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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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Getreidepreise oder die londoner oder die Hamburger Kaffeepreise sofort für
ganz Europa maßgebend. So wie ein Handelsplatz für einen bestimmten
Verkehr sich den Vorrang erworben hat, so kann er jetzt demselben bis zu
einem gewissen Grade das Gesetz vorschreiben, und zwar ungleich rascher und
mit allgemeinerer Einwirkung als früher.

Bis zu einem gewissen Grade -- sagen wir; und das ist der wunde
Fleck einer zu einseitigen Ausbeutung, der neueren Verkehrsmittel. Durch
Nimmersatte Gewinngier gereizt, vergaßen die Speculanten, daß der Handel
nicht durch sich selbst und für sich selbst lebt, sondern nur als Vermittler
zwischen Herstellung und Genuß. Auch die riesigsten Waarcnvorrüthe erhalten
erst dadurch einen Preis, daß ein Bedarf dahintersteht und ohne diesen
wären sie aller bisher aufgewandten Bemühungen zum Trotz eigentlich völlig
werthlos, und für die allermeisten Handelsgegenstände summt sich der Bedarf
erst aus Millionen kleiner Quellen auf. Man kann staunend die ungeheuern
Vorräthe eines londoner Docks bewundern; die Verzehrungskraft, welche durch
täglichen kleinsten Konsum derselben immer wieder Herr zu werden weiß, ver¬
dient eigentlich noch mehr Staunen. Aber die Verzehrungsfähigkeit findet
noch weit eher eine wirthschaftliche als eine physische Grenze, und aus jene
zu achten und sie nicht durch zu starke Anspannung der Preise zu beeinträch¬
tigen, wird immer die Aufgabe des besonnenen Kaufmannes sein, der er
auch in gewöhnlichen Zeiten meist gewachsen ist. Aber die Wildheit der
Speculation und die Leichtigkeit der Preissteigerung mit ihren raschen Rück¬
wirkungen nach allen Seiten ließ sie das übersehen. Die Waare wurde mehr
und mehr bloßer Gegenstand des Börsenspiels, und wie jeder solcher Gegenstand,
so lange das Geschäft gut geht, auch des Preissteigens. Selbst der durch¬
schnittlich größer gewordene Wohlstand der Menge trug zur Verblendung der
Speculation bei; weil die Verzehrungskraft noch ungeschwücht blieb; wo
frühere Erfahrungen sie beeinträchtigt finden ließen, wähnte man über¬
haupt deren Grenze beliebig ausdehnen zu können. Da kam, was kommen
mußte, der jähe Sturz nach gottvergessenen Uebermuth. Mehr und mehr
fühlte die Menge sich außer Stande, den Preisanforderungen des Großhandels
zu entsprechen, und dieser machte wiederum den Versuch, durch noch stärkere
AusHäufungen die Preise zu erzwingen, aber die Konsumtion war mächtiger;
denn sie kann sich in allem Verbrauch außerordentlich einschränken und ihn in
einzelnen Dingen ganz aufhören lassen; am wenigsten noch in den eigentlichen
Lebensmitteln und grade diese vertragen an sich und noch mehr bei der Un¬
gewißheit des nächsten Erntcertrags die Aufspeicherung am wenigsten. Und
nun waren dieselben Kräfte, welche die große Speculation genährt und
unterstützt hatten, wieder zu ihrem Verderben thätig. Die Unruhe der Zeit,


Getreidepreise oder die londoner oder die Hamburger Kaffeepreise sofort für
ganz Europa maßgebend. So wie ein Handelsplatz für einen bestimmten
Verkehr sich den Vorrang erworben hat, so kann er jetzt demselben bis zu
einem gewissen Grade das Gesetz vorschreiben, und zwar ungleich rascher und
mit allgemeinerer Einwirkung als früher.

Bis zu einem gewissen Grade — sagen wir; und das ist der wunde
Fleck einer zu einseitigen Ausbeutung, der neueren Verkehrsmittel. Durch
Nimmersatte Gewinngier gereizt, vergaßen die Speculanten, daß der Handel
nicht durch sich selbst und für sich selbst lebt, sondern nur als Vermittler
zwischen Herstellung und Genuß. Auch die riesigsten Waarcnvorrüthe erhalten
erst dadurch einen Preis, daß ein Bedarf dahintersteht und ohne diesen
wären sie aller bisher aufgewandten Bemühungen zum Trotz eigentlich völlig
werthlos, und für die allermeisten Handelsgegenstände summt sich der Bedarf
erst aus Millionen kleiner Quellen auf. Man kann staunend die ungeheuern
Vorräthe eines londoner Docks bewundern; die Verzehrungskraft, welche durch
täglichen kleinsten Konsum derselben immer wieder Herr zu werden weiß, ver¬
dient eigentlich noch mehr Staunen. Aber die Verzehrungsfähigkeit findet
noch weit eher eine wirthschaftliche als eine physische Grenze, und aus jene
zu achten und sie nicht durch zu starke Anspannung der Preise zu beeinträch¬
tigen, wird immer die Aufgabe des besonnenen Kaufmannes sein, der er
auch in gewöhnlichen Zeiten meist gewachsen ist. Aber die Wildheit der
Speculation und die Leichtigkeit der Preissteigerung mit ihren raschen Rück¬
wirkungen nach allen Seiten ließ sie das übersehen. Die Waare wurde mehr
und mehr bloßer Gegenstand des Börsenspiels, und wie jeder solcher Gegenstand,
so lange das Geschäft gut geht, auch des Preissteigens. Selbst der durch¬
schnittlich größer gewordene Wohlstand der Menge trug zur Verblendung der
Speculation bei; weil die Verzehrungskraft noch ungeschwücht blieb; wo
frühere Erfahrungen sie beeinträchtigt finden ließen, wähnte man über¬
haupt deren Grenze beliebig ausdehnen zu können. Da kam, was kommen
mußte, der jähe Sturz nach gottvergessenen Uebermuth. Mehr und mehr
fühlte die Menge sich außer Stande, den Preisanforderungen des Großhandels
zu entsprechen, und dieser machte wiederum den Versuch, durch noch stärkere
AusHäufungen die Preise zu erzwingen, aber die Konsumtion war mächtiger;
denn sie kann sich in allem Verbrauch außerordentlich einschränken und ihn in
einzelnen Dingen ganz aufhören lassen; am wenigsten noch in den eigentlichen
Lebensmitteln und grade diese vertragen an sich und noch mehr bei der Un¬
gewißheit des nächsten Erntcertrags die Aufspeicherung am wenigsten. Und
nun waren dieselben Kräfte, welche die große Speculation genährt und
unterstützt hatten, wieder zu ihrem Verderben thätig. Die Unruhe der Zeit,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/16>, abgerufen am 12.10.2024.