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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

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Das VII. Capitel

Soviel ist indessen gewiß, daß man in gewissen alten
Büchern zuweilen Wörter findet, die sich auch zu unsern Zei-
ten sehr wohl brauchen lassen: obwohl sie seit funfzig oder
hundert Jahren, aus der Mode gekommen, z. E. das Wort
Geschwader, Escadron ist heutiges Tages fast nicht mehr zu
hören; gleichwohl haben wir kein bessers an dessen Stelle er-
funden; man wollte denn Schwadronen sagen. Das
Wort Buhlschafft ist noch von Opitzen und Flemmingen
gebraucht worden, dasjenige anzuzeigen, was die Franzosen
Maitresse, und die Deutschen eine Courtesie nennen. Die
Verliebungen, les Amours, ist gleichfalls ein Wort, wel-
ches wir nicht besser auszudrücken im Stande sind: ich finde
es aber in einem Buche von 1648 gebraucht. Wenn sich
nun ein Poet dieser und dergleichen Wörter mit Verstande
und mäßig bedienet, so kan man ihn nicht tadeln; sondern
hat vielmehr Ursache, ihm verbunden zu seyn, daß er ein ge-
schicktes Wort aus dem Staube der Vergessenheit wieder
hervorgezogen, darein es ohn alle seine Schuld gerathen war.

Von üblichen Wörtern.

WEgen der üblichen Wörter, scheint es bey einem Poeten
keine Schwürigkeit zu haben: Allein man kan doch
verschiedene gute Anmerckungen darüber machen. Zum er-
sten sind dieselben entweder gemein, so daß sie auch den ein-
fältigsten Leuten geläufig sind: Oder sie sind ungemein und
seltsam; weil sie nur unter den Gelehrten zu Hause sind, oder
in ihren Büchern vorkommen. Ein Poet hat nach Anlei-
tung des 1. Cap. die Absicht, sich durch eine edle Art des Aus-
druckes in Hochachtung zu setzen, und gleichsam die Sprache
der Götter zu reden. Daher muß er denn nicht die gemein-
sten; sondern die ungemeinsten Wörter brauchen: zumahl
wenn er in seinem Nahmen schreibet. Wenn z. E. gemeine
Leute sagen: Der Kopf thut mir wehe: so spricht etwa der
Poet: Mich schmertzt das Haupt. Jenes hört man täg-
lich, drum klingt es nicht: Dieses hört man selten; drum ist
es edler und erhabener.

Doch
Das VII. Capitel

Soviel iſt indeſſen gewiß, daß man in gewiſſen alten
Buͤchern zuweilen Woͤrter findet, die ſich auch zu unſern Zei-
ten ſehr wohl brauchen laſſen: obwohl ſie ſeit funfzig oder
hundert Jahren, aus der Mode gekommen, z. E. das Wort
Geſchwader, Eſcadron iſt heutiges Tages faſt nicht mehr zu
hoͤren; gleichwohl haben wir kein beſſers an deſſen Stelle er-
funden; man wollte denn Schwadronen ſagen. Das
Wort Buhlſchafft iſt noch von Opitzen und Flemmingen
gebraucht worden, dasjenige anzuzeigen, was die Franzoſen
Maitreſſe, und die Deutſchen eine Courteſie nennen. Die
Verliebungen, les Amours, iſt gleichfalls ein Wort, wel-
ches wir nicht beſſer auszudruͤcken im Stande ſind: ich finde
es aber in einem Buche von 1648 gebraucht. Wenn ſich
nun ein Poet dieſer und dergleichen Woͤrter mit Verſtande
und maͤßig bedienet, ſo kan man ihn nicht tadeln; ſondern
hat vielmehr Urſache, ihm verbunden zu ſeyn, daß er ein ge-
ſchicktes Wort aus dem Staube der Vergeſſenheit wieder
hervorgezogen, darein es ohn alle ſeine Schuld gerathen war.

Von uͤblichen Woͤrtern.

