Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

Bild:
<< vorherige Seite

Des II Theils III Capitel

Den mütterlichen Schooß, die Brust, so mich gesäugt?
Den Vater, der mir selbst der Weisheit Bahn gezeigt?
Jch ehre deinen Schluß, du Schöpfer meiner Tage;
Du weist, ich murre nicht, indem ich solches sage,
Du fügest alles wohl, und hast, mit Vorbedacht,
Auch mich aus ferner Lufft an diesen Ort gebracht.
Dein Rath, den niemand noch recht würdiglich gepriesen,
Hat sich fürwahr an mir recht sonnenklar gewiesen.
Jch suchte Sicherheit, des Friedens edle Frucht,
Jch wünschte Ruh und Glück, und fand, was ich gesucht.
Allein ich dachte nicht, daß mir die Meißner-Hürden,
So lang ein Aufenthalt und Wohnplatz bleiben würden,
Als sie es itzt schon sind. Mich dünckte, daß ein Jahr
Schon ein geraumes Ziel zum Aussenbleiben war,
Und daß des Monden Glantz kaum zwölfmahl wechseln sollte,
Bis ich mich wiederum zurück begeben wollte.
Jtzt ist das fünfte Jahr schon gröstentheils vorbey,
Und man vermißt mich noch bey jener Schäferey,
Die dort am Pregelstrom auf bunten Hügeln weidet,
Die Flora wohl so schön mit Gras und Blumen kleidet,
Als dieses Meißner-Land. Was hab ich nun gethan,
Daß ich mein Vaterland nicht wieder sehen kan?
Soll ich mir Haab und Gut in fremder Lufft erwerben,
Ein Fremdling lebend seyn, und als ein Fremdling sterben?
O Himmel, das ist hart! Ach möcht es doch geschehn,
Daß ich die Schäfer-Zunft noch einmahl könnte sehn,
Die mich von Jugend auf, so treu und redlich liebte,
Und sich, indem ich schied, mit reger Brust betrübte:
Die ich sehr hochgeschätzt, weil ihre Gütigkeit
Mir offt behülflich war, mich offtmahls sehr erfreut.
Hier leb ich ohne Danck, und muß in ferner Erden,
Mir selber innerlich ein rechter Abscheu werden.
O daß mich doch kein Wind nur einen halben Tag,
Zu dieser Hirten-Zahl in Preußen führen mag!
Wie munter würde da mein treues Hertze springen!
Wie würde mir die Lust durch Marck und Adern dringen!
Wie eifrig wollt ich da durch alle Hütten gehn,
Und mündlich überall die Gunst und Huld erhöhn,
Die mir, vor hunderten, die meines gleichen waren,
Jn Proben mancher Art, zehn Jahre wiederfahren.

So trug Prutenio die strengen Seufzer vor,
Und warf vor Kümmerniß sein sanftes Haber-Rohr,
An einen Haselstrauch, daran die Lämmer stunden,
Als welche sich bey ihm im Klagen eingefunden.
Geht,

