Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

Bild:
<< vorherige Seite

Des II Theils V Capitel

So gieng es damahls auch, du Titus unsrer Zeit.
Und ob dein Sachsen gleich mit vieler Zärtlichkeit,
Nach deiner Gegenwart, der Quelle seines Lebens,
Sich allezeit gesehnt; so war es doch vergebens.
Das Glück Sarmatiens vertrug den Abzug nicht;
Jndessen huben wir ein brünstig Angesicht
Zum Sitz der Allmacht auf; und seufzten mit Verlangen:
O Himmel! laß uns doch den König bald empfangen!

Jedoch ein trüber Tag vergrößerte die Quaal.
Ach! welch ein neuer Schmertz betraf uns dazumahl,
Als alle Posten sich zu unsrer Pein verschworen,
Als jeder Bote sprach: Der König ist verlohren!
Wir wustens wohl, o Herr, daß Famens Unbedacht
Offt kleine Dinge groß und große klein gemacht,
Die Wahrheit offt verletzt und gar zu kühn gehandelt,
Die Kranckheit in den Tod, den Tod ins Grab verwandelt.
Allein der mindste Ruff von Friedrich Augusts Schmertz
So falsch er jemahls ist, betrübt ein jedes Hertz,
Das deine Gnade kennt. Drum galt auch hier kein zweifeln.
Man sah den Jammer schon aus unsern Augen treufeln,
Die Zeitung war gewiß, als man den Reichstag schloß,
Daß dir ein strenger Schmertz in deinen Schenckel schoß.
Die Aertzte riethens nicht um solcher Kranckheit willen,
Den Weg von Grodno aus bis Warschau zu erfüllen,
So daß Bialostock, ein unbekandter Ort,
Dein Kranckenbette ward: O Schmertzerfülltes Wort!
Hat darum, riefen wir, der König uns verlassen,
Und schien er darum denn den festen Schluß zu fassen,
Sein Pohlen zu erfreun; daß Schwachheit und Verdruß
Theils ihn belästigen, theils uns beschweren muß?
Ach! wäre doch August in Sachsenland geblieben,
Ach hätt ein Winck von ihm das Ungemach vertrieben,
So jenes Reich bedroht: So würde diese Pein,
So würde dieser Gram uns nicht begegnet seyn.
Warum betrübst du uns, du sonst geliebtes Pohlen?
Gib uns das Haupt zurück, das wir dir anbefohlen.
So sprach die Ungedult bey Kummer, Angst und Gram,
So offt von deinem Schmertz ein neuer Bote kam.
Nicht zwar, als hätt uns hier bey deinem Aussenbleiben,
Ein würdig Haupt gefehlt, das große Werck zu treiben,
Das du in Gegenwart sonst selbst zu treiben pflegst.
Ach nein! der Sorgen Last, die du sonst selber trägst,
Hat dein Durchlauchter Printz, zu jedermanns Behagen,
An deiner statt, o Herr, ja fast wie du, getragen.
Dein

Des II Theils V Capitel

So gieng es damahls auch, du Titus unſrer Zeit.
Und ob dein Sachſen gleich mit vieler Zaͤrtlichkeit,
Nach deiner Gegenwart, der Quelle ſeines Lebens,
Sich allezeit geſehnt; ſo war es doch vergebens.
Das Gluͤck Sarmatiens vertrug den Abzug nicht;
Jndeſſen huben wir ein bruͤnſtig Angeſicht
Zum Sitz der Allmacht auf; und ſeufzten mit Verlangen:
O Himmel! laß uns doch den Koͤnig bald empfangen!

