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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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sich, das letztere durch die Attribute zu charakterisiren. Diese erste Kunst¬
gattung ist also die symbolisch idealisirende, wie sie bei allen Böllern mehr
oder weniger vollkommen entstand. Die griechischen Götterbilder, bekanntlich
auch nur wieder Personificationen von Begriffen, sind das vollendetste Beispiel
dafür. Dieser Charakterzug nun ist der idenlisirenden Richtung durchaus
geblieben, wo möglich nur die Gattung, nicht das Individuum zu bilden;
hat sie das letztere darzustellen, so verallgemeinert sie es, sie sucht es zum Ty¬
pus zu erheben. Man kann also die Charakteristik derselben dahin zusam¬
menfassen, daß die idealisirende Kunst nur die Gesetze des Organismus, nur
die Sprache der Formen und Farben studirt, um die Gebilde ihrer eignen
Einbildungskraft mit dem Schein des Lebens, der Wahrheit auszustatten; ihre
Grundlage ist ein Begriff, den sie personificirt, oder eine innere Anschauung,
ein Ideal, das sie blos jenen organischen Gesetzen der Natur unterordnet. Dn
sie das Normale herzustellen strebt, so muß sie nothwendig die Feindin des
Individuellen werden, denn das letztere ist ja eben das Unvollkommene gegen¬
über dem Normalen. Umgekehrt geht nun die realistische Kunst gewöhnlich
von einer bestimmten individuellen Anschauung, vom Porträt wenn
man will aus.

Naturgemäß konnte man die Gesetze des Organismus nicht ewig studiren,
es in der Darstellung der Gattung nicht zu einem hohen Grade von Voll¬
kommenheit bringen, ohne zuletzt nothwendig zu dem Versuche gelangen
zu müsse", auch Individuen direct nachzuahmen. Nachdem man allmälig
erst Menschen überhaupt, dann Männer und Frauen, dann die verschiedenen
Altersstufen, die verschiedenen Charaktere, endlich die verschiedenen Gemüths¬
bewegungen dieser Charaktere bilden gelernt hatte, so war der vollständige
Uebergang zum Porträt, also der Uebergang von der Charakteristik zur Indivi-
dualisirung nur noch ein kleiner Schritt.

Dieser Schritt aber, diese Beobachtung in Nachahmung des wirklichen
Lebens, der individuellen Gestalt und Gebahrnng. war die erste realistische
Revolution in der Kunst. Jede spätere Revolution aber in derselben
war allemal eine realistische, wenigstens im Anfange, acht anders
">s in der Politik, wo sie ihrer innersten Art nach auch allemal die Auf¬
lehnung der Natur der Dinge gegen eine dieser Natur aufgedrungene millkür-
l'che, ihr unpassend gewordene conventionelle allgemeine Form ist.

Mit jenem ersten Schritt also war die realistische Kunstrichtung fertig,
denn ihr Gegensatz zur idealistischen besteht in nichts anderm, als dem jedes-
'mälig"in Ausgehen von einer individuellen Anschauung bei der Bildung ihrer
Gestalten, se^t von einem Ideal. Dieser realistische Weg schließt aber nicbt
aus, sondern verlangt sogar den Proceß der Idealisirung. d. h. der Son-
derung und Wegwerfung des Widersprechenden, des sogenannten Zufälligen vom


sich, das letztere durch die Attribute zu charakterisiren. Diese erste Kunst¬
gattung ist also die symbolisch idealisirende, wie sie bei allen Böllern mehr
oder weniger vollkommen entstand. Die griechischen Götterbilder, bekanntlich
auch nur wieder Personificationen von Begriffen, sind das vollendetste Beispiel
dafür. Dieser Charakterzug nun ist der idenlisirenden Richtung durchaus
geblieben, wo möglich nur die Gattung, nicht das Individuum zu bilden;
hat sie das letztere darzustellen, so verallgemeinert sie es, sie sucht es zum Ty¬
pus zu erheben. Man kann also die Charakteristik derselben dahin zusam¬
menfassen, daß die idealisirende Kunst nur die Gesetze des Organismus, nur
die Sprache der Formen und Farben studirt, um die Gebilde ihrer eignen
Einbildungskraft mit dem Schein des Lebens, der Wahrheit auszustatten; ihre
Grundlage ist ein Begriff, den sie personificirt, oder eine innere Anschauung,
ein Ideal, das sie blos jenen organischen Gesetzen der Natur unterordnet. Dn
sie das Normale herzustellen strebt, so muß sie nothwendig die Feindin des
Individuellen werden, denn das letztere ist ja eben das Unvollkommene gegen¬
über dem Normalen. Umgekehrt geht nun die realistische Kunst gewöhnlich
von einer bestimmten individuellen Anschauung, vom Porträt wenn
man will aus.

