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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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wehmüthig-sehnsüchtigen Blicken, mit denen das "^ouruiil ä'^l^v" nur zu oft
über die Vogesen hinüberschaut, einen genügenden Anhaltspunkt finden. Dieser
nebelhafte Zwitterstandpunkt mochte ja eine Zeitlang seine Berechtigung haben;
im Augenblicke des Handelns aber kann er für die, welche ihn einnehmen,
nur verderblich sein. Wie klar ist dagegen die Stellung der ultramontanen
und andererseits die der französisch-republikanischen Partei! Die letztere zumal
kennt gegenüber den Wahlen nur Einen leitenden Gedanken: absolute Deutsch¬
feindlichkeit. Ihr Organ, die Gambetta'sche "Kopudlique kramMe", fordert
mit der ihm eigenen Entschiedenheit, daß Alle, Katholiken, Protestanten,
Juden und Freidenker, die sie trennenden Unterschiede vergessen und sich zu
dem Einen Glaubensbekenntniß vereinigen: Frankreich für immer! Keine
Unthätigkeit! -- so ermahnt das Blatt, -- Keine Wahlenthaltung! Alle
zur Urne! -- aber nur, um Männer zu wählen, die in Berlin das Banner
Frankreichs zu entfalten entschlossen sind. Der Rath zur Verbrüderung
der Confessionen, zum gemeinsamen Proteste gegen die Vereinigung mit
Deutschland hat Herr Gambetta bereits bei der Option ertheilt. Ob er dies¬
mal von größerem Erfolge sein wird, als damals, bleibt abzuwarten. Die
Chancen der entschieden deutsch-feindlichen Opposition werden in der That
ganz davon abhängen, ob Klerikale und Republikaner sich über gemeinsame
Kandidaten zu- verständigen wissen. Ob die Nachricht, daß dies in Metz
gelungen sei, indem sich beide Parteien, nach der Ablehnung des republikanisch
gesinnten Bürgermeisters Bezaneon auf den Bischof Dupont des Loges ver¬
einigt hätten, ist noch unverbürgt. Hier im Elsaß verlautet noch nichts Be¬
stimmtes über französische Candidaturen; die Ultramontanen sind ja ohnehin
gewohnt, unter der Oberfläche zu arbeiten. Dagegen ist die elsässisch-parti-
eularistische Partei bereits mit einigen Namen hervorgetreten, mit denen
Deutschland schon zufrieden sein könnte: so Bergmann im Stadtkreis, Klein
im Landkreis Straßburg. Flaxland in Rappoltsweiler, Schlumberger in Geb-
Weiler, Häffely in Mülhausen. Wirklich fest steht aber bisher nur die Can-
didatur Bergmann's. Die Erklärung, in welcher das allgemein geachtete
Mitglied der Straßburger Handelskammer dieselbe soeben annimmt, erkennt
die Zugehörigkeit Elsaß-Lothringens zum deutschen Reiche unumwunden an
und fordert auf dieser Basis die möglichst autonome Constituirung des Reichs¬
landes; sie ist die loyalste Kundgebung, die aus dem Kreise der eingeborenen
Elsässer noch hervorgegangen. Welchen Wiederhall sie im Lande findet, werden
uns erst die nächsten Wochen lehren.

Die aus Deutschland eingewanderten Elemente werden selbstverständlich
ihre Aufgabe lediglich darin finden dürfen, die Candidaten der elsässtschen
Partei zu unterstützen. Nur politische Thoren würden im Elsaß an ein ge¬
sondertes Vorgehen, an die Aufstellung von "entschieden deutschen" Candidaten


wehmüthig-sehnsüchtigen Blicken, mit denen das „^ouruiil ä'^l^v" nur zu oft
über die Vogesen hinüberschaut, einen genügenden Anhaltspunkt finden. Dieser
nebelhafte Zwitterstandpunkt mochte ja eine Zeitlang seine Berechtigung haben;
im Augenblicke des Handelns aber kann er für die, welche ihn einnehmen,
nur verderblich sein. Wie klar ist dagegen die Stellung der ultramontanen
und andererseits die der französisch-republikanischen Partei! Die letztere zumal
kennt gegenüber den Wahlen nur Einen leitenden Gedanken: absolute Deutsch¬
feindlichkeit. Ihr Organ, die Gambetta'sche „Kopudlique kramMe", fordert
mit der ihm eigenen Entschiedenheit, daß Alle, Katholiken, Protestanten,
Juden und Freidenker, die sie trennenden Unterschiede vergessen und sich zu
dem Einen Glaubensbekenntniß vereinigen: Frankreich für immer! Keine
Unthätigkeit! — so ermahnt das Blatt, — Keine Wahlenthaltung! Alle
zur Urne! — aber nur, um Männer zu wählen, die in Berlin das Banner
Frankreichs zu entfalten entschlossen sind. Der Rath zur Verbrüderung
der Confessionen, zum gemeinsamen Proteste gegen die Vereinigung mit
Deutschland hat Herr Gambetta bereits bei der Option ertheilt. Ob er dies¬
mal von größerem Erfolge sein wird, als damals, bleibt abzuwarten. Die
Chancen der entschieden deutsch-feindlichen Opposition werden in der That
ganz davon abhängen, ob Klerikale und Republikaner sich über gemeinsame
Kandidaten zu- verständigen wissen. Ob die Nachricht, daß dies in Metz
gelungen sei, indem sich beide Parteien, nach der Ablehnung des republikanisch
gesinnten Bürgermeisters Bezaneon auf den Bischof Dupont des Loges ver¬
einigt hätten, ist noch unverbürgt. Hier im Elsaß verlautet noch nichts Be¬
stimmtes über französische Candidaturen; die Ultramontanen sind ja ohnehin
gewohnt, unter der Oberfläche zu arbeiten. Dagegen ist die elsässisch-parti-
eularistische Partei bereits mit einigen Namen hervorgetreten, mit denen
Deutschland schon zufrieden sein könnte: so Bergmann im Stadtkreis, Klein
im Landkreis Straßburg. Flaxland in Rappoltsweiler, Schlumberger in Geb-
Weiler, Häffely in Mülhausen. Wirklich fest steht aber bisher nur die Can-
didatur Bergmann's. Die Erklärung, in welcher das allgemein geachtete
Mitglied der Straßburger Handelskammer dieselbe soeben annimmt, erkennt
die Zugehörigkeit Elsaß-Lothringens zum deutschen Reiche unumwunden an
und fordert auf dieser Basis die möglichst autonome Constituirung des Reichs¬
landes; sie ist die loyalste Kundgebung, die aus dem Kreise der eingeborenen
Elsässer noch hervorgegangen. Welchen Wiederhall sie im Lande findet, werden
uns erst die nächsten Wochen lehren.

Die aus Deutschland eingewanderten Elemente werden selbstverständlich
ihre Aufgabe lediglich darin finden dürfen, die Candidaten der elsässtschen
Partei zu unterstützen. Nur politische Thoren würden im Elsaß an ein ge¬
sondertes Vorgehen, an die Aufstellung von „entschieden deutschen" Candidaten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/35>, abgerufen am 25.04.2024.