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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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gleich deren voraussichtliches Definitionen allen seinen bisher kundgegebenen Ueber¬
zeugungen und Bestrebungen schnurstraks entgegenlief. Daß mit der Neactivirnug
des Bundestags der absolutistische Einfluß Oestreichs namentlich gegen den süd¬
deutschen Constitutionalismus gerichtet sein müsse, konnte sich kein Mensch vou selbst
geringer politischer Einsicht verhehlen. Bayerns Ministerium rühmte sich aber der
intellectuellen Urheberschaft der dualistischen Bimdesceutralcommissiou, also der be¬
reits factischen^ Wiederherstellung des bundeötäglichen Verhältnisses. Hr. v. Ler-
chenfeld tröstete sich und seine Anhänger damit, daß es besser sei, einem größern,
als einem kleinern Nachbar unterthan zu werden; man werde "nobler" behandelt.
Jenem Schritte waren eine Menge von Gesetzcsvorlagen unmittelbar gefolgt,
welche, vorher ausgearbeitet, wenigstens die Grundprincipien des Constitutiona¬
lismus uicht verletzten. Das liberale Princip erlitt freilich bereits die empfind¬
lichsten Stöße. Aber unter dem Eindrucke der mehr gemachten, als wahren Be-
sorgniß, daß die beiden deutschen Großstaaten Gegner der mittelstaatlichen Selbst-
ständigkeit seien, konnte Hr. v. Lerchenfeld behaupten, nur die rascheste Annahme
dieser Gesetze gebe eine Garantie für Bayerns innere Selbstständigkeit, gebe dem
"ältesten deutscheu constitutionellen Staate" ein großes moralisches Gewicht. Bis
Hieher war man überhaupt von der entscheidungsscheneu Angst vor eiuer Miui-
sterkrise geleitet worden. Mit der Drohung, daß dem Ministerium Pfordten
ein direct autiuatiouales, bayerisch-particularistisches folgen werde, war die Jn-
demnity-Bill für dessen bisherige Schritte in der nationalen Verfassungsangelegen-
heit zu Wege gebracht. Mit der wiederholte" Drohung, daß die Verwerfung
der sogenannten organisatorischen Gesetze (-- die Linke nannte sie Hochpolizei¬
gesetze --) keine liberalen, sondern reactionai>re Entwürfe zur Folge haben würde,
erlangte man die Annahme der meisten. Und gegen den Schluß des Landtags
1849/30 ging Hr. v. Lerchenfeld noch weiter. "Wenn wir diese Gesetze nicht
annehmen -- sagte er -- so bleiben sie der Entscheidung dieser Session entzogen,
und ich zweifle sehr, daß man selbst diese Vorlagen im nächsten Jahre abermals
überreichen wird." Er und seine Partei erklärten sich also nicht principiell für
den Geist der Gesetze; aber man genehmigte sie aus Furcht vor der Zukunft.
Bei dem Preßstrafgesetzc hatte überdies -- dies ließ sich nicht verkennen --> per¬
sönliche Gereiztheit und verletzte Eitelkeit der Ceutralpartei zur Belassung und
selbst Verschärfung der drakonischen Bestimmungen mitgewirkt.

Jene Furcht vor einem Ministerium, welches die Ceutralpartei zu einer
entschiedenen, entweder unbedingt gouvernementalen oder unbedingt oppositionellen
Stellung genöthigt haben würde, bedingte alle folgenden Gänge ihres parlamen¬
tarischen Lebens. War dies nun persönliche Furcht, waren es andere Rücksichten?
Herr von Lerchenfeld hatte wenigstens noch die Offenheit, den Untergang seiner
politischen Sclstständigkeit als Frucht der Furcht vor dem Sterben zu bezeichnen.
Seine Parteigänger suchten dagegen alle möglichen Scheingründe ans, um diese


gleich deren voraussichtliches Definitionen allen seinen bisher kundgegebenen Ueber¬
zeugungen und Bestrebungen schnurstraks entgegenlief. Daß mit der Neactivirnug
des Bundestags der absolutistische Einfluß Oestreichs namentlich gegen den süd¬
deutschen Constitutionalismus gerichtet sein müsse, konnte sich kein Mensch vou selbst
geringer politischer Einsicht verhehlen. Bayerns Ministerium rühmte sich aber der
intellectuellen Urheberschaft der dualistischen Bimdesceutralcommissiou, also der be¬
reits factischen^ Wiederherstellung des bundeötäglichen Verhältnisses. Hr. v. Ler-
chenfeld tröstete sich und seine Anhänger damit, daß es besser sei, einem größern,
als einem kleinern Nachbar unterthan zu werden; man werde „nobler" behandelt.
Jenem Schritte waren eine Menge von Gesetzcsvorlagen unmittelbar gefolgt,
welche, vorher ausgearbeitet, wenigstens die Grundprincipien des Constitutiona¬
lismus uicht verletzten. Das liberale Princip erlitt freilich bereits die empfind¬
lichsten Stöße. Aber unter dem Eindrucke der mehr gemachten, als wahren Be-
sorgniß, daß die beiden deutschen Großstaaten Gegner der mittelstaatlichen Selbst-
ständigkeit seien, konnte Hr. v. Lerchenfeld behaupten, nur die rascheste Annahme
dieser Gesetze gebe eine Garantie für Bayerns innere Selbstständigkeit, gebe dem
„ältesten deutscheu constitutionellen Staate" ein großes moralisches Gewicht. Bis
Hieher war man überhaupt von der entscheidungsscheneu Angst vor eiuer Miui-
sterkrise geleitet worden. Mit der Drohung, daß dem Ministerium Pfordten
ein direct autiuatiouales, bayerisch-particularistisches folgen werde, war die Jn-
demnity-Bill für dessen bisherige Schritte in der nationalen Verfassungsangelegen-
heit zu Wege gebracht. Mit der wiederholte« Drohung, daß die Verwerfung
der sogenannten organisatorischen Gesetze (— die Linke nannte sie Hochpolizei¬
gesetze —) keine liberalen, sondern reactionai>re Entwürfe zur Folge haben würde,
erlangte man die Annahme der meisten. Und gegen den Schluß des Landtags
1849/30 ging Hr. v. Lerchenfeld noch weiter. „Wenn wir diese Gesetze nicht
annehmen — sagte er — so bleiben sie der Entscheidung dieser Session entzogen,
und ich zweifle sehr, daß man selbst diese Vorlagen im nächsten Jahre abermals
überreichen wird." Er und seine Partei erklärten sich also nicht principiell für
den Geist der Gesetze; aber man genehmigte sie aus Furcht vor der Zukunft.
Bei dem Preßstrafgesetzc hatte überdies — dies ließ sich nicht verkennen —> per¬
sönliche Gereiztheit und verletzte Eitelkeit der Ceutralpartei zur Belassung und
selbst Verschärfung der drakonischen Bestimmungen mitgewirkt.

Jene Furcht vor einem Ministerium, welches die Ceutralpartei zu einer
entschiedenen, entweder unbedingt gouvernementalen oder unbedingt oppositionellen
Stellung genöthigt haben würde, bedingte alle folgenden Gänge ihres parlamen¬
tarischen Lebens. War dies nun persönliche Furcht, waren es andere Rücksichten?
Herr von Lerchenfeld hatte wenigstens noch die Offenheit, den Untergang seiner
politischen Sclstständigkeit als Frucht der Furcht vor dem Sterben zu bezeichnen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/514>, abgerufen am 18.04.2024.