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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

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Des II Theils V Capitel

Ein Schüler macht zur Noth ein Nachbild fremder Wercke;
Du sinnst was eignes aus und zeigest uns die Stärcke
Des Geistes der dich treibt, der durch die rege Krafft
Dem Schöpffer ähnlich wird und stets was neues schafft.
So kanst du denn mit Recht die Gallier verlachen,
Und Welschlands Uebermuth und Ruhm zu Schanden machen,
Die eine deutsche Faust vor viel zu dumm geschätzt,
Als daß sie selbst einmahl ein Bild ins Werck gesetzt,
Was sie zuerst erfand. Es ist sehr offt geschehen,
Daß dich die Frantzen selbst vor Fräntzisch angesehen,
Die Welschen gar vor welsch, (so fertig spricht dein Mund
Den beyden Völckern nach, daß der Betrug bestund,)
Doch wenn sie neben dir dein Meisterstück betrachtet,
Und stoltz auf deine Kunst, der Deutschen Witz verachtet,
Des Risses Schönheit, Geist, und Ordnung angemerckt,
Und ihren Wahn dadurch noch mehr und mehr bestärckt;
Hast du dich selbst entdeckt, und ihrem Stoltz zu Schanden
Dein deutsches Vaterland gantz frey heraus gestanden.

Jch schweige, Künstlerin, wie deines Pinsels Fleiß
Der Vorschrifft der Natur so scharf zu folgen weiß;
Dein kleines Hündchen läuft vor dem gemahlten Hunde,
Und bellt dein Kunststück an, so ihm vor Augen stunde.
Jch schweige, daß die Welt zwar vieler Frauen Geist,
Jn mancher andern Kunst, doch nicht in deiner preist:
Jndem wir fast kein Weib in den Geschichten lesen,
Die eine Meisterin der Mahler-Kunst gewesen.
Jch schweige, wie du dich in Büchern umgesehn,
Wie du, was vor der Zeit im Alterthum geschehn,
Auf deinen Fingern zehlst; die Fabeln der Poeten,
Die Sittenlehre kennst. Denn was ist das vonnöthen?
Das Lob der Mahler-Kunst, schließt alles dieß schon ein,
Und wer das nicht versteht, der kan kein Meister seyn.
O wenn mein Opitz nur aus seinem Grabe blickte,
Der seinen Strobel sonst der Sterblichkeit entrückte,
Und deine Bilder säh: wie würd er sich bemühn,
Dich, edle Wernerin, mit Ruhm hervor zu ziehn,
Und deines Pinsels Kunst weit würdiger zu loben,
Als seines Schülers Kiel hier dich und sie erhoben!
VII. Schreiben
An ein paar Landesleute nach Halle bey ihrer
Magister-Promotion 1728.
Was hör ich? Jst es wahr? Jhr Freunde, zeigt mir an,
Wie weit ich dem Bericht aus Halle glauben kan?
Man

Des II Theils V Capitel

Ein Schuͤler macht zur Noth ein Nachbild fremder Wercke;
Du ſinnſt was eignes aus und zeigeſt uns die Staͤrcke
Des Geiſtes der dich treibt, der durch die rege Krafft
Dem Schoͤpffer aͤhnlich wird und ſtets was neues ſchafft.
So kanſt du denn mit Recht die Gallier verlachen,
Und Welſchlands Uebermuth und Ruhm zu Schanden machen,
Die eine deutſche Fauſt vor viel zu dumm geſchaͤtzt,
Als daß ſie ſelbſt einmahl ein Bild ins Werck geſetzt,
Was ſie zuerſt erfand. Es iſt ſehr offt geſchehen,
Daß dich die Frantzen ſelbſt vor Fraͤntziſch angeſehen,
Die Welſchen gar vor welſch, (ſo fertig ſpricht dein Mund
Den beyden Voͤlckern nach, daß der Betrug beſtund,)
Doch wenn ſie neben dir dein Meiſterſtuͤck betrachtet,
Und ſtoltz auf deine Kunſt, der Deutſchen Witz verachtet,
Des Riſſes Schoͤnheit, Geiſt, und Ordnung angemerckt,
Und ihren Wahn dadurch noch mehr und mehr beſtaͤrckt;
Haſt du dich ſelbſt entdeckt, und ihrem Stoltz zu Schanden
Dein deutſches Vaterland gantz frey heraus geſtanden.

