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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Die Ausweisungen in Nordschleswig

Bewohnern das tief demütigende Gefühl erweckt werde, daß sie unter deutscher
Oberhoheit stehen. In Dänemark, wo sich seit Jahren verstündige Politiker
die größte Mühe gegeben haben, die Nachwirkungen des Krieges und des er-
littnen schmerzlichen Verlustes im Volksgemüt zu zerstören und die thörichte
Kriegslust zu dämpfen, soll der Deutschenhaß wieder belebt und denen, die
Bündnispläne gegen Deutschland schmieden, ihr Vorhaben erleichtert werden.
Und das nennt'man Stärkung des Deutschtums! Die durch die Ausweisungen
in Dänemark hervorgerufne Erregung giebt einen kleinen Vorgeschmack davon,
was wir von der Anwendung weiterer Schreckmittel zu erwarten haben.

Der Ernst der Lage erfordert Ansnahmemaßregeln! Es ist ja unmöglich,
von Berlin oder Schleswig aus die nordschleswigischen Angelegenheiten richtig
zu beurteilen. Nur wer an Ort und Stelle wohnt, die Stichelreden der Dänen
hört, täglich ihre Blätter liest und allem, was darin steht, große Bedeutung
beilegt; wer sich die rechte Galle gegen die Dünen anschafft und durch Er¬
widerung ihrer Schimpfereien in derselben Tonart die nationale Ehre heraus¬
zubeißen sucht, ist imstande, die Interessen des Deutschtums recht zu begreifen.
Sogar Herr von Köller ist den Dünen gegenüber zu gelassen und langmütig.
Es wird behauptet, daß die Ausweisungspolitik nicht den persönlichen An¬
schauungen des Oberpräsidenten entspreche; sein "Systemwechsel" sei zu plötzlich
und auffallend, als daß angenommen werden könnte, er sei hierbei ausschließlich
seinen eignen Neigungen gefolgt. Denn Herr von Köller habe ja die dünischen
Zeitungen noch nicht lange genug und in der rechten Stimmung gelesen. Er
sei noch nicht "warm" geworden.

Die sachverständigen Leute, die so sprechen, sehen gar nicht, daß sie sich
in eine Sackgasse vermuut haben, aus der sie sich nicht mehr herauszufinden
vermögen. Mau suchte die Verdeutschung mit Dampf zu betreiben; je mehr
aber die staatliche Gewalt aufgeboten wurde, um die dänische Sprache und
Gesinnung aus Nordschleswig zu verdrängen, desto energischer wurde der
Widerstand. Die Wortführer des Deutschtums aber haben beständig die
öffentliche Meinung in Deutschland über die Wirkungen der von ihnen und
von den Behörden getriebnen Verdeutschungsarbeit zu täuschen gesucht. Weil
sie den Kampf gegen die dünische Sprache zu ihrer Hauptaufgabe machten,
wollten sie nicht eingestehen, wie verderblich dieser Kampf gewirkt hat. Sie
renommirten mit äußern Erfolgen, mit der Vertreibung des Dänischen aus
allen Schulen und der Einführung der deutschen Sprache in den Kirchen einer
Anzahl von Gemeinden, und sie drohten den Dänen bestündig mit weiterin
Vorschieben dieser künstlich erzwungnen Verdeutschung, die zum Erstarken der
deutschfeindlichen Gesinnung so viel beigetragen hat. Gerade diese Thatsache aber
wurde beharrlich bestritten. Das Erstarken der dänischen Agitation wurde
andern Ursachen zugeschrieben. Und dieses thörichte Spiel ist nach der letzten
Neichstagswahl fortgesetzt worden und wird noch jetzt fortgesetzt. Vertuschen der
eignen Fehler und zugleich Schüren einer den Dänen feindlichen Stimmung.


Die Ausweisungen in Nordschleswig

Bewohnern das tief demütigende Gefühl erweckt werde, daß sie unter deutscher
Oberhoheit stehen. In Dänemark, wo sich seit Jahren verstündige Politiker
die größte Mühe gegeben haben, die Nachwirkungen des Krieges und des er-
littnen schmerzlichen Verlustes im Volksgemüt zu zerstören und die thörichte
Kriegslust zu dämpfen, soll der Deutschenhaß wieder belebt und denen, die
Bündnispläne gegen Deutschland schmieden, ihr Vorhaben erleichtert werden.
Und das nennt'man Stärkung des Deutschtums! Die durch die Ausweisungen
in Dänemark hervorgerufne Erregung giebt einen kleinen Vorgeschmack davon,
was wir von der Anwendung weiterer Schreckmittel zu erwarten haben.

Der Ernst der Lage erfordert Ansnahmemaßregeln! Es ist ja unmöglich,
von Berlin oder Schleswig aus die nordschleswigischen Angelegenheiten richtig
zu beurteilen. Nur wer an Ort und Stelle wohnt, die Stichelreden der Dänen
hört, täglich ihre Blätter liest und allem, was darin steht, große Bedeutung
beilegt; wer sich die rechte Galle gegen die Dünen anschafft und durch Er¬
widerung ihrer Schimpfereien in derselben Tonart die nationale Ehre heraus¬
zubeißen sucht, ist imstande, die Interessen des Deutschtums recht zu begreifen.
Sogar Herr von Köller ist den Dünen gegenüber zu gelassen und langmütig.
Es wird behauptet, daß die Ausweisungspolitik nicht den persönlichen An¬
schauungen des Oberpräsidenten entspreche; sein „Systemwechsel" sei zu plötzlich
und auffallend, als daß angenommen werden könnte, er sei hierbei ausschließlich
seinen eignen Neigungen gefolgt. Denn Herr von Köller habe ja die dünischen
Zeitungen noch nicht lange genug und in der rechten Stimmung gelesen. Er
sei noch nicht „warm" geworden.

