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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

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Des II Theils VI Capitel
machte nun Homer ein Strafgedichte, welches er von den
oben erwehnten Fehlern der Grobheit und Schandbarkeit
befreyete: und gab uns also nach Aristotelis Urtheile, die
erste Jdee von einer guten Satire, wie er uns von Helden-
Gedichten das erste gute Muster gemacht. Da aber diese
seinen Nachfolgern Gelegenheit gegeben, die Tragödie zu
erfinden; so hat auch jene, nehmlich die Satire, zur Er-
findung der Comödie Anlaß gegeben.

Jn eben dem Capitel erwehnt Aristoteles, daß man
noch bis auf seine Zeiten, in vielen Städten satirische Lieder
voller Zoten gesungen, ja daß sie so gar durch öffentliche
Gesetze eingeführet gewesen. Jndessen fielen doch die be-
sten Poeten, die zur Satire ein Naturell hatten, auf die
Comödie, die endlich durch den Archilochus, Eupolis, Cra-
tinus, Aristophanes und Menander zur Vollkommenheit ge-
bracht wurde. Denn so beschreibt sie Horatz in seiner IV.
Sat. des I. B.

Eupolis atque Cratinus Aristophanesque Poetae,
Atque alii, quorum Comoedia prisca virorum est,
Si quis erat dignus describi, quod malus, aut fur;
Quod moechus foret, aut sicarius, aut alioqui
Famosus; multa cum libertate notabant.

Dieses zeigt uns nun sattsam, was das innere Wesen ih-
rer Satiren gewesen. Sie waren Abschilderungen laster-
haffter oder thörichter Leute, die sich durch ihre Bosheit
und närrische Lebensart schon selbst bekannt gemacht hatten.
Jn freyen Republicken, dergleichen in Griechenland überall
waren, stund dieses einem Poeten frey. Und da es zwi-
schen den Vornehmen und Geringern allezeit Mißhelligkei-
ten gab, so sah es das Volck gern, wenn auch die obrig-
keitlichen Personen, ja die Fürsten gantzer Städte wacker
herumgenommen wurden. Als aber die Grossen das Ru-
der des gemeinen Wesens in die Hände bekamen: so
wurde diese poetische Freyheit sehr eingeschräncket; wie
unten in dem Capitel von der Comödie mit mehrerm vor-
kommen soll.

Bey den Lateinern sind auch schon in alten Zeiten die

Fescen-

Des II Theils VI Capitel
machte nun Homer ein Strafgedichte, welches er von den
oben erwehnten Fehlern der Grobheit und Schandbarkeit
befreyete: und gab uns alſo nach Ariſtotelis Urtheile, die
erſte Jdee von einer guten Satire, wie er uns von Helden-
Gedichten das erſte gute Muſter gemacht. Da aber dieſe
ſeinen Nachfolgern Gelegenheit gegeben, die Tragoͤdie zu
erfinden; ſo hat auch jene, nehmlich die Satire, zur Er-
findung der Comoͤdie Anlaß gegeben.

Jn eben dem Capitel erwehnt Ariſtoteles, daß man
noch bis auf ſeine Zeiten, in vielen Staͤdten ſatiriſche Lieder
voller Zoten geſungen, ja daß ſie ſo gar durch oͤffentliche
Geſetze eingefuͤhret geweſen. Jndeſſen fielen doch die be-
ſten Poeten, die zur Satire ein Naturell hatten, auf die
Comoͤdie, die endlich durch den Archilochus, Eupolis, Cra-
tinus, Ariſtophanes und Menander zur Vollkommenheit ge-
bracht wurde. Denn ſo beſchreibt ſie Horatz in ſeiner IV.
Sat. des I. B.

Eupolis atque Cratinus Ariſtophanesque Poetae,
Atque alii, quorum Comoedia priſca virorum eſt,
Si quis erat dignus deſcribi, quod malus, aut fur;
Quod moechus foret, aut ſicarius, aut alioqui
Famoſus; multa cum libertate notabant.