Des II Theils III Capitel

Den muͤtterlichen Schooß, die Bruſt, ſo mich geſaͤugt?
Den Vater, der mir ſelbſt der Weisheit Bahn gezeigt?
Jch ehre deinen Schluß, du Schoͤpfer meiner Tage;
Du weiſt, ich murre nicht, indem ich ſolches ſage,
Du fuͤgeſt alles wohl, und haſt, mit Vorbedacht,
Auch mich aus ferner Lufft an dieſen Ort gebracht.
Dein Rath, den niemand noch recht wuͤrdiglich geprieſen,
Hat ſich fuͤrwahr an mir recht ſonnenklar gewieſen.
Jch ſuchte Sicherheit, des Friedens edle Frucht,
Jch wuͤnſchte Ruh und Gluͤck, und fand, was ich geſucht.
Allein ich dachte nicht, daß mir die Meißner-Huͤrden,
So lang ein Aufenthalt und Wohnplatz bleiben wuͤrden,
Als ſie es itzt ſchon ſind. Mich duͤnckte, daß ein Jahr
Schon ein geraumes Ziel zum Auſſenbleiben war,
Und daß des Monden Glantz kaum zwoͤlfmahl wechſeln ſollte,
Bis ich mich wiederum zuruͤck begeben wollte.
Jtzt iſt das fuͤnfte Jahr ſchon groͤſtentheils vorbey,
Und man vermißt mich noch bey jener Schaͤferey,
Die dort am Pregelſtrom auf bunten Huͤgeln weidet,
Die Flora wohl ſo ſchoͤn mit Gras und Blumen kleidet,
Als dieſes Meißner-Land. Was hab ich nun gethan,
Daß ich mein Vaterland nicht wieder ſehen kan?
Soll ich mir Haab und Gut in fremder Lufft erwerben,
Ein Fremdling lebend ſeyn, und als ein Fremdling ſterben?
O Himmel, das iſt hart! Ach moͤcht es doch geſchehn,
Daß ich die Schaͤfer-Zunft noch einmahl koͤnnte ſehn,
Die mich von Jugend auf, ſo treu und redlich liebte,
Und ſich, indem ich ſchied, mit reger Bruſt betruͤbte:
Die ich ſehr hochgeſchaͤtzt, weil ihre Guͤtigkeit
Mir offt behuͤlflich war, mich offtmahls ſehr erfreut.
Hier leb ich ohne Danck, und muß in ferner Erden,
Mir ſelber innerlich ein rechter Abſcheu werden.
O daß mich doch kein Wind nur einen halben Tag,
Zu dieſer Hirten-Zahl in Preußen fuͤhren mag!
Wie munter wuͤrde da mein treues Hertze ſpringen!
Wie wuͤrde mir die Luſt durch Marck und Adern dringen!
Wie eifrig wollt ich da durch alle Huͤtten gehn,
Und muͤndlich uͤberall die Gunſt und Huld erhoͤhn,
Die mir, vor hunderten, die meines gleichen waren,
Jn Proben mancher Art, zehn Jahre wiederfahren.

