Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

Bild:
<< vorherige Seite
Von Elegien.
Zwey Kinder! ein Gemahl! drey höchstgeliebte Leichen
Raubt ihm ein harter Tag. Allein noch nicht genug.
Es muß ihm noch ein Sohn, ein lieber Sohn erbleichen,
Bevor man jene noch in ihre Gräber trug.
Verhängniß! fuhr ich fort, wir ehren deine Schlüsse,
Und tadeln keinen Rath, den deine Macht vollzieht,
Doch strafe nur dabey nicht unsre Thränen-Güsse,
Wenn man von deinem Zorn dergleichen Proben sieht
Die Klagen sind gerecht. Wer will die Zähren schelten,
Wenn solch ein herber Fall die Seelen niederschlägt?
So laß uns denn, o GOtt! die Seufzer nicht entgelten,
Dadurch sich Gram und Leid schon an den Tag gelegt.
Mein Gönner, dieses war die allererste Klage,
Die dein Verlust und Schmertz mir plötzlich ausgeprest,
Vergieb die Kühnheit nur dadurch ichs thränend wage,
Daß meine Feder dich dieselbe lesen läst.
Dafern dein Kummer sich allmählig so gemindert,
Daß dein gesetzter Geist sich wieder fassen kan,
Und keine Thränen-Fluth den Strahl der Augen hindert,
So schaue dieses Blatt mit holden Blicken an.
Du gleichest einem Baum, auf den, bey hartem Knallen,
Jm Sturme, Strahl auf Strahl aus finstern Wolcken schlägt,
So daß Blatt, Frucht und Ast von seinem Gipfel fallen,
Wenn selbst den halben Stamm ein Blitz darnieder legt.
Es zittert, wer es sieht. Die schüchtern Tauben weichen,
Der Boden rings umher ist nur mit Graus bedeckt,
Das Gras ist umgewühlt, und von den kleinen Sträuchen,
Liegt eine große Zahl zerschmettert hingestreckt.
Ein matter Hirt entflieht mit übereiltem Schritte,
Und seufzt, daß ihm der Fall vor andern weh gethan,
Weil dieses Baumes Laub ihm selber Schirm und Hütte
Vor Sonn und Regen war, und klagt das Wetter an.
Da siehest du dein Bild, Du hochbestürtzter Hagen,
Der Unfall, der dich trifft, erschreckt nicht dich allein
Er hat so manches Hertz mit dir zugleich geschlagen,
Ja deine Traurigkeit ist völlig allgemein.
Es klagt nicht nur Bayreuth; das nahe Nürnberg weinet,
Das sie zur Welt gebracht und Dir zur Braut geschenckt,
Wo ihr berühmt Geschlecht in schwartzem Flor erscheinet,
Und an der Tochter Tod mit tausend Aechzen denckt.
Wie seufzt das Armuth nicht, dem sie mit offnen Händen,
Die Last der Dürfftigkeit erleichtert und versüßt,
Und dem die Zähren itzt fast gar die Augen blenden,
Seitdem es diesen Trost durch ihren Tod vermißt.
Wie
D d 2
Von Elegien.
Zwey Kinder! ein Gemahl! drey hoͤchſtgeliebte Leichen
Raubt ihm ein harter Tag. Allein noch nicht genug.
Es muß ihm noch ein Sohn, ein lieber Sohn erbleichen,
Bevor man jene noch in ihre Graͤber trug.
Verhaͤngniß! fuhr ich fort, wir ehren deine Schluͤſſe,
Und tadeln keinen Rath, den deine Macht vollzieht,
Doch ſtrafe nur dabey nicht unſre Thraͤnen-Guͤſſe,
Wenn man von deinem Zorn dergleichen Proben ſieht
Die Klagen ſind gerecht. Wer will die Zaͤhren ſchelten,
Wenn ſolch ein herber Fall die Seelen niederſchlaͤgt?
