Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Reich und das Reichsland

elsässischen Klerus gegen die von der Regierung beabsichtigte Errichtung einer
katholischen Fakultät in Straßburg geführt hat, als ein Symptom französischer
Gesinnung bezeichnet werden. Ein genauer Kenner der Verhältnisse, der katho¬
lische Reichskanzler Fürst Chlodwig Hohenlohe, hat in der Rcichstagssitznng
vom 21. Februar 1900 erklärt, er könne den leidenschaftlichen Protest, den
ein Teil des Klerus in dieser Frage erhoben habe, uur auf dessen französische
Gesinnung zurückführen; ein Teil des Klerus hänge noch an deu französischen
Traditionen, die sich im großen Seminar erhalten hätten.

Die dritte Gruppe wird gebildet von den partiknlaristischen Elsaß-
Lothringern. Im Jahre 1871 ist vielfach von deutscher Seite der Gedanke
ausgesprochen worden, man solle den Partikularismus im Reichslande stärken;
die Pflege einer partiknlaristischen Gesinnung sei das Mittel, wodurch die
Elsaß-Lothringer wieder zu guten Deutschen gemacht werden könnten. Diese
auch von dem Fürsten Bismarck geteilte Hoffnung hat sich bis jetzt nicht erfüllt.
In dem französischen Sprachgebiet von Lothringen giebt es heute noch keine
Spur einer partiknlaristischen Gesinnung. Hier besteht noch der alte nationale
Gegensatz zwischen Deutschtum und Franzosentum mit ungeschwächter Kraft.
Auch im deutschredenden Teile Lothringens hat sich kein provinzielles Sonder¬
leben, das im Gegensatz zum französischen Volkstum stünde, entwickelt. Die
Abgeordneten aus dem deutschen Sprachgebiet von Lothringen gehn in allen
Fragen mit ihren Landsleuten ans dem französischen Sprachgebiet zusammen.
Im Straßburger Landesausschuß bilden die sämtlichen Abgeordneten aus
Lothringen einen Sonderbund, der geschlossen stimmt, Anträge stellt, Er¬
klärungen abgiebt, Beifall spendet und Mißfallen äußert! Man wird also
annehmen dürfen, daß die Gesinnungen und die Interessen dieser lothringischen
Landsmannschaft im wesentlichen solidarisch sind. Allerdings ist 1878 der
Autouomist Lorette im Wahlkreis Diedenyofen-Bolchen zum Reichstagsabge-
ordneten gewählt worden. Aber diese Wahl hatte nur lokale Bedeutung;
eine Antonomistenpartei -- wie im Elsaß -- hat in Lothringen niemals
existiert.

Im Elsaß dagegen hat schou unter französischer Herrschaft eine starke
Partiknlaristische Strömung bestanden. Die amtliche Teilung des Landes in
die Departements Hiwt-Kbin und Lks-Min hat den innern Zusammenhang
des elsässischen Volksstamms nicht zerstören können. Die Bewohner beider
Departements haben sich jederzeit mit demselben Stolz als "Elsässer" gefühlt;
Straßburger und Mülhäuser Dichter haben gewetteifert, die Schönheiten ihrer
gemeinsamen Heimat zu besingen. Im Jahre 1850 wurde in Kolmar die noch
heute bestehende elsässische Monatsschrift Ksvug ä'^is^vo begründet, zu der
"und viele Unterelsässer Beiträge geliefert haben. Wenig Jahre später -- 1855 --
entstand in Straßburg die sooivtö pour ig, vonservMcm clss inonuinsiits Kisto-
i'Mks ä'^lsAvo, die auch im Oberelsaß zahlreiche Freunde und Mitglieder
fand. Die genannte Zeitschrift und die genannte Gesellschaft sind wohl die
einzigen Beispiele dafür, daß sich in dem streng zentralisierten Frankreich An-


Das Reich und das Reichsland

elsässischen Klerus gegen die von der Regierung beabsichtigte Errichtung einer
katholischen Fakultät in Straßburg geführt hat, als ein Symptom französischer
Gesinnung bezeichnet werden. Ein genauer Kenner der Verhältnisse, der katho¬
lische Reichskanzler Fürst Chlodwig Hohenlohe, hat in der Rcichstagssitznng
vom 21. Februar 1900 erklärt, er könne den leidenschaftlichen Protest, den
ein Teil des Klerus in dieser Frage erhoben habe, uur auf dessen französische
Gesinnung zurückführen; ein Teil des Klerus hänge noch an deu französischen
Traditionen, die sich im großen Seminar erhalten hätten.