So trug Prutenio die ſtrengen Seufzer vor,
Und warf vor Kuͤmmerniß ſein ſanftes Haber-Rohr,
An einen Haſelſtrauch, daran die Laͤmmer ſtunden,
Als welche ſich bey ihm im Klagen eingefunden.
Geht,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg type="poem">
              <lg n="49">
                <l>
                  <pb facs="#f0436" n="408"/>
                  <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Des <hi rendition="#aq">II</hi> Theils <hi rendition="#aq">III</hi> Capitel</hi> </fw>
                </l><lb/>
                <l>Den mu&#x0364;tterlichen Schooß, die Bru&#x017F;t, &#x017F;o mich ge&#x017F;a&#x0364;ugt?</l><lb/>
                <l>Den Vater, der mir &#x017F;elb&#x017F;t der Weisheit Bahn gezeigt?</l><lb/>
                <l>Jch ehre deinen Schluß, du Scho&#x0364;pfer meiner Tage;</l><lb/>
                <l>Du wei&#x017F;t, ich murre nicht, indem ich &#x017F;olches &#x017F;age,</l><lb/>
                <l>Du fu&#x0364;ge&#x017F;t alles wohl, und ha&#x017F;t, mit Vorbedacht,</l><lb/>
                <l>Auch mich aus ferner Lufft an die&#x017F;en Ort gebracht.</l><lb/>
                <l>Dein Rath, den niemand noch recht wu&#x0364;rdiglich geprie&#x017F;en,</l><lb/>
                <l>Hat &#x017F;ich fu&#x0364;rwahr an mir recht &#x017F;onnenklar gewie&#x017F;en.</l><lb/>
                <l>Jch &#x017F;uchte Sicherheit, des Friedens edle Frucht,</l><lb/>
                <l>Jch wu&#x0364;n&#x017F;chte Ruh und Glu&#x0364;ck, und fand, was ich ge&#x017F;ucht.</l><lb/>
                <l>Allein ich dachte nicht, daß mir die Meißner-Hu&#x0364;rden,</l><lb/>
                <l>So lang ein Aufenthalt und Wohnplatz bleiben wu&#x0364;rden,</l><lb/>
                <l>Als &#x017F;ie es itzt &#x017F;chon &#x017F;ind. Mich du&#x0364;nckte, daß ein Jahr</l><lb/>
                <l>Schon ein geraumes Ziel zum Au&#x017F;&#x017F;enbleiben war,</l><lb/>
                <l>Und daß des Monden Glantz kaum zwo&#x0364;lfmahl wech&#x017F;eln &#x017F;ollte,</l><lb/>
                <l>Bis ich mich wiederum zuru&#x0364;ck begeben wollte.</l><lb/>
                <l>Jtzt i&#x017F;t das fu&#x0364;nfte Jahr &#x017F;chon gro&#x0364;&#x017F;tentheils vorbey,</l><lb/>
                <l>Und man vermißt mich noch bey jener Scha&#x0364;ferey,</l><lb/>
                <l>Die dort am Pregel&#x017F;trom auf bunten Hu&#x0364;geln weidet,</l><lb/>
                <l>Die Flora wohl &#x017F;o &#x017F;cho&#x0364;n mit Gras und Blumen kleidet,</l><lb/>
                <l>Als die&#x017F;es Meißner-Land. Was hab ich nun gethan,</l><lb/>
                <l>Daß ich mein Vaterland nicht wieder &#x017F;ehen kan?</l><lb/>
                <l>Soll ich mir Haab und Gut in fremder Lufft erwerben,</l><lb/>
                <l>Ein Fremdling lebend &#x017F;eyn, und als ein Fremdling &#x017F;terben?</l><lb/>
                <l>O Himmel, das i&#x017F;t hart! Ach mo&#x0364;cht es doch ge&#x017F;chehn,</l><lb/>
                <l>Daß ich die Scha&#x0364;fer-Zunft noch einmahl ko&#x0364;nnte &#x017F;ehn,</l><lb/>
                <l>Die mich von Jugend auf, &#x017F;o treu und redlich liebte,</l><lb/>
                <l>Und &#x017F;ich, indem ich &#x017F;chied, mit reger Bru&#x017F;t betru&#x0364;bte:</l><lb/>
                <l>Die ich &#x017F;ehr hochge&#x017F;cha&#x0364;tzt, weil ihre Gu&#x0364;tigkeit</l><lb/>
                <l>Mir offt behu&#x0364;lflich war, mich offtmahls &#x017F;ehr erfreut.</l><lb/>
                <l>Hier leb ich ohne Danck, und muß in ferner Erden,</l><lb/>
                <l>Mir &#x017F;elber innerlich ein rechter Ab&#x017F;cheu werden.</l><lb/>
                <l>O daß mich doch kein Wind nur einen halben Tag,</l><lb/>
