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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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ter. der nicht einen Groschen in der Tasche habe, den Taback in Danzig ge¬
stohlen haben müsse, und da die anwesenden Bauern der Behauptung sämmt¬
lich beistimmten, so wurde das ganze Waarenlager auf der Stelle confiscire.
Der unglückliche Junge stemmte sich gegen die Gewaltthätigkeit aus allen
Kräften, und da seine Bitten und Vorstellungen nichts fruchteten, so drohte
er bei dem Richter des Orts sich deshalb zu beklagen, "Wie? was?" rief
der aufgebrachte Wirth, "du willst mich verklagen, Gaudieb? Nun gut, so
verklage mich: ich bin der Richter!" Hierauf ging das Gehämmer von neuem
los, und zwar so unbarmherzig, daß der Betroffene Mühe hatte, die Thüre
zu gewinnen, und kaum war er entwischt, schrie er Mordio. Auf dieses hin
wurden die Hunde gegen ihn losgelassen, und nickt ohne neue Verletzungen
konnte er sich vor seinen Verfolgern durch einen halsbrecherischen Sprung über
eine Hecke retten.

So oft ich mir diese Geschichte vergegenwärtige, fällt mir die irische
Wirthschaft ein, die meiner innersten Ueberzeugung nach mit der slavischen
die größte Ähnlichkeit hat. Erscheint der polnische Bauer vor Gericht, so kann
man sicher sein, daß seine Frau ihn dahin begleitet. Wird er gefragt, so ant¬
wortet seine Ehehälfte, ohne Ausnahme mit sehr lauter und aufgeregter Stimme,
bis der Richter. nachdem er ihr zu wiederholten Malen, jedoch vergebens, "zu
schweigen geboten, sie durch den Gerichtsdiener nach dem Zuschauerraume schassen
läßt. Jetzt wird mit dem seines bessern Selbst beraubten Hausherrn das
Verhör fortgesetzt; derselbe wird sich aber wol hüten, eine Antwort zu geben,
bevor er sich nach seiner Beratherin umgesehen, die ihm auch unaufgefordert
mit sehr verständlichen Gesticulationen ihre Willensmeinung zu erkennen gibt.
Zu einem gütlichen Vergleich ist der polnische Bauer sast nie zubewegen, und
wenn der Richter ihm an den Fingern vorrechnet, daß er durch einen Ur¬
theilsspruch nnr verlieren kann. Er will das "Papier mit dem Adler", wo¬
mit er sich unter allen Umständen zufrieden gibt; denn der Pole hat eine
heilige Scheu vor dem Gerichte, so zwar, daß der Mann sich aufs tiefste vor
dem Richter verneigt, die Frau ihm Hand und Kleider küßt. Nur in Er-
kliirungen, auf freundlichen Zuspruch darf der Träger der Themiswage sich
nicht einlassen; bei den verstocktesten Verbrechern richtet man damit mehr ans
als bei dem polnischen Bauer, der einen stiermäßigen Eigensinn besitzt, aber
in demselben Maße von Bewunderung für den preußischen Referendarius er¬
füllt wird, wenn dieser mit Flüchen und Drohungen auf ihn losdonuert. die
der Dolmetscher niemals unterläßt, den Betreffenden Wort für Wort ins Pol¬
nische zu übersetzen. Ein Vergleich gelingt nnr dadurch, daß der Richter den
Parteien, die vielleicht über zwei Groschen Sportelgcbühreu sich nicht einigen
können, den Vorschlag macht, die zwei Groschen gemeinschaftlich in Schnaps
zu vertrinken. Der wahre Peststofs ist der Branntwein, den der Wirth in


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ter. der nicht einen Groschen in der Tasche habe, den Taback in Danzig ge¬
stohlen haben müsse, und da die anwesenden Bauern der Behauptung sämmt¬
lich beistimmten, so wurde das ganze Waarenlager auf der Stelle confiscire.
Der unglückliche Junge stemmte sich gegen die Gewaltthätigkeit aus allen
Kräften, und da seine Bitten und Vorstellungen nichts fruchteten, so drohte
er bei dem Richter des Orts sich deshalb zu beklagen, „Wie? was?" rief
der aufgebrachte Wirth, „du willst mich verklagen, Gaudieb? Nun gut, so
verklage mich: ich bin der Richter!" Hierauf ging das Gehämmer von neuem
los, und zwar so unbarmherzig, daß der Betroffene Mühe hatte, die Thüre
zu gewinnen, und kaum war er entwischt, schrie er Mordio. Auf dieses hin
wurden die Hunde gegen ihn losgelassen, und nickt ohne neue Verletzungen
konnte er sich vor seinen Verfolgern durch einen halsbrecherischen Sprung über
eine Hecke retten.

So oft ich mir diese Geschichte vergegenwärtige, fällt mir die irische
Wirthschaft ein, die meiner innersten Ueberzeugung nach mit der slavischen
die größte Ähnlichkeit hat. Erscheint der polnische Bauer vor Gericht, so kann
man sicher sein, daß seine Frau ihn dahin begleitet. Wird er gefragt, so ant¬
wortet seine Ehehälfte, ohne Ausnahme mit sehr lauter und aufgeregter Stimme,
bis der Richter. nachdem er ihr zu wiederholten Malen, jedoch vergebens, «zu
schweigen geboten, sie durch den Gerichtsdiener nach dem Zuschauerraume schassen
läßt. Jetzt wird mit dem seines bessern Selbst beraubten Hausherrn das
Verhör fortgesetzt; derselbe wird sich aber wol hüten, eine Antwort zu geben,
bevor er sich nach seiner Beratherin umgesehen, die ihm auch unaufgefordert
mit sehr verständlichen Gesticulationen ihre Willensmeinung zu erkennen gibt.
Zu einem gütlichen Vergleich ist der polnische Bauer sast nie zubewegen, und
wenn der Richter ihm an den Fingern vorrechnet, daß er durch einen Ur¬
theilsspruch nnr verlieren kann. Er will das „Papier mit dem Adler", wo¬
mit er sich unter allen Umständen zufrieden gibt; denn der Pole hat eine
heilige Scheu vor dem Gerichte, so zwar, daß der Mann sich aufs tiefste vor
dem Richter verneigt, die Frau ihm Hand und Kleider küßt. Nur in Er-
kliirungen, auf freundlichen Zuspruch darf der Träger der Themiswage sich
nicht einlassen; bei den verstocktesten Verbrechern richtet man damit mehr ans
als bei dem polnischen Bauer, der einen stiermäßigen Eigensinn besitzt, aber
in demselben Maße von Bewunderung für den preußischen Referendarius er¬
füllt wird, wenn dieser mit Flüchen und Drohungen auf ihn losdonuert. die
der Dolmetscher niemals unterläßt, den Betreffenden Wort für Wort ins Pol¬
nische zu übersetzen. Ein Vergleich gelingt nnr dadurch, daß der Richter den
Parteien, die vielleicht über zwei Groschen Sportelgcbühreu sich nicht einigen
können, den Vorschlag macht, die zwei Groschen gemeinschaftlich in Schnaps
zu vertrinken. Der wahre Peststofs ist der Branntwein, den der Wirth in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/43>, abgerufen am 12.10.2024.