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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

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Des II. Theils IV. Capitel

Du hast mirs sonst gesagt, drum fällt mirs itzo bey,
Daß heute, wo mir recht, sein Fest erschienen sey.
Auf! wünsch ihm Glück dazu, und zeig in treuen Zeilen
Die Zärtlichkeit, so du nicht mündlich kanst ertheilen.

Dieß Wort war voller Krafft; der Hirt Prutenio
Umarmte seinen Freund und ward von Hertzen froh.
Mein Werther, hieß es bald, dein Zuspruch giebt mir Stärcke,
Jndem ich Trost und Muth in meiner Seelen mercke.
Du hast sehr recht gesagt und meynst es gut mit mir,
Gib deinen Glückwunsch her; fürwahr ich folge dir
Jn Leistung meiner Pflicht. Jch will mit meinen Reimen
Des Vaters Jahrs-Tag auch nicht undanckbar versäumen.
Dein Beyspiel reitzt mich an; mein Wunsch soll kindlich seyn,
Komm, sprich nur selbst bey mir in meiner Hütten ein,
Ein guter Freuden-Tranck soll unser Hertz erfreuen,
Vergiß dein Rohr nur nicht, nebst deiner Feld-Schalmeyen,
Jtzt neiget sich der Tag. Kommt Schäfchen, kommt zurück,
Hinfort beneid ich nicht der jungen Lämmer Glück.
Freund Damon, hilf mir nur die Wollenheerden treiben,
Den Abend wollen wir vergnügt beysammen bleiben.


Das vierte Capitel.
Von Elegien, das ist, Klagliedern
und verliebten Gedichten.

DJe Elegie ist eins von den vornehmsten Gedichten
der alten Griechen und Römer gewesen, und ver-
dient also wohl eine besondre Betrachtung. Sie
kommt dem Horatz so merckwürdig vor, daß er sich in sei-
ner Dichtkunst gar sorgfältig um ihren Erfinder bemüht:

Quis tamen exiguos elegos emiserit auctor,
Grammatici certant & adhuc sub iudice lis est:

Er nennt sie in dieser Stelle exiguos, das ist so viel, als eine
niedrige Art von Gedichten. Sonst wird sie auch humi-
lis, tristis, querula,
u. s. w. genennet, welches alles uns den in-
nern Character derselben sattsam zu verstehen giebt. Sie
soll nehmlich in einer natürlichen und fließenden Schreibart

ab-

Des II. Theils IV. Capitel

Du haſt mirs ſonſt geſagt, drum faͤllt mirs itzo bey,
Daß heute, wo mir recht, ſein Feſt erſchienen ſey.
Auf! wuͤnſch ihm Gluͤck dazu, und zeig in treuen Zeilen
Die Zaͤrtlichkeit, ſo du nicht muͤndlich kanſt ertheilen.

Dieß Wort war voller Krafft; der Hirt Prutenio
Umarmte ſeinen Freund und ward von Hertzen froh.
Mein Werther, hieß es bald, dein Zuſpruch giebt mir Staͤrcke,
Jndem ich Troſt und Muth in meiner Seelen mercke.
Du haſt ſehr recht geſagt und meynſt es gut mit mir,
Gib deinen Gluͤckwunſch her; fuͤrwahr ich folge dir
Jn Leiſtung meiner Pflicht. Jch will mit meinen Reimen
Des Vaters Jahrs-Tag auch nicht undanckbar verſaͤumen.
Dein Beyſpiel reitzt mich an; mein Wunſch ſoll kindlich ſeyn,
Komm, ſprich nur ſelbſt bey mir in meiner Huͤtten ein,
Ein guter Freuden-Tranck ſoll unſer Hertz erfreuen,
Vergiß dein Rohr nur nicht, nebſt deiner Feld-Schalmeyen,
Jtzt neiget ſich der Tag. Kommt Schaͤfchen, kommt zuruͤck,
Hinfort beneid ich nicht der jungen Laͤmmer Gluͤck.
Freund Damon, hilf mir nur die Wollenheerden treiben,
Den Abend wollen wir vergnuͤgt beyſammen bleiben.