                <l>Zu die&#x017F;er Hirten-Zahl in Preußen fu&#x0364;hren mag!</l><lb/>
                <l>Wie munter wu&#x0364;rde da mein treues Hertze &#x017F;pringen!</l><lb/>
                <l>Wie wu&#x0364;rde mir die Lu&#x017F;t durch Marck und Adern dringen!</l><lb/>
                <l>Wie eifrig wollt ich da durch alle Hu&#x0364;tten gehn,</l><lb/>
                <l>Und mu&#x0364;ndlich u&#x0364;berall die Gun&#x017F;t und Huld erho&#x0364;hn,</l><lb/>
                <l>Die mir, vor hunderten, die meines gleichen waren,</l><lb/>
                <l>Jn Proben mancher Art, zehn Jahre wiederfahren.</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="50">
                <l>So trug Prutenio die &#x017F;trengen Seufzer vor,</l><lb/>
                <l>Und warf vor Ku&#x0364;mmerniß &#x017F;ein &#x017F;anftes Haber-Rohr,</l><lb/>
                <l>An einen Ha&#x017F;el&#x017F;trauch, daran die La&#x0364;mmer &#x017F;tunden,</l><lb/>
                <l>Als welche &#x017F;ich bey ihm im Klagen eingefunden.<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Geht,</fw><lb/></l>
              </lg>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[408/0436] Des II Theils III Capitel Den muͤtterlichen Schooß, die Bruſt, ſo mich geſaͤugt? Den Vater, der mir ſelbſt der Weisheit Bahn gezeigt? Jch ehre deinen Schluß, du Schoͤpfer meiner Tage; Du weiſt, ich murre nicht, indem ich ſolches ſage, Du fuͤgeſt alles wohl, und haſt, mit Vorbedacht, Auch mich aus ferner Lufft an dieſen Ort gebracht. Dein Rath, den niemand noch recht wuͤrdiglich geprieſen, Hat ſich fuͤrwahr an mir recht ſonnenklar gewieſen. Jch ſuchte Sicherheit, des Friedens edle Frucht, Jch wuͤnſchte Ruh und Gluͤck, und fand, was ich geſucht. Allein ich dachte nicht, daß mir die Meißner-Huͤrden, So lang ein Aufenthalt und Wohnplatz bleiben wuͤrden, Als ſie es itzt ſchon ſind. Mich duͤnckte, daß ein Jahr Schon ein geraumes Ziel zum Auſſenbleiben war, Und daß des Monden Glantz kaum zwoͤlfmahl wechſeln ſollte, Bis ich mich wiederum zuruͤck begeben wollte. Jtzt iſt das fuͤnfte Jahr ſchon groͤſtentheils vorbey, Und man vermißt mich noch bey jener Schaͤferey, Die dort am Pregelſtrom auf bunten Huͤgeln weidet, Die Flora wohl ſo ſchoͤn mit Gras und Blumen kleidet, Als dieſes Meißner-Land. Was hab ich nun gethan, Daß ich mein Vaterland nicht wieder ſehen kan? Soll ich mir Haab und Gut in fremder Lufft erwerben, Ein Fremdling lebend ſeyn, und als ein Fremdling ſterben? O Himmel, das iſt hart! Ach moͤcht es doch geſchehn, Daß ich die Schaͤfer-Zunft noch einmahl koͤnnte ſehn, Die mich von Jugend auf, ſo treu und redlich liebte, Und ſich, indem ich ſchied, mit reger Bruſt betruͤbte: Die ich ſehr hochgeſchaͤtzt, weil ihre Guͤtigkeit Mir offt behuͤlflich war, mich offtmahls ſehr erfreut. Hier leb ich ohne Danck, und muß in ferner Erden, Mir ſelber innerlich ein rechter Abſcheu werden. O daß mich doch kein Wind nur einen halben Tag, Zu dieſer Hirten-Zahl in Preußen fuͤhren mag! Wie munter wuͤrde da mein treues Hertze ſpringen! Wie wuͤrde mir die Luſt durch Marck und Adern dringen! Wie eifrig wollt ich da durch alle Huͤtten gehn, Und muͤndlich uͤberall die Gunſt und Huld erhoͤhn, Die mir, vor hunderten, die meines gleichen waren, Jn Proben mancher Art, zehn Jahre wiederfahren. So trug Prutenio die ſtrengen Seufzer vor, Und warf vor Kuͤmmerniß ſein ſanftes Haber-Rohr, An einen Haſelſtrauch, daran die Laͤmmer ſtunden, Als welche ſich bey ihm im Klagen eingefunden. Geht,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/436
Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 408. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/436>, abgerufen am 29.03.2024.