Die dritte Gruppe wird gebildet von den partiknlaristischen Elsaß-
Lothringern. Im Jahre 1871 ist vielfach von deutscher Seite der Gedanke
ausgesprochen worden, man solle den Partikularismus im Reichslande stärken;
die Pflege einer partiknlaristischen Gesinnung sei das Mittel, wodurch die
Elsaß-Lothringer wieder zu guten Deutschen gemacht werden könnten. Diese
auch von dem Fürsten Bismarck geteilte Hoffnung hat sich bis jetzt nicht erfüllt.
In dem französischen Sprachgebiet von Lothringen giebt es heute noch keine
Spur einer partiknlaristischen Gesinnung. Hier besteht noch der alte nationale
Gegensatz zwischen Deutschtum und Franzosentum mit ungeschwächter Kraft.
Auch im deutschredenden Teile Lothringens hat sich kein provinzielles Sonder¬
leben, das im Gegensatz zum französischen Volkstum stünde, entwickelt. Die
Abgeordneten aus dem deutschen Sprachgebiet von Lothringen gehn in allen
Fragen mit ihren Landsleuten ans dem französischen Sprachgebiet zusammen.
Im Straßburger Landesausschuß bilden die sämtlichen Abgeordneten aus
Lothringen einen Sonderbund, der geschlossen stimmt, Anträge stellt, Er¬
klärungen abgiebt, Beifall spendet und Mißfallen äußert! Man wird also
annehmen dürfen, daß die Gesinnungen und die Interessen dieser lothringischen
Landsmannschaft im wesentlichen solidarisch sind. Allerdings ist 1878 der
Autouomist Lorette im Wahlkreis Diedenyofen-Bolchen zum Reichstagsabge-
ordneten gewählt worden. Aber diese Wahl hatte nur lokale Bedeutung;
eine Antonomistenpartei — wie im Elsaß — hat in Lothringen niemals
existiert.