Das vierte Capitel.
Von Elegien, das iſt, Klagliedern
und verliebten Gedichten.

DJe Elegie iſt eins von den vornehmſten Gedichten
der alten Griechen und Roͤmer geweſen, und ver-
dient alſo wohl eine beſondre Betrachtung. Sie
kommt dem Horatz ſo merckwuͤrdig vor, daß er ſich in ſei-
ner Dichtkunſt gar ſorgfaͤltig um ihren Erfinder bemuͤht:

Quis tamen exiguos elegos emiſerit auctor,
Grammatici certant & adhuc ſub iudice lis eſt:

Er nennt ſie in dieſer Stelle exiguos, das iſt ſo viel, als eine
niedrige Art von Gedichten. Sonſt wird ſie auch humi-
lis, triſtis, querula,
u. ſ. w. genennet, welches alles uns den in-
nern Character derſelben ſattſam zu verſtehen giebt. Sie
ſoll nehmlich in einer natuͤrlichen und fließenden Schreibart

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[410/0438] Des II. Theils IV. Capitel Du haſt mirs ſonſt geſagt, drum faͤllt mirs itzo bey, Daß heute, wo mir recht, ſein Feſt erſchienen ſey. Auf! wuͤnſch ihm Gluͤck dazu, und zeig in treuen Zeilen Die Zaͤrtlichkeit, ſo du nicht muͤndlich kanſt ertheilen. Dieß Wort war voller Krafft; der Hirt Prutenio Umarmte ſeinen Freund und ward von Hertzen froh. Mein Werther, hieß es bald, dein Zuſpruch giebt mir Staͤrcke, Jndem ich Troſt und Muth in meiner Seelen mercke. Du haſt ſehr recht geſagt und meynſt es gut mit mir, Gib deinen Gluͤckwunſch her; fuͤrwahr ich folge dir Jn Leiſtung meiner Pflicht. Jch will mit meinen Reimen Des Vaters Jahrs-Tag auch nicht undanckbar verſaͤumen. Dein Beyſpiel reitzt mich an; mein Wunſch ſoll kindlich ſeyn, Komm, ſprich nur ſelbſt bey mir in meiner Huͤtten ein, Ein guter Freuden-Tranck ſoll unſer Hertz erfreuen, Vergiß dein Rohr nur nicht, nebſt deiner Feld-Schalmeyen, Jtzt neiget ſich der Tag. Kommt Schaͤfchen, kommt zuruͤck, Hinfort beneid ich nicht der jungen Laͤmmer Gluͤck. Freund Damon, hilf mir nur die Wollenheerden treiben, Den Abend wollen wir vergnuͤgt beyſammen bleiben. Das vierte Capitel. Von Elegien, das iſt, Klagliedern und verliebten Gedichten. DJe Elegie iſt eins von den vornehmſten Gedichten der alten Griechen und Roͤmer geweſen, und ver- dient alſo wohl eine beſondre Betrachtung. Sie kommt dem Horatz ſo merckwuͤrdig vor, daß er ſich in ſei- ner Dichtkunſt gar ſorgfaͤltig um ihren Erfinder bemuͤht: Quis tamen exiguos elegos emiſerit auctor, Grammatici certant & adhuc ſub iudice lis eſt: Er nennt ſie in dieſer Stelle exiguos, das iſt ſo viel, als eine niedrige Art von Gedichten. Sonſt wird ſie auch humi- lis, triſtis, querula, u. ſ. w. genennet, welches alles uns den in- nern Character derſelben ſattſam zu verſtehen giebt. Sie ſoll nehmlich in einer natuͤrlichen und fließenden Schreibart ab-

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Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/438>, abgerufen am 29.03.2024.