So laß uns denn, o GOtt! die Seufzer nicht entgelten,
Dadurch ſich Gram und Leid ſchon an den Tag gelegt.
Mein Goͤnner, dieſes war die allererſte Klage,
Die dein Verluſt und Schmertz mir ploͤtzlich ausgepreſt,
Vergieb die Kuͤhnheit nur dadurch ichs thraͤnend wage,
Daß meine Feder dich dieſelbe leſen laͤſt.
Dafern dein Kummer ſich allmaͤhlig ſo gemindert,
Daß dein geſetzter Geiſt ſich wieder faſſen kan,
Und keine Thraͤnen-Fluth den Strahl der Augen hindert,
So ſchaue dieſes Blatt mit holden Blicken an.
Du gleicheſt einem Baum, auf den, bey hartem Knallen,
Jm Sturme, Strahl auf Strahl aus finſtern Wolcken ſchlaͤgt,
So daß Blatt, Frucht und Aſt von ſeinem Gipfel fallen,
Wenn ſelbſt den halben Stamm ein Blitz darnieder legt.
Es zittert, wer es ſieht. Die ſchuͤchtern Tauben weichen,
Der Boden rings umher iſt nur mit Graus bedeckt,
Das Gras iſt umgewuͤhlt, und von den kleinen Straͤuchen,
Liegt eine große Zahl zerſchmettert hingeſtreckt.
Ein matter Hirt entflieht mit uͤbereiltem Schritte,
Und ſeufzt, daß ihm der Fall vor andern weh gethan,
Weil dieſes Baumes Laub ihm ſelber Schirm und Huͤtte
Vor Sonn und Regen war, und klagt das Wetter an.
Da ſieheſt du dein Bild, Du hochbeſtuͤrtzter Hagen,
Der Unfall, der dich trifft, erſchreckt nicht dich allein
Er hat ſo manches Hertz mit dir zugleich geſchlagen,
Ja deine Traurigkeit iſt voͤllig allgemein.
Es klagt nicht nur Bayreuth; das nahe Nuͤrnberg weinet,
Das ſie zur Welt gebracht und Dir zur Braut geſchenckt,
Wo ihr beruͤhmt Geſchlecht in ſchwartzem Flor erſcheinet,
Und an der Tochter Tod mit tauſend Aechzen denckt.
Wie ſeufzt das Armuth nicht, dem ſie mit offnen Haͤnden,
Die Laſt der Duͤrfftigkeit erleichtert und verſuͤßt,
Und dem die Zaͤhren itzt faſt gar die Augen blenden,
Seitdem es dieſen Troſt durch ihren Tod vermißt.
Wie
D d 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg type="poem">
              <pb facs="#f0447" n="419"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Von Elegien.</hi> </fw><lb/>
              <l>Zwey Kinder! ein Gemahl! drey ho&#x0364;ch&#x017F;tgeliebte Leichen</l><lb/>
              <l>Raubt ihm ein harter Tag. Allein noch nicht genug.</l><lb/>
              <l>Es muß ihm noch ein Sohn, ein lieber Sohn erbleichen,</l><lb/>
              <l>Bevor man jene noch in ihre Gra&#x0364;ber trug.</l><lb/>
              <l>Verha&#x0364;ngniß! fuhr ich fort, wir ehren deine Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e,</l><lb/>
              <l>Und tadeln keinen Rath, den deine Macht vollzieht,</l><lb/>
              <l>Doch &#x017F;trafe nur dabey nicht un&#x017F;re Thra&#x0364;nen-Gu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e,</l><lb/>
              <l>Wenn man von deinem Zorn dergleichen Proben &#x017F;ieht</l><lb/>
              <l>Die Klagen &#x017F;ind gerecht. Wer will die Za&#x0364;hren &#x017F;chelten,</l><lb/>
              <l>Wenn &#x017F;olch ein herber Fall die Seelen nieder&#x017F;chla&#x0364;gt?</l><lb/>