Dieſes zeigt uns nun ſattſam, was das innere Weſen ih-
rer Satiren geweſen. Sie waren Abſchilderungen laſter-
haffter oder thoͤrichter Leute, die ſich durch ihre Bosheit
und naͤrriſche Lebensart ſchon ſelbſt bekannt gemacht hatten.
Jn freyen Republicken, dergleichen in Griechenland uͤberall
waren, ſtund dieſes einem Poeten frey. Und da es zwi-
ſchen den Vornehmen und Geringern allezeit Mißhelligkei-
ten gab, ſo ſah es das Volck gern, wenn auch die obrig-
keitlichen Perſonen, ja die Fuͤrſten gantzer Staͤdte wacker
herumgenommen wurden. Als aber die Groſſen das Ru-
der des gemeinen Weſens in die Haͤnde bekamen: ſo
wurde dieſe poetiſche Freyheit ſehr eingeſchraͤncket; wie
unten in dem Capitel von der Comoͤdie mit mehrerm vor-
kommen ſoll.

Bey den Lateinern ſind auch ſchon in alten Zeiten die

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[458/0486] Des II Theils VI Capitel machte nun Homer ein Strafgedichte, welches er von den oben erwehnten Fehlern der Grobheit und Schandbarkeit befreyete: und gab uns alſo nach Ariſtotelis Urtheile, die erſte Jdee von einer guten Satire, wie er uns von Helden- Gedichten das erſte gute Muſter gemacht. Da aber dieſe ſeinen Nachfolgern Gelegenheit gegeben, die Tragoͤdie zu erfinden; ſo hat auch jene, nehmlich die Satire, zur Er- findung der Comoͤdie Anlaß gegeben. Jn eben dem Capitel erwehnt Ariſtoteles, daß man noch bis auf ſeine Zeiten, in vielen Staͤdten ſatiriſche Lieder voller Zoten geſungen, ja daß ſie ſo gar durch oͤffentliche Geſetze eingefuͤhret geweſen. Jndeſſen fielen doch die be- ſten Poeten, die zur Satire ein Naturell hatten, auf die Comoͤdie, die endlich durch den Archilochus, Eupolis, Cra- tinus, Ariſtophanes und Menander zur Vollkommenheit ge- bracht wurde. Denn ſo beſchreibt ſie Horatz in ſeiner IV. Sat. des I. B. Eupolis atque Cratinus Ariſtophanesque Poetae, Atque alii, quorum Comoedia priſca virorum eſt, Si quis erat dignus deſcribi, quod malus, aut fur; Quod moechus foret, aut ſicarius, aut alioqui Famoſus; multa cum libertate notabant. Dieſes zeigt uns nun ſattſam, was das innere Weſen ih- rer Satiren geweſen. Sie waren Abſchilderungen laſter- haffter oder thoͤrichter Leute, die ſich durch ihre Bosheit und naͤrriſche Lebensart ſchon ſelbſt bekannt gemacht hatten. Jn freyen Republicken, dergleichen in Griechenland uͤberall waren, ſtund dieſes einem Poeten frey. Und da es zwi- ſchen den Vornehmen und Geringern allezeit Mißhelligkei- ten gab, ſo ſah es das Volck gern, wenn auch die obrig- keitlichen Perſonen, ja die Fuͤrſten gantzer Staͤdte wacker herumgenommen wurden. Als aber die Groſſen das Ru- der des gemeinen Weſens in die Haͤnde bekamen: ſo wurde dieſe poetiſche Freyheit ſehr eingeſchraͤncket; wie unten in dem Capitel von der Comoͤdie mit mehrerm vor- kommen ſoll. Bey den Lateinern ſind auch ſchon in alten Zeiten die Feſcen-

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Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 458. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/486>, abgerufen am 29.03.2024.