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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

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Des II Theils VIII Capitel

Gesetzt, daß Tausende das Gold der Zeit verschwenden,
Und durch den Müßiggang den Fluß der Stunden schänden,
Genug, daß hie und da ein Kluger durch den Fleiß
Fast jeden Augenblick geschickt zu nutzen weiß.
Ach sey nur aufmercksam, du wirst sie schon erblicken,
Und sey nicht mehr so frech mein Schicksal zu verrücken.
Was liegst du Träger da? Verlaß den wüsten Ort,
Greiff Uhr und Sensen an, und eile wieder fort.

Die Wolcken schlossen sich, das helle Licht verschwand,
Der Alte hub den Leib mit unterstützter Hand,
Aus seinem Lager auf; drauf dehnten sich die Flügel
Mit neuen Kräfften aus, so daß der nahe Hügel
Ein sausendes Geräusch zurücke schallen ließ.
Jch spürte, daß der Sturm von neuem wieder bließ,
Er fieng sehr plötzlich an mit ungemeinem Rasen
Und grosser Hefftigkeit von Osten her zu blasen.
Der Greis verließ den Platz, der Sturmwind hub ihn auf,
Man sah ihn; er verschwand, und ich erwachte drauf.
Mein Mencke, zürne nicht, daß dies geringe Blatt,
Mein neuliches Gesicht dir vorgemahlet hat.
Du hörst das Bild der Zeit von seinem Mißbrauch klagen,
Allein, du hörest nichts zu deinem Vorwurf sagen.
Du kanst ein Beyspiel seyn, daran ein jederman,
Von ungemeinem Fleiß ein Muster schauen kan.
Minerva zehlt dich itzt zu ihren liebsten Söhnen,
Sie läst dein kluges Haupt mit Lorber-Reisern krönen,
Die du sowohl verdienst. Und da sie dieses thut,
Beweget sich in mir das treugesinnte Blut.
Mein Hertze wallt vor Lust bey diesen Ehren-Stuffen,
Dahin dich dein Verstand und Fähigkeit geruffen.
Wie mancher wundert sich, daß dies so bald geschehn?
Allein, wer dich nur kennt, wird sonder Zweifel sehn,
Die Lehrer-Würde sey, sowohl vor deine Jugend,
Als manchem Alten sonst, ein Lohn bekannter Tugend.
Man weiß, wie wohl du stets die edle Zeit verwandt,
Wie du bey Tag und Nacht nach Weisheit und Verstand,
Und Wissenschafft gestrebt; ja wie so wenig Stunden
Dir in Ergötzungen und Zärtlichkeit verschwunden.
Die Ehre war dein Sporn, der nie die Krafft verlohr,
Es kam dir stets das Bild des grossen Vaters vor,
Das deiner Triebe Macht mit neuer Reitzung rührte,
Und dich nach Adler-Art zur Tugend-Sonne führte.
Du folgest, wenn er winckt, mit muntern Schritten nach.
Denn was ein alter Held von Ehren-Seulen sprach:
Sie

Des II Theils VIII Capitel

Geſetzt, daß Tauſende das Gold der Zeit verſchwenden,
Und durch den Muͤßiggang den Fluß der Stunden ſchaͤnden,
Genug, daß hie und da ein Kluger durch den Fleiß
Faſt jeden Augenblick geſchickt zu nutzen weiß.
Ach ſey nur aufmerckſam, du wirſt ſie ſchon erblicken,
Und ſey nicht mehr ſo frech mein Schickſal zu verruͤcken.
Was liegſt du Traͤger da? Verlaß den wuͤſten Ort,
Greiff Uhr und Senſen an, und eile wieder fort.