              <l>So laß uns denn, o GOtt! die Seufzer nicht entgelten,</l><lb/>
              <l>Dadurch &#x017F;ich Gram und Leid &#x017F;chon an den Tag gelegt.</l><lb/>
              <l>Mein Go&#x0364;nner, die&#x017F;es war die allerer&#x017F;te Klage,</l><lb/>
              <l>Die dein Verlu&#x017F;t und Schmertz mir plo&#x0364;tzlich ausgepre&#x017F;t,</l><lb/>
              <l>Vergieb die Ku&#x0364;hnheit nur dadurch ichs thra&#x0364;nend wage,</l><lb/>
              <l>Daß meine Feder dich die&#x017F;elbe le&#x017F;en la&#x0364;&#x017F;t.</l><lb/>
              <l>Dafern dein Kummer &#x017F;ich allma&#x0364;hlig &#x017F;o gemindert,</l><lb/>
              <l>Daß dein ge&#x017F;etzter Gei&#x017F;t &#x017F;ich wieder fa&#x017F;&#x017F;en kan,</l><lb/>
              <l>Und keine Thra&#x0364;nen-Fluth den Strahl der Augen hindert,</l><lb/>
              <l>So &#x017F;chaue die&#x017F;es Blatt mit holden Blicken an.</l><lb/>
              <l>Du gleiche&#x017F;t einem Baum, auf den, bey hartem Knallen,</l><lb/>
              <l>Jm Sturme, Strahl auf Strahl aus fin&#x017F;tern Wolcken &#x017F;chla&#x0364;gt,</l><lb/>
              <l>So daß Blatt, Frucht und A&#x017F;t von &#x017F;einem Gipfel fallen,</l><lb/>
              <l>Wenn &#x017F;elb&#x017F;t den halben Stamm ein Blitz darnieder legt.</l><lb/>
              <l>Es zittert, wer es &#x017F;ieht. Die &#x017F;chu&#x0364;chtern Tauben weichen,</l><lb/>
              <l>Der Boden rings umher i&#x017F;t nur mit Graus bedeckt,</l><lb/>
              <l>Das Gras i&#x017F;t umgewu&#x0364;hlt, und von den kleinen Stra&#x0364;uchen,</l><lb/>
              <l>Liegt eine große Zahl zer&#x017F;chmettert hinge&#x017F;treckt.</l><lb/>
              <l>Ein matter Hirt entflieht mit u&#x0364;bereiltem Schritte,</l><lb/>
              <l>Und &#x017F;eufzt, daß ihm der Fall vor andern weh gethan,</l><lb/>
              <l>Weil die&#x017F;es Baumes Laub ihm &#x017F;elber Schirm und Hu&#x0364;tte</l><lb/>
              <l>Vor Sonn und Regen war, und klagt das Wetter an.</l><lb/>
              <l>Da &#x017F;iehe&#x017F;t du dein Bild, Du hochbe&#x017F;tu&#x0364;rtzter Hagen,</l><lb/>
              <l>Der Unfall, der dich trifft, er&#x017F;chreckt nicht dich allein</l><lb/>
              <l>Er hat &#x017F;o manches Hertz mit dir zugleich ge&#x017F;chlagen,</l><lb/>
              <l>Ja deine Traurigkeit i&#x017F;t vo&#x0364;llig allgemein.</l><lb/>
              <l>Es klagt nicht nur Bayreuth; das nahe Nu&#x0364;rnberg weinet,</l><lb/>
              <l>Das &#x017F;ie zur Welt gebracht und Dir zur Braut ge&#x017F;chenckt,</l><lb/>
              <l>Wo ihr beru&#x0364;hmt Ge&#x017F;chlecht in &#x017F;chwartzem Flor er&#x017F;cheinet,</l><lb/>
              <l>Und an der Tochter Tod mit tau&#x017F;end Aechzen denckt.</l><lb/>
              <l>Wie &#x017F;eufzt das Armuth nicht, dem &#x017F;ie mit offnen Ha&#x0364;nden,</l><lb/>
