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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Nordschleswigs Protestpartei.

willige Aufnahme und Anstellung und wurden nicht selten den Landeskindern
vorgezogen. In jüngster Zeit scheint man jenseits der Königsau diesen Herren
Märtyrern weniger Sympathie entgegenzubringen. Auch beginnt man in wei¬
teren Kreisen des Königreichs zu erkennen, daß Dänemarks Heil für die Zukunft
in dem Anschluß an Deutschland liegt, daß man also, wie sauer es auch sein
mag. die Ereignisse und die Folgen des Jahres 1864 vergessen muß. Noch
ist diese Stimmung in Dänemark nicht die allgemeine, aber es ist doch ein
Zeichen der Zeit, daß man den revanchebedttrftigen Franzosen, die allen denen
Honig um den Mund schmieren, von denen sie sich für den Fall eines Krieges
mit Deutschland Hilfe holen könnten, von dänischer Seite eine derbe Zurück¬
weisung zukommen ließ. So fängt der Däne im Königreich an, dem nord-
schleswigschen Protestler seine Unterstützung zu entziehen. Die erste Liebe er¬
kaltet, oder besser, die Trennungswunde beginnt unter dem Drucke der eisernen
Notwendigkeit zu vernarben. Und wenn auch noch viel daran fehlt, daß Dünemark
den Verlust Schleswig-Holsteins vergessen hätte, es wird vergessen, weil es
vergessen muß. Je länger, desto weniger wird Nordschleswigs Protestlertum
Unterstützung aus dem Königreiche empfangen. Damit aber entzieht man ihm
einen Grundpfeiler seines Bestehens.

Noch schlimmer aber ist für das Fortbestehen der Partei, daß sie in ihrer
eigentlichen Heimat, in Nordschleswig, nicht mehr so willige Anhänger findet,
als ehedem. Selbst der für die Sache des Protestlertums in Dänemark thätige
Geistliche Mörl Hansen mußte vor kurzem im Dagbladet bekennen, daß die
Sache des Dünentums in Nordschleswig im Rückschritt begriffen sei. Angeln,
so sagt er, ist schon als verloren zu betrachten, und selbst im Norden der
Flensburger Föhrde mache das Deutschtum, namentlich in den Städten, starke
Fortschritte. Er schreibt die ihm unangenehme Thatsache auf Rechnung der
eingewanderten deutschen Beamten und der Einführung des Deutschen als
Unterrichtssprache zu. Einen Umstand aber, und zwar den wichtigsten, vergißt
er, weniger aus Unkenntnis, als weil er ihm unbequem ist, den Umstand, daß
der Nordschleswiger der unfruchtbaren Opposition müde wird und anfängt, sich
in die nun einmal bestehende Ordnung der Dinge zu fügen. Man wolle mich
nicht mißverstehen. Es giebt in unsrer Nordmark noch Leute genug, deren
Gesinnung fanatisch dänisch ist, aber es giebt auch solche, die sich die Sache
überlegt haben und aus dem dänischen ins deutsche Lager übergegangen sind,
nicht aus Charakterlosigkeit oder politischer Gleichgiltigkeit, sondern weil eine
vernünftige Überlegung ihnen gesagt hat, daß das für ihr eignes Wohl und für
das Wohl ihrer Heimat am ersprießlichsten sei. Nur der politische Hochmut hält
es für unmöglich, seine Anschauungen über eine Sache zu ändern. Bei reiflicher
Überlegung erscheint manche Sache in anderm Lichte, als beim ersten Anblick.

Im Grunde kann man es dem Nordschleswiger nicht verdenken, wenn
ihm das Deutschwerden, insbesondre das Prcußischwerden, anfangs nicht gefiel,


Nordschleswigs Protestpartei.

willige Aufnahme und Anstellung und wurden nicht selten den Landeskindern
vorgezogen. In jüngster Zeit scheint man jenseits der Königsau diesen Herren
Märtyrern weniger Sympathie entgegenzubringen. Auch beginnt man in wei¬
teren Kreisen des Königreichs zu erkennen, daß Dänemarks Heil für die Zukunft
in dem Anschluß an Deutschland liegt, daß man also, wie sauer es auch sein
mag. die Ereignisse und die Folgen des Jahres 1864 vergessen muß. Noch
ist diese Stimmung in Dänemark nicht die allgemeine, aber es ist doch ein
Zeichen der Zeit, daß man den revanchebedttrftigen Franzosen, die allen denen
Honig um den Mund schmieren, von denen sie sich für den Fall eines Krieges
mit Deutschland Hilfe holen könnten, von dänischer Seite eine derbe Zurück¬
weisung zukommen ließ. So fängt der Däne im Königreich an, dem nord-
schleswigschen Protestler seine Unterstützung zu entziehen. Die erste Liebe er¬
kaltet, oder besser, die Trennungswunde beginnt unter dem Drucke der eisernen
Notwendigkeit zu vernarben. Und wenn auch noch viel daran fehlt, daß Dünemark
den Verlust Schleswig-Holsteins vergessen hätte, es wird vergessen, weil es
vergessen muß. Je länger, desto weniger wird Nordschleswigs Protestlertum
Unterstützung aus dem Königreiche empfangen. Damit aber entzieht man ihm
einen Grundpfeiler seines Bestehens.