Jedoch ein truͤber Tag vergroͤßerte die Quaal.
Ach! welch ein neuer Schmertz betraf uns dazumahl,
Als alle Poſten ſich zu unſrer Pein verſchworen,
Als jeder Bote ſprach: Der Koͤnig iſt verlohren!
Wir wuſtens wohl, o Herr, daß Famens Unbedacht
Offt kleine Dinge groß und große klein gemacht,
Die Wahrheit offt verletzt und gar zu kuͤhn gehandelt,
Die Kranckheit in den Tod, den Tod ins Grab verwandelt.
Allein der mindſte Ruff von Friedrich Auguſts Schmertz
So falſch er jemahls iſt, betruͤbt ein jedes Hertz,
Das deine Gnade kennt. Drum galt auch hier kein zweifeln.
Man ſah den Jammer ſchon aus unſern Augen treufeln,
Die Zeitung war gewiß, als man den Reichstag ſchloß,
Daß dir ein ſtrenger Schmertz in deinen Schenckel ſchoß.
Die Aertzte riethens nicht um ſolcher Kranckheit willen,
Den Weg von Grodno aus bis Warſchau zu erfuͤllen,
So daß Bialoſtock, ein unbekandter Ort,
Dein Kranckenbette ward: O Schmertzerfuͤlltes Wort!
Hat darum, riefen wir, der Koͤnig uns verlaſſen,
Und ſchien er darum denn den feſten Schluß zu faſſen,
Sein Pohlen zu erfreun; daß Schwachheit und Verdruß
Theils ihn belaͤſtigen, theils uns beſchweren muß?
Ach! waͤre doch Auguſt in Sachſenland geblieben,
Ach haͤtt ein Winck von ihm das Ungemach vertrieben,
So jenes Reich bedroht: So wuͤrde dieſe Pein,
So wuͤrde dieſer Gram uns nicht begegnet ſeyn.
Warum betruͤbſt du uns, du ſonſt geliebtes Pohlen?
Gib uns das Haupt zuruͤck, das wir dir anbefohlen.
So ſprach die Ungedult bey Kummer, Angſt und Gram,
So offt von deinem Schmertz ein neuer Bote kam.
Nicht zwar, als haͤtt uns hier bey deinem Auſſenbleiben,
Ein wuͤrdig Haupt gefehlt, das große Werck zu treiben,
Das du in Gegenwart ſonſt ſelbſt zu treiben pflegſt.
Ach nein! der Sorgen Laſt, die du ſonſt ſelber traͤgſt,
Hat dein Durchlauchter Printz, zu jedermanns Behagen,
An deiner ſtatt, o Herr, ja faſt wie du, getragen.
Dein
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg type="poem">
              <lg n="3">
                <l>
                  <pb facs="#f0470" n="442"/>
                  <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Des <hi rendition="#aq">II</hi> Theils <hi rendition="#aq">V</hi> Capitel</hi> </fw>
                </l><lb/>
                <l>So gieng es damahls auch, du Titus un&#x017F;rer Zeit.</l><lb/>
                <l>Und ob dein Sach&#x017F;en gleich mit vieler Za&#x0364;rtlichkeit,</l><lb/>
                <l>Nach deiner Gegenwart, der Quelle &#x017F;eines Lebens,</l><lb/>
                <l>Sich allezeit ge&#x017F;ehnt; &#x017F;o war es doch vergebens.</l><lb/>
                <l>Das Glu&#x0364;ck Sarmatiens vertrug den Abzug nicht;</l><lb/>
                <l>Jnde&#x017F;&#x017F;en huben wir ein bru&#x0364;n&#x017F;tig Ange&#x017F;icht</l><lb/>
                <l>Zum Sitz der Allmacht auf; und &#x017F;eufzten mit Verlangen:</l><lb/>
                <l>O Himmel! laß uns doch den Ko&#x0364;nig bald empfangen!</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="4">
                <l>Jedoch ein tru&#x0364;ber Tag vergro&#x0364;ßerte die Quaal.</l><lb/>
                <l>Ach! welch ein neuer Schmertz betraf uns dazumahl,</l><lb/>
                <l>Als alle Po&#x017F;ten &#x017F;ich zu un&#x017F;rer Pein ver&#x017F;chworen,</l><lb/>
                <l>Als jeder Bote &#x017F;prach: Der Ko&#x0364;nig i&#x017F;t verlohren!</l><lb/>
                <l>Wir wu&#x017F;tens wohl, o Herr, daß Famens Unbedacht</l><lb/>
                <l>Offt kleine Dinge groß und große klein gemacht,</l><lb/>
                <l>Die Wahrheit offt verletzt und gar zu ku&#x0364;hn gehandelt,</l><lb/>
                <l>Die Kranckheit in den Tod, den Tod ins Grab verwandelt.</l><lb/>
                <l>Allein der mind&#x017F;te Ruff von Friedrich Augu&#x017F;ts Schmertz</l><lb/>
                <l>So fal&#x017F;ch er jemahls i&#x017F;t, betru&#x0364;bt ein jedes Hertz,</l><lb/>
                <l>Das deine Gnade kennt. Drum galt auch hier kein zweifeln.</l><lb/>
                <l>Man &#x017F;ah den Jammer &#x017F;chon aus un&#x017F;ern Augen treufeln,</l><lb/>
                <l>Die Zeitung war gewiß, als man den Reichstag &#x017F;chloß,</l><lb/>
                <l>Daß dir ein &#x017F;trenger Schmertz in deinen Schenckel &#x017F;choß.</l><lb/>
                <l>Die Aertzte riethens nicht um &#x017F;olcher Kranckheit willen,</l><lb/>
                <l>Den Weg von Grodno aus bis War&#x017F;chau zu erfu&#x0364;llen,</l><lb/>
                <l>So daß Bialo&#x017F;tock, ein unbekandter Ort,</l><lb/>
                <l>Dein Kranckenbette ward: O Schmertzerfu&#x0364;lltes Wort!</l><lb/>
