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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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dertundfunfzig Personen, wir aber zählen Hunderttausende in unsern
Reihen. Besser, daß sie im Dunkeln tappen und die Berichte über
die öffentlichen Zustände blos aus unsern Händen erhalten, besser
daß ihnen die Verwaltung erschwert wird, als uns, dem Kern
und der Majorität! Wohl giebt es pietätslose Menschen, die an¬
gesteckt von ruchlosen, modernen Ideen, behaupten, es gäbe noch
eine andere, viel größere Majorität, jene Millionen und Millionen,
die nicht Beamte sind, und die, wenn ihre Angelegenheiten direct
in den Zeitungen verhandelt und nicht erst durch unsere Vermittel-
lung zur hohem Kenntniß gebracht würden, unsäglichen Vortheil
gewonnen. Aber wenn wir nicht ein Vorrecht vor diesem Volks¬
haufen haben sollten, wofür sind wir denn eben k. k. Beamte? wo¬
für sind wir die von Gott und Sr. Majestät eingesetzten Behör¬
den, wenn wir nicht höher stehen und größern Schutz genießen sol¬
len, als jene gewöhnlichen Menschen?

Eins ist wohl zu beachten in Oesterreich. Das System un¬
serer Gesetzgebung gehl oft von veralteten Principien aus, oder muß
wenigstens die Principien mit dem Geist einer absoluten Monarchie
in Einklang zu bringen suchen. Ueberall wird man die Absicht deö
Gesetzgebers erkennen, mildernde Motive, menschliche Lichter in die
Strenge des Gesetzes einzustreuen. Nicht umsonst ist das österrei¬
chische Criminalgesetzbuch (ich spreche von dem Gesetzbuch und nicht
von der traurigen Gerichtsordnung) unter den europäischen Fürsten
seiner Menschlichkeit willen berühmt. Aber wie wird mit den hu¬
manen Intentionen des Gesetzgebers in den untern Kreisen verfah¬
ren! Wie spielen die Acteure, wenn das mit warmem Herzen Ge¬
dichtete erst in ihren Händen sich befindet! Die Kritik muß das
Maul halten und der böse Schlendrian wird allmählig zu ei¬
nem historischen Rechte. Nehmen wir z. B. einen kaiserlichen
Erlaß, der in der letzten Zeit viel besprochen wurde. Bei allen
Civilstreitigkeiten, wo der Gegenstand nicht über 20l) Gulden sich
beläuft, soll in Zukunft mündlich, summarisch verhandelt, versah,
ren werden. Gewiß ein großer Fortschritt im Princip, umsomehr
als der Beisatz eingeflochten ist, daß dieses mündliche Verfahren,
auf Verlangen der Parteien, auch bei Rechtsstreitigkeiten von grö¬
ßerem Belange angewendet werden darf. Aber dieses summarische
Verfahren giebt zugleich dem Richter eine Gewalt in die Hände,


dertundfunfzig Personen, wir aber zählen Hunderttausende in unsern
Reihen. Besser, daß sie im Dunkeln tappen und die Berichte über
die öffentlichen Zustände blos aus unsern Händen erhalten, besser
daß ihnen die Verwaltung erschwert wird, als uns, dem Kern
und der Majorität! Wohl giebt es pietätslose Menschen, die an¬
gesteckt von ruchlosen, modernen Ideen, behaupten, es gäbe noch
eine andere, viel größere Majorität, jene Millionen und Millionen,
die nicht Beamte sind, und die, wenn ihre Angelegenheiten direct
in den Zeitungen verhandelt und nicht erst durch unsere Vermittel-
lung zur hohem Kenntniß gebracht würden, unsäglichen Vortheil
gewonnen. Aber wenn wir nicht ein Vorrecht vor diesem Volks¬
haufen haben sollten, wofür sind wir denn eben k. k. Beamte? wo¬
für sind wir die von Gott und Sr. Majestät eingesetzten Behör¬
den, wenn wir nicht höher stehen und größern Schutz genießen sol¬
len, als jene gewöhnlichen Menschen?

