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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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Der Eintritt in die Ehe machte in dem Leben der römischen Frauen
einen ganz andern Abschnitt als in dem der modernen. Es war in der Re¬
gel ein jäher Uebergang aus unbedingter Abhängigkeit in unbeschränkte Frei¬
heit, eine plötzliche unermeßliche Erweiterung des Lebenshorizonts. Beinahe
eben noch in den engen Raum der Kinderstube gebannt, sahen sie sich nun
in eine weite, glanzerfüllte, farbenprangcnde Welt versetzt. Von den Genüssen,
und Zerstreuungen, die diese Welt in Ueberfülle und unaufhörlichem Wechsel
bot, waren sie durch Sitte und Herkommen ebenso wenig ausgeschlossen als
vor ihren unzähligen Verführungen und Gefahren irgendwie geschützt. Im
eignen Hause nahmen sie eine höchst selbstständige Stellung ein. Das alte
römische Familienrecht, das dem Herrn des Hauses die unumschränkteste Ge¬
walt über seine Frau wie über alle andern Angehörigen verliehen hatte, war
im Lauf der Jahrhunderte allmälig gelockert, endlich völlig gelöst, und die
Emancipation der Frauen dadurch vollendet worden, daß das Gesetz ihnen
das Eigentumsrecht an ihrem eingebrachten Vermögen gab. In der sogenann¬
ten freien Ehe, die in der Kaiserzeit durchaus die gewöhnliche war,
ging nur die Mitgift in das Vermögen des Mannes über (nicht einmal
an diese war sein Anrecht unbeschränkt), ihr übriges Hab und Gut behielt
die Frau als Eigenthum und rechtlich stand dein Mann nicht einmal dessen
Nießbrauch oder Verwaltung zu. Diese Unantastbarkeit des Vermögens
der Frauen wurde dann auch bei betrügerischen Bankerotten gemißbraucht.
Hatte der Mann, der seine Zahlungen einstellte, sein Hab und Gut noch recht¬
zeitig seiner Frau verschrieben, so hatten die Gläubiger keinen Anspruch
darauf. Natürlich konnten die Frauen ihre Männer mit der Verwaltung ihres
Vermögens beauftragen. Häufig indeß hatten reiche Frauen ihre Bevoll¬
mächtigten, und man wollte bemerken, daß sie dazu besonders schöne und ele¬
gante junge Leute wählten, wobei denn das Verhältniß zu einem förmlichen Cicis-
beat ausartete. Dieses veranlaßte natürlich oft Gerede. "Wer ist der wvhlsrisirte
kleine Stutzer," fragt Martial einen nachsichtigen Ehemann, "der deiner Frau
nicht von der Seite geht, unaufhörlich in ihr Ohr zu zischeln hat, und ihren
Sessel mit dem rechten Arm umfaßt hält? Er besorgt die Angelegenheiten
deiner Frau? O Thor, deine eigenen Angelegenheiten besorgt er."

Daß Frauen in so unabhängiger Stellung häusig die Zügel des Haus¬
wesens ergriffen, und die Gebieterinnen ihrer Männer im eigentlichsten
Sinne des Worts wurden, wird nicht Wunder nehmen. Horaz mußte seine
Blicke über die Grenzen des römischen Reichs hinaus, auf die halbwilden
Nvmadcnvölker der Donau richten, um Zustände schildern zu können, in
denen "die begüterte Gattin nicht den Mann .regiert." "Warum ich keine
reiche Frau heirathen will?" fragt Martial. "weil ich nicht Lust habe die Frau
meiner Frau zu werden." Und Juvenal erklärt sogar, es gebe nichts Alter-


Der Eintritt in die Ehe machte in dem Leben der römischen Frauen
einen ganz andern Abschnitt als in dem der modernen. Es war in der Re¬
gel ein jäher Uebergang aus unbedingter Abhängigkeit in unbeschränkte Frei¬
heit, eine plötzliche unermeßliche Erweiterung des Lebenshorizonts. Beinahe
eben noch in den engen Raum der Kinderstube gebannt, sahen sie sich nun
in eine weite, glanzerfüllte, farbenprangcnde Welt versetzt. Von den Genüssen,
und Zerstreuungen, die diese Welt in Ueberfülle und unaufhörlichem Wechsel
bot, waren sie durch Sitte und Herkommen ebenso wenig ausgeschlossen als
vor ihren unzähligen Verführungen und Gefahren irgendwie geschützt. Im
eignen Hause nahmen sie eine höchst selbstständige Stellung ein. Das alte
römische Familienrecht, das dem Herrn des Hauses die unumschränkteste Ge¬
walt über seine Frau wie über alle andern Angehörigen verliehen hatte, war
im Lauf der Jahrhunderte allmälig gelockert, endlich völlig gelöst, und die
Emancipation der Frauen dadurch vollendet worden, daß das Gesetz ihnen
das Eigentumsrecht an ihrem eingebrachten Vermögen gab. In der sogenann¬
ten freien Ehe, die in der Kaiserzeit durchaus die gewöhnliche war,
ging nur die Mitgift in das Vermögen des Mannes über (nicht einmal
an diese war sein Anrecht unbeschränkt), ihr übriges Hab und Gut behielt
die Frau als Eigenthum und rechtlich stand dein Mann nicht einmal dessen
Nießbrauch oder Verwaltung zu. Diese Unantastbarkeit des Vermögens
der Frauen wurde dann auch bei betrügerischen Bankerotten gemißbraucht.
Hatte der Mann, der seine Zahlungen einstellte, sein Hab und Gut noch recht¬
zeitig seiner Frau verschrieben, so hatten die Gläubiger keinen Anspruch
darauf. Natürlich konnten die Frauen ihre Männer mit der Verwaltung ihres
Vermögens beauftragen. Häufig indeß hatten reiche Frauen ihre Bevoll¬
mächtigten, und man wollte bemerken, daß sie dazu besonders schöne und ele¬
gante junge Leute wählten, wobei denn das Verhältniß zu einem förmlichen Cicis-
beat ausartete. Dieses veranlaßte natürlich oft Gerede. „Wer ist der wvhlsrisirte
kleine Stutzer," fragt Martial einen nachsichtigen Ehemann, „der deiner Frau
nicht von der Seite geht, unaufhörlich in ihr Ohr zu zischeln hat, und ihren
Sessel mit dem rechten Arm umfaßt hält? Er besorgt die Angelegenheiten
deiner Frau? O Thor, deine eigenen Angelegenheiten besorgt er."