Die sachverständigen Leute, die so sprechen, sehen gar nicht, daß sie sich
in eine Sackgasse vermuut haben, aus der sie sich nicht mehr herauszufinden
vermögen. Mau suchte die Verdeutschung mit Dampf zu betreiben; je mehr
aber die staatliche Gewalt aufgeboten wurde, um die dänische Sprache und
Gesinnung aus Nordschleswig zu verdrängen, desto energischer wurde der
Widerstand. Die Wortführer des Deutschtums aber haben beständig die
öffentliche Meinung in Deutschland über die Wirkungen der von ihnen und
von den Behörden getriebnen Verdeutschungsarbeit zu täuschen gesucht. Weil
sie den Kampf gegen die dünische Sprache zu ihrer Hauptaufgabe machten,
wollten sie nicht eingestehen, wie verderblich dieser Kampf gewirkt hat. Sie
renommirten mit äußern Erfolgen, mit der Vertreibung des Dänischen aus
allen Schulen und der Einführung der deutschen Sprache in den Kirchen einer
Anzahl von Gemeinden, und sie drohten den Dänen bestündig mit weiterin
Vorschieben dieser künstlich erzwungnen Verdeutschung, die zum Erstarken der
deutschfeindlichen Gesinnung so viel beigetragen hat. Gerade diese Thatsache aber
wurde beharrlich bestritten. Das Erstarken der dänischen Agitation wurde
andern Ursachen zugeschrieben. Und dieses thörichte Spiel ist nach der letzten
Neichstagswahl fortgesetzt worden und wird noch jetzt fortgesetzt. Vertuschen der
eignen Fehler und zugleich Schüren einer den Dänen feindlichen Stimmung.


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[0624] Die Ausweisungen in Nordschleswig Bewohnern das tief demütigende Gefühl erweckt werde, daß sie unter deutscher Oberhoheit stehen. In Dänemark, wo sich seit Jahren verstündige Politiker die größte Mühe gegeben haben, die Nachwirkungen des Krieges und des er- littnen schmerzlichen Verlustes im Volksgemüt zu zerstören und die thörichte Kriegslust zu dämpfen, soll der Deutschenhaß wieder belebt und denen, die Bündnispläne gegen Deutschland schmieden, ihr Vorhaben erleichtert werden. Und das nennt'man Stärkung des Deutschtums! Die durch die Ausweisungen in Dänemark hervorgerufne Erregung giebt einen kleinen Vorgeschmack davon, was wir von der Anwendung weiterer Schreckmittel zu erwarten haben. Der Ernst der Lage erfordert Ansnahmemaßregeln! Es ist ja unmöglich, von Berlin oder Schleswig aus die nordschleswigischen Angelegenheiten richtig zu beurteilen. Nur wer an Ort und Stelle wohnt, die Stichelreden der Dänen hört, täglich ihre Blätter liest und allem, was darin steht, große Bedeutung beilegt; wer sich die rechte Galle gegen die Dünen anschafft und durch Er¬ widerung ihrer Schimpfereien in derselben Tonart die nationale Ehre heraus¬ zubeißen sucht, ist imstande, die Interessen des Deutschtums recht zu begreifen. Sogar Herr von Köller ist den Dünen gegenüber zu gelassen und langmütig. Es wird behauptet, daß die Ausweisungspolitik nicht den persönlichen An¬ schauungen des Oberpräsidenten entspreche; sein „Systemwechsel" sei zu plötzlich und auffallend, als daß angenommen werden könnte, er sei hierbei ausschließlich seinen eignen Neigungen gefolgt. Denn Herr von Köller habe ja die dünischen Zeitungen noch nicht lange genug und in der rechten Stimmung gelesen. Er sei noch nicht „warm" geworden. Die sachverständigen Leute, die so sprechen, sehen gar nicht, daß sie sich in eine Sackgasse vermuut haben, aus der sie sich nicht mehr herauszufinden vermögen. Mau suchte die Verdeutschung mit Dampf zu betreiben; je mehr aber die staatliche Gewalt aufgeboten wurde, um die dänische Sprache und Gesinnung aus Nordschleswig zu verdrängen, desto energischer wurde der Widerstand. Die Wortführer des Deutschtums aber haben beständig die öffentliche Meinung in Deutschland über die Wirkungen der von ihnen und von den Behörden getriebnen Verdeutschungsarbeit zu täuschen gesucht. Weil sie den Kampf gegen die dünische Sprache zu ihrer Hauptaufgabe machten, wollten sie nicht eingestehen, wie verderblich dieser Kampf gewirkt hat. Sie renommirten mit äußern Erfolgen, mit der Vertreibung des Dänischen aus allen Schulen und der Einführung der deutschen Sprache in den Kirchen einer Anzahl von Gemeinden, und sie drohten den Dänen bestündig mit weiterin Vorschieben dieser künstlich erzwungnen Verdeutschung, die zum Erstarken der deutschfeindlichen Gesinnung so viel beigetragen hat. Gerade diese Thatsache aber wurde beharrlich bestritten. Das Erstarken der dänischen Agitation wurde andern Ursachen zugeschrieben. Und dieses thörichte Spiel ist nach der letzten Neichstagswahl fortgesetzt worden und wird noch jetzt fortgesetzt. Vertuschen der eignen Fehler und zugleich Schüren einer den Dänen feindlichen Stimmung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/624>, abgerufen am 25.04.2024.