Eins ist wohl zu beachten in Oesterreich. Das System un¬
serer Gesetzgebung gehl oft von veralteten Principien aus, oder muß
wenigstens die Principien mit dem Geist einer absoluten Monarchie
in Einklang zu bringen suchen. Ueberall wird man die Absicht deö
Gesetzgebers erkennen, mildernde Motive, menschliche Lichter in die
Strenge des Gesetzes einzustreuen. Nicht umsonst ist das österrei¬
chische Criminalgesetzbuch (ich spreche von dem Gesetzbuch und nicht
von der traurigen Gerichtsordnung) unter den europäischen Fürsten
seiner Menschlichkeit willen berühmt. Aber wie wird mit den hu¬
manen Intentionen des Gesetzgebers in den untern Kreisen verfah¬
ren! Wie spielen die Acteure, wenn das mit warmem Herzen Ge¬
dichtete erst in ihren Händen sich befindet! Die Kritik muß das
Maul halten und der böse Schlendrian wird allmählig zu ei¬
nem historischen Rechte. Nehmen wir z. B. einen kaiserlichen
Erlaß, der in der letzten Zeit viel besprochen wurde. Bei allen
Civilstreitigkeiten, wo der Gegenstand nicht über 20l) Gulden sich
beläuft, soll in Zukunft mündlich, summarisch verhandelt, versah,
ren werden. Gewiß ein großer Fortschritt im Princip, umsomehr
als der Beisatz eingeflochten ist, daß dieses mündliche Verfahren,
auf Verlangen der Parteien, auch bei Rechtsstreitigkeiten von grö¬
ßerem Belange angewendet werden darf. Aber dieses summarische
Verfahren giebt zugleich dem Richter eine Gewalt in die Hände,


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[0488] dertundfunfzig Personen, wir aber zählen Hunderttausende in unsern Reihen. Besser, daß sie im Dunkeln tappen und die Berichte über die öffentlichen Zustände blos aus unsern Händen erhalten, besser daß ihnen die Verwaltung erschwert wird, als uns, dem Kern und der Majorität! Wohl giebt es pietätslose Menschen, die an¬ gesteckt von ruchlosen, modernen Ideen, behaupten, es gäbe noch eine andere, viel größere Majorität, jene Millionen und Millionen, die nicht Beamte sind, und die, wenn ihre Angelegenheiten direct in den Zeitungen verhandelt und nicht erst durch unsere Vermittel- lung zur hohem Kenntniß gebracht würden, unsäglichen Vortheil gewonnen. Aber wenn wir nicht ein Vorrecht vor diesem Volks¬ haufen haben sollten, wofür sind wir denn eben k. k. Beamte? wo¬ für sind wir die von Gott und Sr. Majestät eingesetzten Behör¬ den, wenn wir nicht höher stehen und größern Schutz genießen sol¬ len, als jene gewöhnlichen Menschen? Eins ist wohl zu beachten in Oesterreich. Das System un¬ serer Gesetzgebung gehl oft von veralteten Principien aus, oder muß wenigstens die Principien mit dem Geist einer absoluten Monarchie in Einklang zu bringen suchen. Ueberall wird man die Absicht deö Gesetzgebers erkennen, mildernde Motive, menschliche Lichter in die Strenge des Gesetzes einzustreuen. Nicht umsonst ist das österrei¬ chische Criminalgesetzbuch (ich spreche von dem Gesetzbuch und nicht von der traurigen Gerichtsordnung) unter den europäischen Fürsten seiner Menschlichkeit willen berühmt. Aber wie wird mit den hu¬ manen Intentionen des Gesetzgebers in den untern Kreisen verfah¬ ren! Wie spielen die Acteure, wenn das mit warmem Herzen Ge¬ dichtete erst in ihren Händen sich befindet! Die Kritik muß das Maul halten und der böse Schlendrian wird allmählig zu ei¬ nem historischen Rechte. Nehmen wir z. B. einen kaiserlichen Erlaß, der in der letzten Zeit viel besprochen wurde. Bei allen Civilstreitigkeiten, wo der Gegenstand nicht über 20l) Gulden sich beläuft, soll in Zukunft mündlich, summarisch verhandelt, versah, ren werden. Gewiß ein großer Fortschritt im Princip, umsomehr als der Beisatz eingeflochten ist, daß dieses mündliche Verfahren, auf Verlangen der Parteien, auch bei Rechtsstreitigkeiten von grö¬ ßerem Belange angewendet werden darf. Aber dieses summarische Verfahren giebt zugleich dem Richter eine Gewalt in die Hände,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/488>, abgerufen am 18.04.2024.