              <l>Die La&#x017F;t der Du&#x0364;rfftigkeit erleichtert und ver&#x017F;u&#x0364;ßt,</l><lb/>
              <l>Und dem die Za&#x0364;hren itzt fa&#x017F;t gar die Augen blenden,</l><lb/>
              <l>Seitdem es die&#x017F;en Tro&#x017F;t durch ihren Tod vermißt.</l><lb/>
              <fw place="bottom" type="sig">D d 2</fw>
              <fw place="bottom" type="catch">Wie</fw><lb/>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[419/0447] Von Elegien. Zwey Kinder! ein Gemahl! drey hoͤchſtgeliebte Leichen Raubt ihm ein harter Tag. Allein noch nicht genug. Es muß ihm noch ein Sohn, ein lieber Sohn erbleichen, Bevor man jene noch in ihre Graͤber trug. Verhaͤngniß! fuhr ich fort, wir ehren deine Schluͤſſe, Und tadeln keinen Rath, den deine Macht vollzieht, Doch ſtrafe nur dabey nicht unſre Thraͤnen-Guͤſſe, Wenn man von deinem Zorn dergleichen Proben ſieht Die Klagen ſind gerecht. Wer will die Zaͤhren ſchelten, Wenn ſolch ein herber Fall die Seelen niederſchlaͤgt? So laß uns denn, o GOtt! die Seufzer nicht entgelten, Dadurch ſich Gram und Leid ſchon an den Tag gelegt. Mein Goͤnner, dieſes war die allererſte Klage, Die dein Verluſt und Schmertz mir ploͤtzlich ausgepreſt, Vergieb die Kuͤhnheit nur dadurch ichs thraͤnend wage, Daß meine Feder dich dieſelbe leſen laͤſt. Dafern dein Kummer ſich allmaͤhlig ſo gemindert, Daß dein geſetzter Geiſt ſich wieder faſſen kan, Und keine Thraͤnen-Fluth den Strahl der Augen hindert, So ſchaue dieſes Blatt mit holden Blicken an. Du gleicheſt einem Baum, auf den, bey hartem Knallen, Jm Sturme, Strahl auf Strahl aus finſtern Wolcken ſchlaͤgt, So daß Blatt, Frucht und Aſt von ſeinem Gipfel fallen, Wenn ſelbſt den halben Stamm ein Blitz darnieder legt. Es zittert, wer es ſieht. Die ſchuͤchtern Tauben weichen, Der Boden rings umher iſt nur mit Graus bedeckt, Das Gras iſt umgewuͤhlt, und von den kleinen Straͤuchen, Liegt eine große Zahl zerſchmettert hingeſtreckt. Ein matter Hirt entflieht mit uͤbereiltem Schritte, Und ſeufzt, daß ihm der Fall vor andern weh gethan, Weil dieſes Baumes Laub ihm ſelber Schirm und Huͤtte Vor Sonn und Regen war, und klagt das Wetter an. Da ſieheſt du dein Bild, Du hochbeſtuͤrtzter Hagen, Der Unfall, der dich trifft, erſchreckt nicht dich allein Er hat ſo manches Hertz mit dir zugleich geſchlagen, Ja deine Traurigkeit iſt voͤllig allgemein. Es klagt nicht nur Bayreuth; das nahe Nuͤrnberg weinet, Das ſie zur Welt gebracht und Dir zur Braut geſchenckt, Wo ihr beruͤhmt Geſchlecht in ſchwartzem Flor erſcheinet, Und an der Tochter Tod mit tauſend Aechzen denckt. Wie ſeufzt das Armuth nicht, dem ſie mit offnen Haͤnden, Die Laſt der Duͤrfftigkeit erleichtert und verſuͤßt, Und dem die Zaͤhren itzt faſt gar die Augen blenden, Seitdem es dieſen Troſt durch ihren Tod vermißt. Wie D d 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/447
Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 419. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/447>, abgerufen am 19.04.2024.