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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

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Des II Theils IV Capitel
Weg hier mit Ammons That! der durch den Wollust Tempel,
Jn Thamars keuschem Arm die Bahn zur Grube fand.
Weg auch mit Absaloms verdammlichem Exempel!
Der voller Kronensucht nach Davids Leben stand.
Was Jacob dort gefühlt, was David hier empfunden,
Wie sonst manch böses Kind der Eltern Hertz gekränckt;
Jst noch so gantz und gar bey Menschen nicht verschwunden,
Jndem noch jederman mit Schrecken dran gedenckt.
Allein, man setze gar, daß wohlgerathne Kinder,
Der Eltern Augen-Lust ja Trost und Freude seyn;
Der Sorgen schwere Last wird doch dabey nicht minder,
Und tränckt die Eltern offt mit herbem Wermuth-Wein.
Manch frommer Sohn erblaßt, und füllet Sarg und Baare,
Und reißt der Mutter Hertz fast mit sich in die Grufft.
Ein andrer zieht davon, vergißt auf viele Jahre
Das liebe Vaterland in weit entfernter Lufft.
Die Töchter selber sind den Eltern nicht getreuer,
So bald sie mannbar sind, verlassen sie das Haus:
Denn meldet sich einmahl ein angenehmer Freyer,
So ziehn sie mehrentheils mit tausend Freuden aus.
Kein Ort ist so entfernt, kein Land so sehr entlegen,
Dahin Rebecca nicht zu ihrem Jacob eilt.
Da ist ihr weder Frost noch Hitze sehr entgegen,
Das liebe Jawort wird auf schneller Post ertheilt.
Da bleibt ein Vater denn der Kinder gar beraubet,
Die Mutter sieht ihr Haus von Sohn und Tochter leer;
Und wenn man hier dem Gram in ihren Blicken glaubet,
So scheint es anders nicht, als ob sie trostloß wär.
Was soll ich denn von dir, geliebte Schwester, sagen?
Jndem dich ebenfalls ein Liebes-Band bestrickt.
Es hat ein werther Freund dein Hertz davon getragen,
Und jedermann hält dich an seiner Brust beglückt.
Allein was wird dabey dein lieber Vater dencken,
Da Du die letzte bist, die er erzogen hat?
Wird dein Vermählungs-Tag nicht seine Seele kräncken?
Und findet wohl bey ihm die mindste Freude statt?
Drey Töchter waren ihm ans Licht der Welt gebohren,
Drey Töchter waren auch der Eltern Augen-Lust:
Allein die ersten zwo sind allbereits verlohren,
Und du betrübst nun auch die treue Vater-Brust.
Doch nein, ich irre sehr. Er wird dich täglich sehen,
Hannover bleibt ja noch dein steter Aufenthalt.
Da wird sein reger Blick nach deinem Hause gehen,
Daraus ihm lauter Glück und Lust entgegen schallt.
Du
Des II Theils IV Capitel
Weg hier mit Ammons That! der durch den Wolluſt Tempel,
Jn Thamars keuſchem Arm die Bahn zur Grube fand.
Weg auch mit Abſaloms verdammlichem Exempel!
Der voller Kronenſucht nach Davids Leben ſtand.
Was Jacob dort gefuͤhlt, was David hier empfunden,
Wie ſonſt manch boͤſes Kind der Eltern Hertz gekraͤnckt;
Jſt noch ſo gantz und gar bey Menſchen nicht verſchwunden,
Jndem noch jederman mit Schrecken dran gedenckt.
Allein, man ſetze gar, daß wohlgerathne Kinder,
Der Eltern Augen-Luſt ja Troſt und Freude ſeyn;
Der Sorgen ſchwere Laſt wird doch dabey nicht minder,
Und traͤnckt die Eltern offt mit herbem Wermuth-Wein.
Manch frommer Sohn erblaßt, und fuͤllet Sarg und Baare,
Und reißt der Mutter Hertz faſt mit ſich in die Grufft.
Ein andrer zieht davon, vergißt auf viele Jahre
Das liebe Vaterland in weit entfernter Lufft.
Die Toͤchter ſelber ſind den Eltern nicht getreuer,
So bald ſie mannbar ſind, verlaſſen ſie das Haus:
Denn meldet ſich einmahl ein angenehmer Freyer,
So ziehn ſie mehrentheils mit tauſend Freuden aus.
Kein Ort iſt ſo entfernt, kein Land ſo ſehr entlegen,
Dahin Rebecca nicht zu ihrem Jacob eilt.
Da iſt ihr weder Froſt noch Hitze ſehr entgegen,
Das liebe Jawort wird auf ſchneller Poſt ertheilt.
