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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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Aufnahme, während Dieser selber im Anwachsen seiner Anhängerzahl eine Art von
Genugthuung für den Verlust seiner bisherigen Popularität erblicken mochte.
Schon damals versammelten sich allerdings die politischen Freunde des Herrn v. Ler¬
chenfeld im Museum; allein wer die damalige Zeit mit erlebte, mag sich noch recht
wohl erinnern, wie man von ihnen oftmals Klagen darüber hören konnte, daß
Leute von entschieden rcactionairer Richtung sich ihrer Gesellschaft zugesellten.
Dennoch verließen die Leute, welche ein wahrhaftiges Centrum bilden wollten,
die Lerchenfeld'sche Umgebung nicht, und die unzngehorigen Eindringlinge wagte
man nicht wegznweiseu. Der Schritt vom Centrum nach links führte unmittelbar
in die principielle Negation der bayerischen Gegenwart; der Schritt zur Rechten
schien unbedingte Gutheißung des vormärzlichen Absolutismus, des inconstitutio-
nellen Bureautratismus, der ultramontanen Herrschaft. Wie viele Menschen giebt
es aber, die ohne absolute Nothwendigkeit den Rubicvn überschreiten? Man
flüchtete sich also hinter die mehrfach in befreundeten Organen niedergelegte Er¬
klärung, der Verein im Museum sei kein Parteivcrein. Und damit war natürlich
dem Zuströmen der verschiedenartigsten Elemente Thür und Thor geöffnet. Der
einzige Einigungspunkt der Lerchenfeld'schen Schaar war Abscheu und Abweis
gegen jeden entscheidenden Vorschritt. Und als die deutsche Frage mit jenem
kränklichen Votum über die deutsche Miuisterialpolitik beseitigt war, erkannte sich
diese entscheidnngsschene Menge zum ersten Mal in der parlamentarisch bedingen¬
den Macht, erkannte sich durch Herrn v. Lerchenfeld aus einer scheinbar unüber-
steiglichen Verlegenheit gerissen, erkannte sich als Stütze der Regierungsgewalt
gehätschelt, ohne doch vor allem Volke ein "irreparables Dementi" erlitten zusahen.
So blieben sie zusammen und folgten dem Führer.

Dieser selbst mochte noch nicht daran denken, wohin sein Weg führen müsse.
Auch verbarg er in seinen Reden keineswegs ein gewisses Mißtrauen und herben
Tadel gegen manche einzelne Regiernngshandlung. Zugleich begann die unnöthi-
ger gewordene Linke jenen unseligen Stecknadelkampf, dessen Stiche Hr. v. Ler¬
chenfeld stets als persönliche Reizungen empfand, behandelte und behandeln ließ.
Seiner süddeutschen Mißstimmung gegen alles norddeutsche aus dessen Unkenntniß
entsprach gleichzeitig die antipreußische Agitation der Mittelstaatenpolitik, den bur-
schenschaftlichen Reminiscenzen schmeichelte die großdeutsche Phantasterei. Das
Ministerium kettete in der Person des Hrn. v. d. Pfordten seine äußere und
innere Politik zusammen. Wer die eine billigte, ward gleichsam solidarisch für die
andere verpflichtet. Und Hr. v. Lerchenfeld erlag diesem Dilemma. Aus Haß
gegen Preußen war er großdeutsch, weil großdeutsch ward er östreichisch, weil östreichisch
folgerecht bayerisch ministeriell. Von einer Suspension des Urtheils über die deutsche
Politik Bayerns kam er zur Billigung einer Politik der momentanen Opportu¬
nisten, welche nothwendig der Princivienlvsigkeit die Hand reicht. Umgarnt von
diesen Netzwerken, mußte er selbst angeblich provisorische Zwecke gutheißen, ob-


Aufnahme, während Dieser selber im Anwachsen seiner Anhängerzahl eine Art von
Genugthuung für den Verlust seiner bisherigen Popularität erblicken mochte.
Schon damals versammelten sich allerdings die politischen Freunde des Herrn v. Ler¬
chenfeld im Museum; allein wer die damalige Zeit mit erlebte, mag sich noch recht
wohl erinnern, wie man von ihnen oftmals Klagen darüber hören konnte, daß
Leute von entschieden rcactionairer Richtung sich ihrer Gesellschaft zugesellten.
Dennoch verließen die Leute, welche ein wahrhaftiges Centrum bilden wollten,
die Lerchenfeld'sche Umgebung nicht, und die unzngehorigen Eindringlinge wagte
man nicht wegznweiseu. Der Schritt vom Centrum nach links führte unmittelbar
in die principielle Negation der bayerischen Gegenwart; der Schritt zur Rechten
schien unbedingte Gutheißung des vormärzlichen Absolutismus, des inconstitutio-
nellen Bureautratismus, der ultramontanen Herrschaft. Wie viele Menschen giebt
es aber, die ohne absolute Nothwendigkeit den Rubicvn überschreiten? Man
flüchtete sich also hinter die mehrfach in befreundeten Organen niedergelegte Er¬
klärung, der Verein im Museum sei kein Parteivcrein. Und damit war natürlich
dem Zuströmen der verschiedenartigsten Elemente Thür und Thor geöffnet. Der
einzige Einigungspunkt der Lerchenfeld'schen Schaar war Abscheu und Abweis
gegen jeden entscheidenden Vorschritt. Und als die deutsche Frage mit jenem
kränklichen Votum über die deutsche Miuisterialpolitik beseitigt war, erkannte sich
diese entscheidnngsschene Menge zum ersten Mal in der parlamentarisch bedingen¬
den Macht, erkannte sich durch Herrn v. Lerchenfeld aus einer scheinbar unüber-
steiglichen Verlegenheit gerissen, erkannte sich als Stütze der Regierungsgewalt
gehätschelt, ohne doch vor allem Volke ein „irreparables Dementi" erlitten zusahen.
So blieben sie zusammen und folgten dem Führer.

Dieser selbst mochte noch nicht daran denken, wohin sein Weg führen müsse.
Auch verbarg er in seinen Reden keineswegs ein gewisses Mißtrauen und herben
Tadel gegen manche einzelne Regiernngshandlung. Zugleich begann die unnöthi-
ger gewordene Linke jenen unseligen Stecknadelkampf, dessen Stiche Hr. v. Ler¬
chenfeld stets als persönliche Reizungen empfand, behandelte und behandeln ließ.
Seiner süddeutschen Mißstimmung gegen alles norddeutsche aus dessen Unkenntniß
entsprach gleichzeitig die antipreußische Agitation der Mittelstaatenpolitik, den bur-
schenschaftlichen Reminiscenzen schmeichelte die großdeutsche Phantasterei. Das
Ministerium kettete in der Person des Hrn. v. d. Pfordten seine äußere und
innere Politik zusammen. Wer die eine billigte, ward gleichsam solidarisch für die
andere verpflichtet. Und Hr. v. Lerchenfeld erlag diesem Dilemma. Aus Haß
gegen Preußen war er großdeutsch, weil großdeutsch ward er östreichisch, weil östreichisch
folgerecht bayerisch ministeriell. Von einer Suspension des Urtheils über die deutsche
Politik Bayerns kam er zur Billigung einer Politik der momentanen Opportu¬
nisten, welche nothwendig der Princivienlvsigkeit die Hand reicht. Umgarnt von
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/513>, abgerufen am 19.04.2024.