Noch schlimmer aber ist für das Fortbestehen der Partei, daß sie in ihrer
eigentlichen Heimat, in Nordschleswig, nicht mehr so willige Anhänger findet,
als ehedem. Selbst der für die Sache des Protestlertums in Dänemark thätige
Geistliche Mörl Hansen mußte vor kurzem im Dagbladet bekennen, daß die
Sache des Dünentums in Nordschleswig im Rückschritt begriffen sei. Angeln,
so sagt er, ist schon als verloren zu betrachten, und selbst im Norden der
Flensburger Föhrde mache das Deutschtum, namentlich in den Städten, starke
Fortschritte. Er schreibt die ihm unangenehme Thatsache auf Rechnung der
eingewanderten deutschen Beamten und der Einführung des Deutschen als
Unterrichtssprache zu. Einen Umstand aber, und zwar den wichtigsten, vergißt
er, weniger aus Unkenntnis, als weil er ihm unbequem ist, den Umstand, daß
der Nordschleswiger der unfruchtbaren Opposition müde wird und anfängt, sich
in die nun einmal bestehende Ordnung der Dinge zu fügen. Man wolle mich
nicht mißverstehen. Es giebt in unsrer Nordmark noch Leute genug, deren
Gesinnung fanatisch dänisch ist, aber es giebt auch solche, die sich die Sache
überlegt haben und aus dem dänischen ins deutsche Lager übergegangen sind,
nicht aus Charakterlosigkeit oder politischer Gleichgiltigkeit, sondern weil eine
vernünftige Überlegung ihnen gesagt hat, daß das für ihr eignes Wohl und für
das Wohl ihrer Heimat am ersprießlichsten sei. Nur der politische Hochmut hält
es für unmöglich, seine Anschauungen über eine Sache zu ändern. Bei reiflicher
Überlegung erscheint manche Sache in anderm Lichte, als beim ersten Anblick.

Im Grunde kann man es dem Nordschleswiger nicht verdenken, wenn
ihm das Deutschwerden, insbesondre das Prcußischwerden, anfangs nicht gefiel,


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[0613] Nordschleswigs Protestpartei. willige Aufnahme und Anstellung und wurden nicht selten den Landeskindern vorgezogen. In jüngster Zeit scheint man jenseits der Königsau diesen Herren Märtyrern weniger Sympathie entgegenzubringen. Auch beginnt man in wei¬ teren Kreisen des Königreichs zu erkennen, daß Dänemarks Heil für die Zukunft in dem Anschluß an Deutschland liegt, daß man also, wie sauer es auch sein mag. die Ereignisse und die Folgen des Jahres 1864 vergessen muß. Noch ist diese Stimmung in Dänemark nicht die allgemeine, aber es ist doch ein Zeichen der Zeit, daß man den revanchebedttrftigen Franzosen, die allen denen Honig um den Mund schmieren, von denen sie sich für den Fall eines Krieges mit Deutschland Hilfe holen könnten, von dänischer Seite eine derbe Zurück¬ weisung zukommen ließ. So fängt der Däne im Königreich an, dem nord- schleswigschen Protestler seine Unterstützung zu entziehen. Die erste Liebe er¬ kaltet, oder besser, die Trennungswunde beginnt unter dem Drucke der eisernen Notwendigkeit zu vernarben. Und wenn auch noch viel daran fehlt, daß Dünemark den Verlust Schleswig-Holsteins vergessen hätte, es wird vergessen, weil es vergessen muß. Je länger, desto weniger wird Nordschleswigs Protestlertum Unterstützung aus dem Königreiche empfangen. Damit aber entzieht man ihm einen Grundpfeiler seines Bestehens. Noch schlimmer aber ist für das Fortbestehen der Partei, daß sie in ihrer eigentlichen Heimat, in Nordschleswig, nicht mehr so willige Anhänger findet, als ehedem. Selbst der für die Sache des Protestlertums in Dänemark thätige Geistliche Mörl Hansen mußte vor kurzem im Dagbladet bekennen, daß die Sache des Dünentums in Nordschleswig im Rückschritt begriffen sei. Angeln, so sagt er, ist schon als verloren zu betrachten, und selbst im Norden der Flensburger Föhrde mache das Deutschtum, namentlich in den Städten, starke Fortschritte. Er schreibt die ihm unangenehme Thatsache auf Rechnung der eingewanderten deutschen Beamten und der Einführung des Deutschen als Unterrichtssprache zu. Einen Umstand aber, und zwar den wichtigsten, vergißt er, weniger aus Unkenntnis, als weil er ihm unbequem ist, den Umstand, daß der Nordschleswiger der unfruchtbaren Opposition müde wird und anfängt, sich in die nun einmal bestehende Ordnung der Dinge zu fügen. Man wolle mich nicht mißverstehen. Es giebt in unsrer Nordmark noch Leute genug, deren Gesinnung fanatisch dänisch ist, aber es giebt auch solche, die sich die Sache überlegt haben und aus dem dänischen ins deutsche Lager übergegangen sind, nicht aus Charakterlosigkeit oder politischer Gleichgiltigkeit, sondern weil eine vernünftige Überlegung ihnen gesagt hat, daß das für ihr eignes Wohl und für das Wohl ihrer Heimat am ersprießlichsten sei. Nur der politische Hochmut hält es für unmöglich, seine Anschauungen über eine Sache zu ändern. Bei reiflicher Überlegung erscheint manche Sache in anderm Lichte, als beim ersten Anblick. Im Grunde kann man es dem Nordschleswiger nicht verdenken, wenn ihm das Deutschwerden, insbesondre das Prcußischwerden, anfangs nicht gefiel,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/613>, abgerufen am 20.04.2024.