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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

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Von Elegien.
abgefasset werden, einen traurigen Jnhalt haben, und fast
aus lauter Klagen bestehen. Die Exempel der Alten be-
kräfftigen diesen Begriff, und wir mögen entweder Ovi-
dium, Tibullum, oder sonst jemanden vornehmen: so werden
ihre Elegien allezeit was trauriges oder verliebtes in sich
fassen. Des erstern Libri Tristium bestehen aus lauter E-
legien, die er aus Scythien nach Rom als Klageschreiben
abgelassen; und des andern seine verliebte Briefe sind fast
allezeit in einem traurigen Affecte abgefasset.

Doch hat Horatius angemercket, daß man allmählich
von dieser alten Regel der Elegien in etwas abgewichen
sey, und auch wohl vergnügende Sachen darinn abgefas-
set habe.

Versibus impariter iunctis querimonia primum
Post etiam inclusa est voti sententia compos.

Wir können dahin die schertzhafften und verliebten Ge-
dichte rechnen, die vielmahls von lustigem Jnhalte sind,
und doch gar geschicklich in dieser Art von Verßen abge-
fasset worden. Die Ursache davon ist wohl diese, weil
eben die niedrige und natürliche poetische Schreibart, so
sich zu jenen schicket, auch hier von rechtswegen statt findet.
Denn bey der Lust und im Lachen schickt es sich eben so we-
nig, mit hochtrabenden Worten gleichsam auf Steltzen zu
gehen, als in der Betrübniß. Eine geschminckte Schreib-
art würde hier durch ihr künstliches Wesen nur anzeigen,
daß der Witz mehr Theil an der Schrifft habe, als das Hertz.
Wo aber das ist, da macht kein Affect einen guten Ein-
druck bey dem Leser. Das macht, die Natur wird da-
durch nicht nachgeahmet, sondern verlassen, und ein solcher
Poet erregt zuweilen gar gantz wiedrige Leidenschafften.

Aus der letzt angeführten Horatianischen Stelle sehen
wir aber auch, was vor Verse zu einer Elegie gehören.
Der Poet nennet sie impariter iunctos, ungleich zusammen
gesetzte, oder abgewechselte Verße von zweyerley Gattung.
Dieses sind nun theils die langen Alexandrinischen, theils
die kürtzern fünffüßigen Verße der Griechen und Lateiner:

z. E.

Von Elegien.
abgefaſſet werden, einen traurigen Jnhalt haben, und faſt
aus lauter Klagen beſtehen. Die Exempel der Alten be-
kraͤfftigen dieſen Begriff, und wir moͤgen entweder Ovi-
dium, Tibullum, oder ſonſt jemanden vornehmen: ſo werden
ihre Elegien allezeit was trauriges oder verliebtes in ſich
faſſen. Des erſtern Libri Triſtium beſtehen aus lauter E-
legien, die er aus Scythien nach Rom als Klageſchreiben
abgelaſſen; und des andern ſeine verliebte Briefe ſind faſt
allezeit in einem traurigen Affecte abgefaſſet.

Doch hat Horatius angemercket, daß man allmaͤhlich
von dieſer alten Regel der Elegien in etwas abgewichen
ſey, und auch wohl vergnuͤgende Sachen darinn abgefaſ-
ſet habe.

Verſibus impariter iunctis querimonia primum
Poſt etiam incluſa eſt voti ſententia compos.

Wir koͤnnen dahin die ſchertzhafften und verliebten Ge-
dichte rechnen, die vielmahls von luſtigem Jnhalte ſind,
und doch gar geſchicklich in dieſer Art von Verßen abge-
faſſet worden. Die Urſache davon iſt wohl dieſe, weil
eben die niedrige und natuͤrliche poetiſche Schreibart, ſo
ſich zu jenen ſchicket, auch hier von rechtswegen ſtatt findet.
Denn bey der Luſt und im Lachen ſchickt es ſich eben ſo we-
nig, mit hochtrabenden Worten gleichſam auf Steltzen zu
gehen, als in der Betruͤbniß. Eine geſchminckte Schreib-
art wuͤrde hier durch ihr kuͤnſtliches Weſen nur anzeigen,
daß der Witz mehr Theil an der Schrifft habe, als das Hertz.
Wo aber das iſt, da macht kein Affect einen guten Ein-
druck bey dem Leſer. Das macht, die Natur wird da-
durch nicht nachgeahmet, ſondern verlaſſen, und ein ſolcher
Poet erregt zuweilen gar gantz wiedrige Leidenſchafften.

Aus der letzt angefuͤhrten Horatianiſchen Stelle ſehen
wir aber auch, was vor Verſe zu einer Elegie gehoͤren.
Der Poet nennet ſie impariter iunctos, ungleich zuſammen
geſetzte, oder abgewechſelte Verße von zweyerley Gattung.
Dieſes ſind nun theils die langen Alexandriniſchen, theils
die kuͤrtzern fuͤnffuͤßigen Verße der Griechen und Lateiner:

z. E.
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[411/0439] Von Elegien. abgefaſſet werden, einen traurigen Jnhalt haben, und faſt aus lauter Klagen beſtehen. Die Exempel der Alten be- kraͤfftigen dieſen Begriff, und wir moͤgen entweder Ovi- dium, Tibullum, oder ſonſt jemanden vornehmen: ſo werden ihre Elegien allezeit was trauriges oder verliebtes in ſich faſſen. Des erſtern Libri Triſtium beſtehen aus lauter E- legien, die er aus Scythien nach Rom als Klageſchreiben abgelaſſen; und des andern ſeine verliebte Briefe ſind faſt allezeit in einem traurigen Affecte abgefaſſet. Doch hat Horatius angemercket, daß man allmaͤhlich von dieſer alten Regel der Elegien in etwas abgewichen ſey, und auch wohl vergnuͤgende Sachen darinn abgefaſ- ſet habe. Verſibus impariter iunctis querimonia primum Poſt etiam incluſa eſt voti ſententia compos. Wir koͤnnen dahin die ſchertzhafften und verliebten Ge- dichte rechnen, die vielmahls von luſtigem Jnhalte ſind, und doch gar geſchicklich in dieſer Art von Verßen abge- faſſet worden. Die Urſache davon iſt wohl dieſe, weil eben die niedrige und natuͤrliche poetiſche Schreibart, ſo ſich zu jenen ſchicket, auch hier von rechtswegen ſtatt findet. Denn bey der Luſt und im Lachen ſchickt es ſich eben ſo we- nig, mit hochtrabenden Worten gleichſam auf Steltzen zu gehen, als in der Betruͤbniß. Eine geſchminckte Schreib- art wuͤrde hier durch ihr kuͤnſtliches Weſen nur anzeigen, daß der Witz mehr Theil an der Schrifft habe, als das Hertz. Wo aber das iſt, da macht kein Affect einen guten Ein- druck bey dem Leſer. Das macht, die Natur wird da- durch nicht nachgeahmet, ſondern verlaſſen, und ein ſolcher Poet erregt zuweilen gar gantz wiedrige Leidenſchafften. Aus der letzt angefuͤhrten Horatianiſchen Stelle ſehen wir aber auch, was vor Verſe zu einer Elegie gehoͤren. Der Poet nennet ſie impariter iunctos, ungleich zuſammen geſetzte, oder abgewechſelte Verße von zweyerley Gattung. Dieſes ſind nun theils die langen Alexandriniſchen, theils die kuͤrtzern fuͤnffuͤßigen Verße der Griechen und Lateiner: z. E.

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Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/439>, abgerufen am 19.04.2024.