                <l>Hat darum, riefen wir, der Ko&#x0364;nig uns verla&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
                <l>Und &#x017F;chien er darum denn den fe&#x017F;ten Schluß zu fa&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
                <l>Sein Pohlen zu erfreun; daß Schwachheit und Verdruß</l><lb/>
                <l>Theils ihn bela&#x0364;&#x017F;tigen, theils uns be&#x017F;chweren muß?</l><lb/>
                <l>Ach! wa&#x0364;re doch Augu&#x017F;t in Sach&#x017F;enland geblieben,</l><lb/>
                <l>Ach ha&#x0364;tt ein Winck von ihm das Ungemach vertrieben,</l><lb/>
                <l>So jenes Reich bedroht: So wu&#x0364;rde die&#x017F;e Pein,</l><lb/>
                <l>So wu&#x0364;rde die&#x017F;er Gram uns nicht begegnet &#x017F;eyn.</l><lb/>
                <l>Warum betru&#x0364;b&#x017F;t du uns, du &#x017F;on&#x017F;t geliebtes Pohlen?</l><lb/>
                <l>Gib uns das Haupt zuru&#x0364;ck, das wir dir anbefohlen.</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="5">
                <l>So &#x017F;prach die Ungedult bey Kummer, Ang&#x017F;t und Gram,</l><lb/>
                <l>So offt von deinem Schmertz ein neuer Bote kam.</l><lb/>
                <l>Nicht zwar, als ha&#x0364;tt uns hier bey deinem Au&#x017F;&#x017F;enbleiben,</l><lb/>
                <l>Ein wu&#x0364;rdig Haupt gefehlt, das große Werck zu treiben,</l><lb/>
                <l>Das du in Gegenwart &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;elb&#x017F;t zu treiben pfleg&#x017F;t.</l><lb/>
                <l>Ach nein! der Sorgen La&#x017F;t, die du &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;elber tra&#x0364;g&#x017F;t,</l><lb/>
                <l>Hat dein Durchlauchter Printz, zu jedermanns Behagen,</l><lb/>
                <l>An deiner &#x017F;tatt, o Herr, ja fa&#x017F;t wie du, getragen.<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Dein</fw><lb/></l>
              </lg>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[442/0470] Des II Theils V Capitel So gieng es damahls auch, du Titus unſrer Zeit. Und ob dein Sachſen gleich mit vieler Zaͤrtlichkeit, Nach deiner Gegenwart, der Quelle ſeines Lebens, Sich allezeit geſehnt; ſo war es doch vergebens. Das Gluͤck Sarmatiens vertrug den Abzug nicht; Jndeſſen huben wir ein bruͤnſtig Angeſicht Zum Sitz der Allmacht auf; und ſeufzten mit Verlangen: O Himmel! laß uns doch den Koͤnig bald empfangen! Jedoch ein truͤber Tag vergroͤßerte die Quaal. Ach! welch ein neuer Schmertz betraf uns dazumahl, Als alle Poſten ſich zu unſrer Pein verſchworen, Als jeder Bote ſprach: Der Koͤnig iſt verlohren! Wir wuſtens wohl, o Herr, daß Famens Unbedacht Offt kleine Dinge groß und große klein gemacht, Die Wahrheit offt verletzt und gar zu kuͤhn gehandelt, Die Kranckheit in den Tod, den Tod ins Grab verwandelt. Allein der mindſte Ruff von Friedrich Auguſts Schmertz So falſch er jemahls iſt, betruͤbt ein jedes Hertz, Das deine Gnade kennt. Drum galt auch hier kein zweifeln. Man ſah den Jammer ſchon aus unſern Augen treufeln, Die Zeitung war gewiß, als man den Reichstag ſchloß, Daß dir ein ſtrenger Schmertz in deinen Schenckel ſchoß. Die Aertzte riethens nicht um ſolcher Kranckheit willen, Den Weg von Grodno aus bis Warſchau zu erfuͤllen, So daß Bialoſtock, ein unbekandter Ort, Dein Kranckenbette ward: O Schmertzerfuͤlltes Wort! Hat darum, riefen wir, der Koͤnig uns verlaſſen, Und ſchien er darum denn den feſten Schluß zu faſſen, Sein Pohlen zu erfreun; daß Schwachheit und Verdruß Theils ihn belaͤſtigen, theils uns beſchweren muß? Ach! waͤre doch Auguſt in Sachſenland geblieben, Ach haͤtt ein Winck von ihm das Ungemach vertrieben, So jenes Reich bedroht: So wuͤrde dieſe Pein, So wuͤrde dieſer Gram uns nicht begegnet ſeyn. Warum betruͤbſt du uns, du ſonſt geliebtes Pohlen? Gib uns das Haupt zuruͤck, das wir dir anbefohlen. So ſprach die Ungedult bey Kummer, Angſt und Gram, So offt von deinem Schmertz ein neuer Bote kam. Nicht zwar, als haͤtt uns hier bey deinem Auſſenbleiben, Ein wuͤrdig Haupt gefehlt, das große Werck zu treiben, Das du in Gegenwart ſonſt ſelbſt zu treiben pflegſt. Ach nein! der Sorgen Laſt, die du ſonſt ſelber traͤgſt, Hat dein Durchlauchter Printz, zu jedermanns Behagen, An deiner ſtatt, o Herr, ja faſt wie du, getragen. Dein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/470
Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 442. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/470>, abgerufen am 23.04.2024.