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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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zum besten was die deutsche Kunst an Conceptionen hervorgebracht, denn die
Ausführung läßt in der Regel ebensoviel zu wünschen übrig, ja entbehrt noch
mehr der Realität. Lebenswahrheit und Vollendung, die das Kennzeichen classi¬
scher Perioden ist, als die übrigen Werke der Schule, ja wir ziehen die dis¬
harmonische harte Malerei des Cornelius der süßlichen um die Zopfmalcr
erinnernden Kaulbachs noch weit vor, Ueberhaupt ist der letztere eine durchaus
weibliche Natur, der erstere eine durchaus männliche, das coquettc Wesen ist
ein Hauptchnrakterzug jener, die sich mit der cbenberührten großen innern
Kälte sehr gut verträgt. So schöne Gruppen voll Adels der Form wir
Kaulbach verdanken, einen wie großen Kreis von Empfindungen und Leiden¬
schaften er darzustellen versteht, Liebe, Innigkeit, Hingebung sind nicht
darunter, man wird unter den sämmtlichen Figuren die er je geschaffen
keine finden, die diese Empfindungen wahr und innig ausspräche, sie nicht durch
bloße Süßlichkeit ja Grimasse zu ersetzen suchte. Um so besser gelingt ihm
die Darstellung der Nachtseiten des menschlichen Herzens, der Tücke, des Hohns,
der Arglist, der Rache und Eifersucht, wie die des Schmerzes und der
Wuth, weshalb denn auch seine Darstellungen, wie sehr man sie sonst
anerkennen mag, selten einen wohlthuenden erhebenden Eindruck machen,
sondern eher das Herz zusammenschnüren, oder die Schadenfreude reizen,
wenn uns nicht einmal die schwungvolle Macht und die Schönheit ein¬
zelner Gruppen wirklich fortreißt. Er hat in diesem Stücke eine große
Achnlichkeit mit der Rachel, nur daß er umfassender und reicher, niemals
aber so intensiv ist als diese.

Ein Grnndunterschied seiner Kunst, wie der ganzen Schule, der ihre
Werke im einzelnen oft so reizlos macht, selbst wenn uns die ganze Conception
gefällt. ist, daß er an den Dingen fast nnr den Organismus wiedergibt, aber
nicht die Art der Erscheinung, der durchaus die Realität fehlt. Die Kunst
hat es aber mit der Erscheinung zu thun.

Schwind ist ein Romantiker wie Uhland, Rückert oder Chamisso, eine
liebenswürdige Specialität, sast der einzige ganz nationale Künstler dieser
Epoche, da er auch die altdeutschen Formen nie verleugnet hat. während in
Genellis Kompositionen uns ganz die Weltansicht Byrons mit Platenschcr
Reinheit und Größe der Form verbunden erscheint. Auch Heß und Führich
haben sich das germanische Element mehr als die andern religiösen Maler zu
erholten gewußt, während sonst der Classicismus immer mehr überHand nahm.
Haben nun diese Künstler viel und bedeutendes Neues ihren Vorgängern hinzu¬
gefügt, so zeigen uns wie gesagt fast alle übrigen Glieder der Schule mehr jene
classicirende Form der zweiten Cornelianischen Epoche als den Geist^der ersten, alle
miteinander unterscheidet von dieser hauptsächlich eine bewußte Tendenz zur
Jdealisirung, das eigentliche nationale Lebenselement ist fast ganz verschwun-


zum besten was die deutsche Kunst an Conceptionen hervorgebracht, denn die
Ausführung läßt in der Regel ebensoviel zu wünschen übrig, ja entbehrt noch
mehr der Realität. Lebenswahrheit und Vollendung, die das Kennzeichen classi¬
scher Perioden ist, als die übrigen Werke der Schule, ja wir ziehen die dis¬
harmonische harte Malerei des Cornelius der süßlichen um die Zopfmalcr
erinnernden Kaulbachs noch weit vor, Ueberhaupt ist der letztere eine durchaus
weibliche Natur, der erstere eine durchaus männliche, das coquettc Wesen ist
ein Hauptchnrakterzug jener, die sich mit der cbenberührten großen innern
Kälte sehr gut verträgt. So schöne Gruppen voll Adels der Form wir
Kaulbach verdanken, einen wie großen Kreis von Empfindungen und Leiden¬
schaften er darzustellen versteht, Liebe, Innigkeit, Hingebung sind nicht
darunter, man wird unter den sämmtlichen Figuren die er je geschaffen
keine finden, die diese Empfindungen wahr und innig ausspräche, sie nicht durch
bloße Süßlichkeit ja Grimasse zu ersetzen suchte. Um so besser gelingt ihm
die Darstellung der Nachtseiten des menschlichen Herzens, der Tücke, des Hohns,
der Arglist, der Rache und Eifersucht, wie die des Schmerzes und der
Wuth, weshalb denn auch seine Darstellungen, wie sehr man sie sonst
anerkennen mag, selten einen wohlthuenden erhebenden Eindruck machen,
sondern eher das Herz zusammenschnüren, oder die Schadenfreude reizen,
wenn uns nicht einmal die schwungvolle Macht und die Schönheit ein¬
zelner Gruppen wirklich fortreißt. Er hat in diesem Stücke eine große
Achnlichkeit mit der Rachel, nur daß er umfassender und reicher, niemals
aber so intensiv ist als diese.

Ein Grnndunterschied seiner Kunst, wie der ganzen Schule, der ihre
Werke im einzelnen oft so reizlos macht, selbst wenn uns die ganze Conception
gefällt. ist, daß er an den Dingen fast nnr den Organismus wiedergibt, aber
nicht die Art der Erscheinung, der durchaus die Realität fehlt. Die Kunst
hat es aber mit der Erscheinung zu thun.

Schwind ist ein Romantiker wie Uhland, Rückert oder Chamisso, eine
liebenswürdige Specialität, sast der einzige ganz nationale Künstler dieser
Epoche, da er auch die altdeutschen Formen nie verleugnet hat. während in
Genellis Kompositionen uns ganz die Weltansicht Byrons mit Platenschcr
Reinheit und Größe der Form verbunden erscheint. Auch Heß und Führich
haben sich das germanische Element mehr als die andern religiösen Maler zu
erholten gewußt, während sonst der Classicismus immer mehr überHand nahm.
Haben nun diese Künstler viel und bedeutendes Neues ihren Vorgängern hinzu¬
gefügt, so zeigen uns wie gesagt fast alle übrigen Glieder der Schule mehr jene
classicirende Form der zweiten Cornelianischen Epoche als den Geist^der ersten, alle
miteinander unterscheidet von dieser hauptsächlich eine bewußte Tendenz zur
Jdealisirung, das eigentliche nationale Lebenselement ist fast ganz verschwun-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/29>, abgerufen am 12.10.2024.