Naturgemäß konnte man die Gesetze des Organismus nicht ewig studiren,
es in der Darstellung der Gattung nicht zu einem hohen Grade von Voll¬
kommenheit bringen, ohne zuletzt nothwendig zu dem Versuche gelangen
zu müsse», auch Individuen direct nachzuahmen. Nachdem man allmälig
erst Menschen überhaupt, dann Männer und Frauen, dann die verschiedenen
Altersstufen, die verschiedenen Charaktere, endlich die verschiedenen Gemüths¬
bewegungen dieser Charaktere bilden gelernt hatte, so war der vollständige
Uebergang zum Porträt, also der Uebergang von der Charakteristik zur Indivi-
dualisirung nur noch ein kleiner Schritt.

Dieser Schritt aber, diese Beobachtung in Nachahmung des wirklichen
Lebens, der individuellen Gestalt und Gebahrnng. war die erste realistische
Revolution in der Kunst. Jede spätere Revolution aber in derselben
war allemal eine realistische, wenigstens im Anfange, acht anders
«>s in der Politik, wo sie ihrer innersten Art nach auch allemal die Auf¬
lehnung der Natur der Dinge gegen eine dieser Natur aufgedrungene millkür-
l'che, ihr unpassend gewordene conventionelle allgemeine Form ist.

Mit jenem ersten Schritt also war die realistische Kunstrichtung fertig,
denn ihr Gegensatz zur idealistischen besteht in nichts anderm, als dem jedes-
'mälig«in Ausgehen von einer individuellen Anschauung bei der Bildung ihrer
Gestalten, se^t von einem Ideal. Dieser realistische Weg schließt aber nicbt
aus, sondern verlangt sogar den Proceß der Idealisirung. d. h. der Son-
derung und Wegwerfung des Widersprechenden, des sogenannten Zufälligen vom


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[0021] sich, das letztere durch die Attribute zu charakterisiren. Diese erste Kunst¬ gattung ist also die symbolisch idealisirende, wie sie bei allen Böllern mehr oder weniger vollkommen entstand. Die griechischen Götterbilder, bekanntlich auch nur wieder Personificationen von Begriffen, sind das vollendetste Beispiel dafür. Dieser Charakterzug nun ist der idenlisirenden Richtung durchaus geblieben, wo möglich nur die Gattung, nicht das Individuum zu bilden; hat sie das letztere darzustellen, so verallgemeinert sie es, sie sucht es zum Ty¬ pus zu erheben. Man kann also die Charakteristik derselben dahin zusam¬ menfassen, daß die idealisirende Kunst nur die Gesetze des Organismus, nur die Sprache der Formen und Farben studirt, um die Gebilde ihrer eignen Einbildungskraft mit dem Schein des Lebens, der Wahrheit auszustatten; ihre Grundlage ist ein Begriff, den sie personificirt, oder eine innere Anschauung, ein Ideal, das sie blos jenen organischen Gesetzen der Natur unterordnet. Dn sie das Normale herzustellen strebt, so muß sie nothwendig die Feindin des Individuellen werden, denn das letztere ist ja eben das Unvollkommene gegen¬ über dem Normalen. Umgekehrt geht nun die realistische Kunst gewöhnlich von einer bestimmten individuellen Anschauung, vom Porträt wenn man will aus. Naturgemäß konnte man die Gesetze des Organismus nicht ewig studiren, es in der Darstellung der Gattung nicht zu einem hohen Grade von Voll¬ kommenheit bringen, ohne zuletzt nothwendig zu dem Versuche gelangen zu müsse», auch Individuen direct nachzuahmen. Nachdem man allmälig erst Menschen überhaupt, dann Männer und Frauen, dann die verschiedenen Altersstufen, die verschiedenen Charaktere, endlich die verschiedenen Gemüths¬ bewegungen dieser Charaktere bilden gelernt hatte, so war der vollständige Uebergang zum Porträt, also der Uebergang von der Charakteristik zur Indivi- dualisirung nur noch ein kleiner Schritt. Dieser Schritt aber, diese Beobachtung in Nachahmung des wirklichen Lebens, der individuellen Gestalt und Gebahrnng. war die erste realistische Revolution in der Kunst. Jede spätere Revolution aber in derselben war allemal eine realistische, wenigstens im Anfange, acht anders «>s in der Politik, wo sie ihrer innersten Art nach auch allemal die Auf¬ lehnung der Natur der Dinge gegen eine dieser Natur aufgedrungene millkür- l'che, ihr unpassend gewordene conventionelle allgemeine Form ist. Mit jenem ersten Schritt also war die realistische Kunstrichtung fertig, denn ihr Gegensatz zur idealistischen besteht in nichts anderm, als dem jedes- 'mälig«in Ausgehen von einer individuellen Anschauung bei der Bildung ihrer Gestalten, se^t von einem Ideal. Dieser realistische Weg schließt aber nicbt aus, sondern verlangt sogar den Proceß der Idealisirung. d. h. der Son- derung und Wegwerfung des Widersprechenden, des sogenannten Zufälligen vom

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/21>, abgerufen am 12.10.2024.