttes-Gelehrten, welche
wenigſtens eben ſo geſchickt ſind, als die ihrigen,
dafuͤr halten, daß dieſe Stellen uͤbel verſtanden
werden;
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[28/0048] Die Pietiſterey Frau Glaubeleichtin. Woher ichs weiß? das iſt eine artige Frage! Weiß ichs nicht aus Spenern, Taulern, Francken, und Jacob Boͤhmen, deren Schrifften mir unſere Herren gegeben haben? Cathrine! antworte ihm doch. Cathrine. Ey! ſchaͤmen ſie ſich doch, Herr Obriſter! Sie dencken gewiß, wir ſind wie das Orthodoxe Frauen- zimmer, welches nichts anders weiß, als den Ca- techiſmum und die Gebethe. Uber dieſe Kleinigkei- ten ſind wir laͤngſtens weg. Haͤtte ich nur eines von der Frau Glaubeleichtin ihren Buͤchern hier, ſo wollte ich ihnen Stellen aufſchlagen, daran ſie bis Morgen Abend genug zu leſen haͤtten. Herr Wackermann. Gut! wenn aber eure Herren die Stellen uͤbel auslegen? Frau Glaubeleichtin. Das werden ſie mir wohl nimmermehr beweiſen. Herr Wackermann. Sie haben Recht. Denn da ich kein ſo groſſer GOttes-Gelehrter bin, als ſie; ſo kan ich ſie frey- lich nicht uͤberzeugen. Aber ich weiß doch, daß eine groſſe Menge anderer GOttes-Gelehrten, welche wenigſtens eben ſo geſchickt ſind, als die ihrigen, dafuͤr halten, daß dieſe Stellen uͤbel verſtanden werden;

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Zitationshilfe: Gottsched, Luise Adelgunde Victorie: Die Pietisterey im Fischbein-Rocke. Rostock, 1736, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_pietisterey_1736/48>, abgerufen am 28.03.2024.