Da bleibt ein Vater denn der Kinder gar beraubet,
Die Mutter ſieht ihr Haus von Sohn und Tochter leer;
Und wenn man hier dem Gram in ihren Blicken glaubet,
So ſcheint es anders nicht, als ob ſie troſtloß waͤr.
Was ſoll ich denn von dir, geliebte Schweſter, ſagen?
Jndem dich ebenfalls ein Liebes-Band beſtrickt.
Es hat ein werther Freund dein Hertz davon getragen,
Und jedermann haͤlt dich an ſeiner Bruſt begluͤckt.
Allein was wird dabey dein lieber Vater dencken,
Da Du die letzte biſt, die er erzogen hat?
Wird dein Vermaͤhlungs-Tag nicht ſeine Seele kraͤncken?
Und findet wohl bey ihm die mindſte Freude ſtatt?
Drey Toͤchter waren ihm ans Licht der Welt gebohren,
Drey Toͤchter waren auch der Eltern Augen-Luſt:
Allein die erſten zwo ſind allbereits verlohren,
Und du betruͤbſt nun auch die treue Vater-Bruſt.
Doch nein, ich irre ſehr. Er wird dich taͤglich ſehen,
Hannover bleibt ja noch dein ſteter Aufenthalt.
Da wird ſein reger Blick nach deinem Hauſe gehen,
Daraus ihm lauter Gluͤck und Luſt entgegen ſchallt.
Du
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[426/0454] Des II Theils IV Capitel Weg hier mit Ammons That! der durch den Wolluſt Tempel, Jn Thamars keuſchem Arm die Bahn zur Grube fand. Weg auch mit Abſaloms verdammlichem Exempel! Der voller Kronenſucht nach Davids Leben ſtand. Was Jacob dort gefuͤhlt, was David hier empfunden, Wie ſonſt manch boͤſes Kind der Eltern Hertz gekraͤnckt; Jſt noch ſo gantz und gar bey Menſchen nicht verſchwunden, Jndem noch jederman mit Schrecken dran gedenckt. Allein, man ſetze gar, daß wohlgerathne Kinder, Der Eltern Augen-Luſt ja Troſt und Freude ſeyn; Der Sorgen ſchwere Laſt wird doch dabey nicht minder, Und traͤnckt die Eltern offt mit herbem Wermuth-Wein. Manch frommer Sohn erblaßt, und fuͤllet Sarg und Baare, Und reißt der Mutter Hertz faſt mit ſich in die Grufft. Ein andrer zieht davon, vergißt auf viele Jahre Das liebe Vaterland in weit entfernter Lufft. Die Toͤchter ſelber ſind den Eltern nicht getreuer, So bald ſie mannbar ſind, verlaſſen ſie das Haus: Denn meldet ſich einmahl ein angenehmer Freyer, So ziehn ſie mehrentheils mit tauſend Freuden aus. Kein Ort iſt ſo entfernt, kein Land ſo ſehr entlegen, Dahin Rebecca nicht zu ihrem Jacob eilt. Da iſt ihr weder Froſt noch Hitze ſehr entgegen, Das liebe Jawort wird auf ſchneller Poſt ertheilt. Da bleibt ein Vater denn der Kinder gar beraubet, Die Mutter ſieht ihr Haus von Sohn und Tochter leer; Und wenn man hier dem Gram in ihren Blicken glaubet, So ſcheint es anders nicht, als ob ſie troſtloß waͤr. Was ſoll ich denn von dir, geliebte Schweſter, ſagen? Jndem dich ebenfalls ein Liebes-Band beſtrickt. Es hat ein werther Freund dein Hertz davon getragen, Und jedermann haͤlt dich an ſeiner Bruſt begluͤckt. Allein was wird dabey dein lieber Vater dencken, Da Du die letzte biſt, die er erzogen hat? Wird dein Vermaͤhlungs-Tag nicht ſeine Seele kraͤncken? Und findet wohl bey ihm die mindſte Freude ſtatt? Drey Toͤchter waren ihm ans Licht der Welt gebohren, Drey Toͤchter waren auch der Eltern Augen-Luſt: Allein die erſten zwo ſind allbereits verlohren, Und du betruͤbſt nun auch die treue Vater-Bruſt. Doch nein, ich irre ſehr. Er wird dich taͤglich ſehen, Hannover bleibt ja noch dein ſteter Aufenthalt. Da wird ſein reger Blick nach deinem Hauſe gehen, Daraus ihm lauter Gluͤck und Luſt entgegen ſchallt. Du

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Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 426. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/454>, abgerufen am 28.03.2024.