Die Wolcken ſchloſſen ſich, das helle Licht verſchwand,
Der Alte hub den Leib mit unterſtuͤtzter Hand,
Aus ſeinem Lager auf; drauf dehnten ſich die Fluͤgel
Mit neuen Kraͤfften aus, ſo daß der nahe Huͤgel
Ein ſauſendes Geraͤuſch zuruͤcke ſchallen ließ.
Jch ſpuͤrte, daß der Sturm von neuem wieder bließ,
Er fieng ſehr ploͤtzlich an mit ungemeinem Raſen
Und groſſer Hefftigkeit von Oſten her zu blaſen.
Der Greis verließ den Platz, der Sturmwind hub ihn auf,
Man ſah ihn; er verſchwand, und ich erwachte drauf.
Mein Mencke, zuͤrne nicht, daß dies geringe Blatt,
Mein neuliches Geſicht dir vorgemahlet hat.
Du hoͤrſt das Bild der Zeit von ſeinem Mißbrauch klagen,
Allein, du hoͤreſt nichts zu deinem Vorwurf ſagen.
Du kanſt ein Beyſpiel ſeyn, daran ein jederman,
Von ungemeinem Fleiß ein Muſter ſchauen kan.
Minerva zehlt dich itzt zu ihren liebſten Soͤhnen,
Sie laͤſt dein kluges Haupt mit Lorber-Reiſern kroͤnen,
Die du ſowohl verdienſt. Und da ſie dieſes thut,
Beweget ſich in mir das treugeſinnte Blut.
Mein Hertze wallt vor Luſt bey dieſen Ehren-Stuffen,
Dahin dich dein Verſtand und Faͤhigkeit geruffen.
Wie mancher wundert ſich, daß dies ſo bald geſchehn?
Allein, wer dich nur kennt, wird ſonder Zweifel ſehn,
Die Lehrer-Wuͤrde ſey, ſowohl vor deine Jugend,
Als manchem Alten ſonſt, ein Lohn bekannter Tugend.
Man weiß, wie wohl du ſtets die edle Zeit verwandt,
Wie du bey Tag und Nacht nach Weisheit und Verſtand,
Und Wiſſenſchafft geſtrebt; ja wie ſo wenig Stunden
Dir in Ergoͤtzungen und Zaͤrtlichkeit verſchwunden.
Die Ehre war dein Sporn, der nie die Krafft verlohr,
Es kam dir ſtets das Bild des groſſen Vaters vor,
Das deiner Triebe Macht mit neuer Reitzung ruͤhrte,
Und dich nach Adler-Art zur Tugend-Sonne fuͤhrte.
Du folgeſt, wenn er winckt, mit muntern Schritten nach.
Denn was ein alter Held von Ehren-Seulen ſprach:
Sie
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[536/0564] Des II Theils VIII Capitel Geſetzt, daß Tauſende das Gold der Zeit verſchwenden, Und durch den Muͤßiggang den Fluß der Stunden ſchaͤnden, Genug, daß hie und da ein Kluger durch den Fleiß Faſt jeden Augenblick geſchickt zu nutzen weiß. Ach ſey nur aufmerckſam, du wirſt ſie ſchon erblicken, Und ſey nicht mehr ſo frech mein Schickſal zu verruͤcken. Was liegſt du Traͤger da? Verlaß den wuͤſten Ort, Greiff Uhr und Senſen an, und eile wieder fort. Die Wolcken ſchloſſen ſich, das helle Licht verſchwand, Der Alte hub den Leib mit unterſtuͤtzter Hand, Aus ſeinem Lager auf; drauf dehnten ſich die Fluͤgel Mit neuen Kraͤfften aus, ſo daß der nahe Huͤgel Ein ſauſendes Geraͤuſch zuruͤcke ſchallen ließ. Jch ſpuͤrte, daß der Sturm von neuem wieder bließ, Er fieng ſehr ploͤtzlich an mit ungemeinem Raſen Und groſſer Hefftigkeit von Oſten her zu blaſen. Der Greis verließ den Platz, der Sturmwind hub ihn auf, Man ſah ihn; er verſchwand, und ich erwachte drauf. Mein Mencke, zuͤrne nicht, daß dies geringe Blatt, Mein neuliches Geſicht dir vorgemahlet hat. Du hoͤrſt das Bild der Zeit von ſeinem Mißbrauch klagen, Allein, du hoͤreſt nichts zu deinem Vorwurf ſagen. Du kanſt ein Beyſpiel ſeyn, daran ein jederman, Von ungemeinem Fleiß ein Muſter ſchauen kan. Minerva zehlt dich itzt zu ihren liebſten Soͤhnen, Sie laͤſt dein kluges Haupt mit Lorber-Reiſern kroͤnen, Die du ſowohl verdienſt. Und da ſie dieſes thut, Beweget ſich in mir das treugeſinnte Blut. Mein Hertze wallt vor Luſt bey dieſen Ehren-Stuffen, Dahin dich dein Verſtand und Faͤhigkeit geruffen. Wie mancher wundert ſich, daß dies ſo bald geſchehn? Allein, wer dich nur kennt, wird ſonder Zweifel ſehn, Die Lehrer-Wuͤrde ſey, ſowohl vor deine Jugend, Als manchem Alten ſonſt, ein Lohn bekannter Tugend. Man weiß, wie wohl du ſtets die edle Zeit verwandt, Wie du bey Tag und Nacht nach Weisheit und Verſtand, Und Wiſſenſchafft geſtrebt; ja wie ſo wenig Stunden Dir in Ergoͤtzungen und Zaͤrtlichkeit verſchwunden. Die Ehre war dein Sporn, der nie die Krafft verlohr, Es kam dir ſtets das Bild des groſſen Vaters vor, Das deiner Triebe Macht mit neuer Reitzung ruͤhrte, Und dich nach Adler-Art zur Tugend-Sonne fuͤhrte. Du folgeſt, wenn er winckt, mit muntern Schritten nach. Denn was ein alter Held von Ehren-Seulen ſprach: Sie

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Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 536. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/564>, abgerufen am 25.04.2024.