WEgen der uͤblichen Woͤrter, ſcheint es bey einem Poeten
keine Schwuͤrigkeit zu haben: Allein man kan doch
verſchiedene gute Anmerckungen daruͤber machen. Zum er-
ſten ſind dieſelben entweder gemein, ſo daß ſie auch den ein-
faͤltigſten Leuten gelaͤufig ſind: Oder ſie ſind ungemein und
ſeltſam; weil ſie nur unter den Gelehrten zu Hauſe ſind, oder
in ihren Buͤchern vorkommen. Ein Poet hat nach Anlei-
tung des 1. Cap. die Abſicht, ſich durch eine edle Art des Aus-
druckes in Hochachtung zu ſetzen, und gleichſam die Sprache
der Goͤtter zu reden. Daher muß er denn nicht die gemein-
ſten; ſondern die ungemeinſten Woͤrter brauchen: zumahl
wenn er in ſeinem Nahmen ſchreibet. Wenn z. E. gemeine
Leute ſagen: Der Kopf thut mir wehe: ſo ſpricht etwa der
Poet: Mich ſchmertzt das Haupt. Jenes hoͤrt man taͤg-
lich, drum klingt es nicht: Dieſes hoͤrt man ſelten; drum iſt
es edler und erhabener.

Doch
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[190/0218] Das VII. Capitel Soviel iſt indeſſen gewiß, daß man in gewiſſen alten Buͤchern zuweilen Woͤrter findet, die ſich auch zu unſern Zei- ten ſehr wohl brauchen laſſen: obwohl ſie ſeit funfzig oder hundert Jahren, aus der Mode gekommen, z. E. das Wort Geſchwader, Eſcadron iſt heutiges Tages faſt nicht mehr zu hoͤren; gleichwohl haben wir kein beſſers an deſſen Stelle er- funden; man wollte denn Schwadronen ſagen. Das Wort Buhlſchafft iſt noch von Opitzen und Flemmingen gebraucht worden, dasjenige anzuzeigen, was die Franzoſen Maitreſſe, und die Deutſchen eine Courteſie nennen. Die Verliebungen, les Amours, iſt gleichfalls ein Wort, wel- ches wir nicht beſſer auszudruͤcken im Stande ſind: ich finde es aber in einem Buche von 1648 gebraucht. Wenn ſich nun ein Poet dieſer und dergleichen Woͤrter mit Verſtande und maͤßig bedienet, ſo kan man ihn nicht tadeln; ſondern hat vielmehr Urſache, ihm verbunden zu ſeyn, daß er ein ge- ſchicktes Wort aus dem Staube der Vergeſſenheit wieder hervorgezogen, darein es ohn alle ſeine Schuld gerathen war. Von uͤblichen Woͤrtern. WEgen der uͤblichen Woͤrter, ſcheint es bey einem Poeten keine Schwuͤrigkeit zu haben: Allein man kan doch verſchiedene gute Anmerckungen daruͤber machen. Zum er- ſten ſind dieſelben entweder gemein, ſo daß ſie auch den ein- faͤltigſten Leuten gelaͤufig ſind: Oder ſie ſind ungemein und ſeltſam; weil ſie nur unter den Gelehrten zu Hauſe ſind, oder in ihren Buͤchern vorkommen. Ein Poet hat nach Anlei- tung des 1. Cap. die Abſicht, ſich durch eine edle Art des Aus- druckes in Hochachtung zu ſetzen, und gleichſam die Sprache der Goͤtter zu reden. Daher muß er denn nicht die gemein- ſten; ſondern die ungemeinſten Woͤrter brauchen: zumahl wenn er in ſeinem Nahmen ſchreibet. Wenn z. E. gemeine Leute ſagen: Der Kopf thut mir wehe: ſo ſpricht etwa der Poet: Mich ſchmertzt das Haupt. Jenes hoͤrt man taͤg- lich, drum klingt es nicht: Dieſes hoͤrt man ſelten; drum iſt es edler und erhabener. Doch

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Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/218>, abgerufen am 28.03.2024.