Jch ſchweige, Kuͤnſtlerin, wie deines Pinſels Fleiß
Der Vorſchrifft der Natur ſo ſcharf zu folgen weiß;
Dein kleines Huͤndchen laͤuft vor dem gemahlten Hunde,
Und bellt dein Kunſtſtuͤck an, ſo ihm vor Augen ſtunde.
Jch ſchweige, daß die Welt zwar vieler Frauen Geiſt,
Jn mancher andern Kunſt, doch nicht in deiner preiſt:
Jndem wir faſt kein Weib in den Geſchichten leſen,
Die eine Meiſterin der Mahler-Kunſt geweſen.
Jch ſchweige, wie du dich in Buͤchern umgeſehn,
Wie du, was vor der Zeit im Alterthum geſchehn,
Auf deinen Fingern zehlſt; die Fabeln der Poeten,
Die Sittenlehre kennſt. Denn was iſt das vonnoͤthen?
Das Lob der Mahler-Kunſt, ſchließt alles dieß ſchon ein,
Und wer das nicht verſteht, der kan kein Meiſter ſeyn.
O wenn mein Opitz nur aus ſeinem Grabe blickte,
Der ſeinen Strobel ſonſt der Sterblichkeit entruͤckte,
Und deine Bilder ſaͤh: wie wuͤrd er ſich bemuͤhn,
Dich, edle Wernerin, mit Ruhm hervor zu ziehn,
Und deines Pinſels Kunſt weit wuͤrdiger zu loben,
Als ſeines Schuͤlers Kiel hier dich und ſie erhoben!
VII. Schreiben
An ein paar Landesleute nach Halle bey ihrer
Magiſter-Promotion 1728.
Was hoͤr ich? Jſt es wahr? Jhr Freunde, zeigt mir an,
Wie weit ich dem Bericht aus Halle glauben kan?
Man
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[454/0482] Des II Theils V Capitel Ein Schuͤler macht zur Noth ein Nachbild fremder Wercke; Du ſinnſt was eignes aus und zeigeſt uns die Staͤrcke Des Geiſtes der dich treibt, der durch die rege Krafft Dem Schoͤpffer aͤhnlich wird und ſtets was neues ſchafft. So kanſt du denn mit Recht die Gallier verlachen, Und Welſchlands Uebermuth und Ruhm zu Schanden machen, Die eine deutſche Fauſt vor viel zu dumm geſchaͤtzt, Als daß ſie ſelbſt einmahl ein Bild ins Werck geſetzt, Was ſie zuerſt erfand. Es iſt ſehr offt geſchehen, Daß dich die Frantzen ſelbſt vor Fraͤntziſch angeſehen, Die Welſchen gar vor welſch, (ſo fertig ſpricht dein Mund Den beyden Voͤlckern nach, daß der Betrug beſtund,) Doch wenn ſie neben dir dein Meiſterſtuͤck betrachtet, Und ſtoltz auf deine Kunſt, der Deutſchen Witz verachtet, Des Riſſes Schoͤnheit, Geiſt, und Ordnung angemerckt, Und ihren Wahn dadurch noch mehr und mehr beſtaͤrckt; Haſt du dich ſelbſt entdeckt, und ihrem Stoltz zu Schanden Dein deutſches Vaterland gantz frey heraus geſtanden. Jch ſchweige, Kuͤnſtlerin, wie deines Pinſels Fleiß Der Vorſchrifft der Natur ſo ſcharf zu folgen weiß; Dein kleines Huͤndchen laͤuft vor dem gemahlten Hunde, Und bellt dein Kunſtſtuͤck an, ſo ihm vor Augen ſtunde. Jch ſchweige, daß die Welt zwar vieler Frauen Geiſt, Jn mancher andern Kunſt, doch nicht in deiner preiſt: Jndem wir faſt kein Weib in den Geſchichten leſen, Die eine Meiſterin der Mahler-Kunſt geweſen. Jch ſchweige, wie du dich in Buͤchern umgeſehn, Wie du, was vor der Zeit im Alterthum geſchehn, Auf deinen Fingern zehlſt; die Fabeln der Poeten, Die Sittenlehre kennſt. Denn was iſt das vonnoͤthen? Das Lob der Mahler-Kunſt, ſchließt alles dieß ſchon ein, Und wer das nicht verſteht, der kan kein Meiſter ſeyn. O wenn mein Opitz nur aus ſeinem Grabe blickte, Der ſeinen Strobel ſonſt der Sterblichkeit entruͤckte, Und deine Bilder ſaͤh: wie wuͤrd er ſich bemuͤhn, Dich, edle Wernerin, mit Ruhm hervor zu ziehn, Und deines Pinſels Kunſt weit wuͤrdiger zu loben, Als ſeines Schuͤlers Kiel hier dich und ſie erhoben! VII. Schreiben An ein paar Landesleute nach Halle bey ihrer Magiſter-Promotion 1728. Was hoͤr ich? Jſt es wahr? Jhr Freunde, zeigt mir an, Wie weit ich dem Bericht aus Halle glauben kan? Man

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Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 454. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/482>, abgerufen am 23.04.2024.