Daß Frauen in so unabhängiger Stellung häusig die Zügel des Haus¬
wesens ergriffen, und die Gebieterinnen ihrer Männer im eigentlichsten
Sinne des Worts wurden, wird nicht Wunder nehmen. Horaz mußte seine
Blicke über die Grenzen des römischen Reichs hinaus, auf die halbwilden
Nvmadcnvölker der Donau richten, um Zustände schildern zu können, in
denen „die begüterte Gattin nicht den Mann .regiert." „Warum ich keine
reiche Frau heirathen will?" fragt Martial. „weil ich nicht Lust habe die Frau
meiner Frau zu werden." Und Juvenal erklärt sogar, es gebe nichts Alter-


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[0038] Der Eintritt in die Ehe machte in dem Leben der römischen Frauen einen ganz andern Abschnitt als in dem der modernen. Es war in der Re¬ gel ein jäher Uebergang aus unbedingter Abhängigkeit in unbeschränkte Frei¬ heit, eine plötzliche unermeßliche Erweiterung des Lebenshorizonts. Beinahe eben noch in den engen Raum der Kinderstube gebannt, sahen sie sich nun in eine weite, glanzerfüllte, farbenprangcnde Welt versetzt. Von den Genüssen, und Zerstreuungen, die diese Welt in Ueberfülle und unaufhörlichem Wechsel bot, waren sie durch Sitte und Herkommen ebenso wenig ausgeschlossen als vor ihren unzähligen Verführungen und Gefahren irgendwie geschützt. Im eignen Hause nahmen sie eine höchst selbstständige Stellung ein. Das alte römische Familienrecht, das dem Herrn des Hauses die unumschränkteste Ge¬ walt über seine Frau wie über alle andern Angehörigen verliehen hatte, war im Lauf der Jahrhunderte allmälig gelockert, endlich völlig gelöst, und die Emancipation der Frauen dadurch vollendet worden, daß das Gesetz ihnen das Eigentumsrecht an ihrem eingebrachten Vermögen gab. In der sogenann¬ ten freien Ehe, die in der Kaiserzeit durchaus die gewöhnliche war, ging nur die Mitgift in das Vermögen des Mannes über (nicht einmal an diese war sein Anrecht unbeschränkt), ihr übriges Hab und Gut behielt die Frau als Eigenthum und rechtlich stand dein Mann nicht einmal dessen Nießbrauch oder Verwaltung zu. Diese Unantastbarkeit des Vermögens der Frauen wurde dann auch bei betrügerischen Bankerotten gemißbraucht. Hatte der Mann, der seine Zahlungen einstellte, sein Hab und Gut noch recht¬ zeitig seiner Frau verschrieben, so hatten die Gläubiger keinen Anspruch darauf. Natürlich konnten die Frauen ihre Männer mit der Verwaltung ihres Vermögens beauftragen. Häufig indeß hatten reiche Frauen ihre Bevoll¬ mächtigten, und man wollte bemerken, daß sie dazu besonders schöne und ele¬ gante junge Leute wählten, wobei denn das Verhältniß zu einem förmlichen Cicis- beat ausartete. Dieses veranlaßte natürlich oft Gerede. „Wer ist der wvhlsrisirte kleine Stutzer," fragt Martial einen nachsichtigen Ehemann, „der deiner Frau nicht von der Seite geht, unaufhörlich in ihr Ohr zu zischeln hat, und ihren Sessel mit dem rechten Arm umfaßt hält? Er besorgt die Angelegenheiten deiner Frau? O Thor, deine eigenen Angelegenheiten besorgt er." Daß Frauen in so unabhängiger Stellung häusig die Zügel des Haus¬ wesens ergriffen, und die Gebieterinnen ihrer Männer im eigentlichsten Sinne des Worts wurden, wird nicht Wunder nehmen. Horaz mußte seine Blicke über die Grenzen des römischen Reichs hinaus, auf die halbwilden Nvmadcnvölker der Donau richten, um Zustände schildern zu können, in denen „die begüterte Gattin nicht den Mann .regiert." „Warum ich keine reiche Frau heirathen will?" fragt Martial. „weil ich nicht Lust habe die Frau meiner Frau zu werden." Und Juvenal erklärt sogar, es gebe nichts Alter-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/38>, abgerufen am 12.10.2024.