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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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schen. Jedenfalls war es ein Mißgriff, ein Werk, das durch sich selbst
zu einem erfreulichen, wennschon gemäßigten Beifall berechtigt ist, durch
diese vehemente Zuthat, beim Publicum zu verdächtigen. Die Musik
hielt sich trotz der bleiernen Last eines ungeschickten und im Superlativ
langweiligen, bigotten Textes, durch geschickte piquante Jnstrumentation,
immer über dem Wasser und wird im Verein mit der überaus glänzen¬
den Ausstellung, namentlich an Sonntagen, eine gewisse Anziehungskraft
ausüben. Originalität jedoch muß in dem Werke nicht gesucht werden;
es lehnt sich im Gegentheil an vorhandene Muster in einer Art an, daß
der Ausdruck Reminiscenz sich in der Kritik nur schwer vermeiden läßt.
Die Hugenotten namentlich haben nicht allein in Hinsicht der Musik,
sondern leider auch in Betreff des Textes bei dem jungen Wilhelm vou
Oranien zu Gevatter gestanden. Wie sehr mich Stosse der Art, welche
die unerquicklichsten Berührungen menschlicher Geister dramatisch behan¬
deln, anwidern, habe ich mir und Andern nie verhehlt; man nimmt
dergleichen aber hin,, wenn es uns von gewandten Händen überliefert
wird und wenigstens so viel Wahrscheinlichkeit besitzt, um uns einige
flüchtige Stunden zu täuschen. Aber so ohne Nexus dramatischer Ideen,
und als Compilatorium religiöser Streitigkeiten und steifer Haupt- und
Staatsactionen hingestellt, martert die Musik uns und sich selbst ab,
einem dürren Stoss romantische Färbung zu ertheilen. Man hat, was
Erziehung anlangt, bei dem jungen Carl Eckect, Alles angewandt, ihn
zu einem großen Komponisten zu bilden. Sein Pflegevater der Hofrath
F. Förster, officieller Festdichter und bürgerlicher Zweckesser Hieselbst,
forcirte schon den Knaben in die Rolle des Wunderkindes hinein, und
es haftet seitdem an dem begriffszahen Geiste der Berliner noch immer
die Vorstellung des kleinen Eckert. Seitdem hat man ihn nach Rom
gesandt, einmal ihm in der Ferne die Wunderkinderschuhe ausziehen zu
lassen, dann aber, und dieses scheint die Hauptsache zu sein, um ihn
mit dem Nimbus des Fremdländischen zu umgeben, denn unser armer,
ehrlicher deutscher Name genügt noch immer nicht um die Salonthüren
der Kunst zu sprengen. Nichtsdestoweniger haben die Berliner ihren
lieben Landsmann gleich wieder erkannt und es dürfte dem jungen Com-
ponisten noch eine ausgezeichnete Stellung bei hiesigen Kunstinstituten in
Z. Z. stehen.

^..umwolle, Papier, Sägespäne, Baumrinde, Alles ist revolutionär
geworden. Aus jedem kleinen Garnisonsstädtchen bringen die Zeitungen
die Nachricht: Heute hat der Apotheker X. in Gegenwart des hochlöbl.
Offiziercorps Versuche mit einem neuen von ihm präparirten Schießstoff
vorgenommen, welche die erfreulichsten Resultate hervorgebracht haben.
Die Herren Offiziere, die jetzt allenthalben wie alte Weinkenner das neue
Pulver probiren, gleichen jenen ästhetischen Tyrannen des vorigen Jahr¬
hunderts, die mit den revolutionären Ideen Diderots und Voltaire's co-
quettirten -- als unschuldige Spielereien. Aber aus dem Spiel ist's
fürchterlicher Ernst geworden und wohl dem, den es nur die Gewalt
und nicht auch den Kopf gekostet hat, die Herren Offiziere ahnen
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schen. Jedenfalls war es ein Mißgriff, ein Werk, das durch sich selbst
zu einem erfreulichen, wennschon gemäßigten Beifall berechtigt ist, durch
diese vehemente Zuthat, beim Publicum zu verdächtigen. Die Musik
hielt sich trotz der bleiernen Last eines ungeschickten und im Superlativ
langweiligen, bigotten Textes, durch geschickte piquante Jnstrumentation,
immer über dem Wasser und wird im Verein mit der überaus glänzen¬
den Ausstellung, namentlich an Sonntagen, eine gewisse Anziehungskraft
ausüben. Originalität jedoch muß in dem Werke nicht gesucht werden;
es lehnt sich im Gegentheil an vorhandene Muster in einer Art an, daß
der Ausdruck Reminiscenz sich in der Kritik nur schwer vermeiden läßt.
Die Hugenotten namentlich haben nicht allein in Hinsicht der Musik,
sondern leider auch in Betreff des Textes bei dem jungen Wilhelm vou
Oranien zu Gevatter gestanden. Wie sehr mich Stosse der Art, welche
die unerquicklichsten Berührungen menschlicher Geister dramatisch behan¬
deln, anwidern, habe ich mir und Andern nie verhehlt; man nimmt
dergleichen aber hin,, wenn es uns von gewandten Händen überliefert
wird und wenigstens so viel Wahrscheinlichkeit besitzt, um uns einige
flüchtige Stunden zu täuschen. Aber so ohne Nexus dramatischer Ideen,
und als Compilatorium religiöser Streitigkeiten und steifer Haupt- und
Staatsactionen hingestellt, martert die Musik uns und sich selbst ab,
einem dürren Stoss romantische Färbung zu ertheilen. Man hat, was
Erziehung anlangt, bei dem jungen Carl Eckect, Alles angewandt, ihn
zu einem großen Komponisten zu bilden. Sein Pflegevater der Hofrath
F. Förster, officieller Festdichter und bürgerlicher Zweckesser Hieselbst,
forcirte schon den Knaben in die Rolle des Wunderkindes hinein, und
es haftet seitdem an dem begriffszahen Geiste der Berliner noch immer
die Vorstellung des kleinen Eckert. Seitdem hat man ihn nach Rom
gesandt, einmal ihm in der Ferne die Wunderkinderschuhe ausziehen zu
lassen, dann aber, und dieses scheint die Hauptsache zu sein, um ihn
mit dem Nimbus des Fremdländischen zu umgeben, denn unser armer,
ehrlicher deutscher Name genügt noch immer nicht um die Salonthüren
der Kunst zu sprengen. Nichtsdestoweniger haben die Berliner ihren
lieben Landsmann gleich wieder erkannt und es dürfte dem jungen Com-
ponisten noch eine ausgezeichnete Stellung bei hiesigen Kunstinstituten in
Z. Z. stehen.

^..umwolle, Papier, Sägespäne, Baumrinde, Alles ist revolutionär
geworden. Aus jedem kleinen Garnisonsstädtchen bringen die Zeitungen
die Nachricht: Heute hat der Apotheker X. in Gegenwart des hochlöbl.
Offiziercorps Versuche mit einem neuen von ihm präparirten Schießstoff
vorgenommen, welche die erfreulichsten Resultate hervorgebracht haben.
Die Herren Offiziere, die jetzt allenthalben wie alte Weinkenner das neue
Pulver probiren, gleichen jenen ästhetischen Tyrannen des vorigen Jahr¬
hunderts, die mit den revolutionären Ideen Diderots und Voltaire's co-
quettirten — als unschuldige Spielereien. Aber aus dem Spiel ist's
fürchterlicher Ernst geworden und wohl dem, den es nur die Gewalt
und nicht auch den Kopf gekostet hat, die Herren Offiziere ahnen
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/363>, abgerufen am 28.03.2024.