Im Elsaß dagegen hat schou unter französischer Herrschaft eine starke
Partiknlaristische Strömung bestanden. Die amtliche Teilung des Landes in
die Departements Hiwt-Kbin und Lks-Min hat den innern Zusammenhang
des elsässischen Volksstamms nicht zerstören können. Die Bewohner beider
Departements haben sich jederzeit mit demselben Stolz als „Elsässer" gefühlt;
Straßburger und Mülhäuser Dichter haben gewetteifert, die Schönheiten ihrer
gemeinsamen Heimat zu besingen. Im Jahre 1850 wurde in Kolmar die noch
heute bestehende elsässische Monatsschrift Ksvug ä'^is^vo begründet, zu der
"und viele Unterelsässer Beiträge geliefert haben. Wenig Jahre später — 1855 —
entstand in Straßburg die sooivtö pour ig, vonservMcm clss inonuinsiits Kisto-
i'Mks ä'^lsAvo, die auch im Oberelsaß zahlreiche Freunde und Mitglieder
fand. Die genannte Zeitschrift und die genannte Gesellschaft sind wohl die
einzigen Beispiele dafür, daß sich in dem streng zentralisierten Frankreich An-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0331" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/236153"/>
          <fw type="header" place="top"> Das Reich und das Reichsland</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1283" prev="#ID_1282"> elsässischen Klerus gegen die von der Regierung beabsichtigte Errichtung einer<lb/>
katholischen Fakultät in Straßburg geführt hat, als ein Symptom französischer<lb/>
Gesinnung bezeichnet werden. Ein genauer Kenner der Verhältnisse, der katho¬<lb/>
lische Reichskanzler Fürst Chlodwig Hohenlohe, hat in der Rcichstagssitznng<lb/>
vom 21. Februar 1900 erklärt, er könne den leidenschaftlichen Protest, den<lb/>
ein Teil des Klerus in dieser Frage erhoben habe, uur auf dessen französische<lb/>
Gesinnung zurückführen; ein Teil des Klerus hänge noch an deu französischen<lb/>
Traditionen, die sich im großen Seminar erhalten hätten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1284"> Die dritte Gruppe wird gebildet von den partiknlaristischen Elsaß-<lb/>
Lothringern. Im Jahre 1871 ist vielfach von deutscher Seite der Gedanke<lb/>
ausgesprochen worden, man solle den Partikularismus im Reichslande stärken;<lb/>
die Pflege einer partiknlaristischen Gesinnung sei das Mittel, wodurch die<lb/>
Elsaß-Lothringer wieder zu guten Deutschen gemacht werden könnten. Diese<lb/>
auch von dem Fürsten Bismarck geteilte Hoffnung hat sich bis jetzt nicht erfüllt.<lb/>
In dem französischen Sprachgebiet von Lothringen giebt es heute noch keine<lb/>
Spur einer partiknlaristischen Gesinnung. Hier besteht noch der alte nationale<lb/>
Gegensatz zwischen Deutschtum und Franzosentum mit ungeschwächter Kraft.<lb/>
Auch im deutschredenden Teile Lothringens hat sich kein provinzielles Sonder¬<lb/>
leben, das im Gegensatz zum französischen Volkstum stünde, entwickelt. Die<lb/>
Abgeordneten aus dem deutschen Sprachgebiet von Lothringen gehn in allen<lb/>
Fragen mit ihren Landsleuten ans dem französischen Sprachgebiet zusammen.<lb/>
Im Straßburger Landesausschuß bilden die sämtlichen Abgeordneten aus<lb/>
Lothringen einen Sonderbund, der geschlossen stimmt, Anträge stellt, Er¬<lb/>
klärungen abgiebt, Beifall spendet und Mißfallen äußert! Man wird also<lb/>
annehmen dürfen, daß die Gesinnungen und die Interessen dieser lothringischen<lb/>
Landsmannschaft im wesentlichen solidarisch sind. Allerdings ist 1878 der<lb/>
Autouomist Lorette im Wahlkreis Diedenyofen-Bolchen zum Reichstagsabge-<lb/>
ordneten gewählt worden. Aber diese Wahl hatte nur lokale Bedeutung;<lb/>
eine Antonomistenpartei &#x2014; wie im Elsaß &#x2014; hat in Lothringen niemals<lb/>
existiert.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1285" next="#ID_1286"> Im Elsaß dagegen hat schou unter französischer Herrschaft eine starke<lb/>
Partiknlaristische Strömung bestanden. Die amtliche Teilung des Landes in<lb/>
die Departements Hiwt-Kbin und Lks-Min hat den innern Zusammenhang<lb/>
des elsässischen Volksstamms nicht zerstören können. Die Bewohner beider<lb/>
Departements haben sich jederzeit mit demselben Stolz als &#x201E;Elsässer" gefühlt;<lb/>
Straßburger und Mülhäuser Dichter haben gewetteifert, die Schönheiten ihrer<lb/>
gemeinsamen Heimat zu besingen. Im Jahre 1850 wurde in Kolmar die noch<lb/>
heute bestehende elsässische Monatsschrift Ksvug ä'^is^vo begründet, zu der<lb/>
"und viele Unterelsässer Beiträge geliefert haben. Wenig Jahre später &#x2014; 1855 &#x2014;<lb/>
entstand in Straßburg die sooivtö pour ig, vonservMcm clss inonuinsiits Kisto-<lb/>
i'Mks ä'^lsAvo, die auch im Oberelsaß zahlreiche Freunde und Mitglieder<lb/>
fand. Die genannte Zeitschrift und die genannte Gesellschaft sind wohl die<lb/>
einzigen Beispiele dafür, daß sich in dem streng zentralisierten Frankreich An-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0331] Das Reich und das Reichsland elsässischen Klerus gegen die von der Regierung beabsichtigte Errichtung einer katholischen Fakultät in Straßburg geführt hat, als ein Symptom französischer Gesinnung bezeichnet werden. Ein genauer Kenner der Verhältnisse, der katho¬ lische Reichskanzler Fürst Chlodwig Hohenlohe, hat in der Rcichstagssitznng vom 21. Februar 1900 erklärt, er könne den leidenschaftlichen Protest, den ein Teil des Klerus in dieser Frage erhoben habe, uur auf dessen französische Gesinnung zurückführen; ein Teil des Klerus hänge noch an deu französischen Traditionen, die sich im großen Seminar erhalten hätten. Die dritte Gruppe wird gebildet von den partiknlaristischen Elsaß- Lothringern. Im Jahre 1871 ist vielfach von deutscher Seite der Gedanke ausgesprochen worden, man solle den Partikularismus im Reichslande stärken; die Pflege einer partiknlaristischen Gesinnung sei das Mittel, wodurch die Elsaß-Lothringer wieder zu guten Deutschen gemacht werden könnten. Diese auch von dem Fürsten Bismarck geteilte Hoffnung hat sich bis jetzt nicht erfüllt. In dem französischen Sprachgebiet von Lothringen giebt es heute noch keine Spur einer partiknlaristischen Gesinnung. Hier besteht noch der alte nationale Gegensatz zwischen Deutschtum und Franzosentum mit ungeschwächter Kraft. Auch im deutschredenden Teile Lothringens hat sich kein provinzielles Sonder¬ leben, das im Gegensatz zum französischen Volkstum stünde, entwickelt. Die Abgeordneten aus dem deutschen Sprachgebiet von Lothringen gehn in allen Fragen mit ihren Landsleuten ans dem französischen Sprachgebiet zusammen. Im Straßburger Landesausschuß bilden die sämtlichen Abgeordneten aus Lothringen einen Sonderbund, der geschlossen stimmt, Anträge stellt, Er¬ klärungen abgiebt, Beifall spendet und Mißfallen äußert! Man wird also annehmen dürfen, daß die Gesinnungen und die Interessen dieser lothringischen Landsmannschaft im wesentlichen solidarisch sind. Allerdings ist 1878 der Autouomist Lorette im Wahlkreis Diedenyofen-Bolchen zum Reichstagsabge- ordneten gewählt worden. Aber diese Wahl hatte nur lokale Bedeutung; eine Antonomistenpartei — wie im Elsaß — hat in Lothringen niemals existiert. Im Elsaß dagegen hat schou unter französischer Herrschaft eine starke Partiknlaristische Strömung bestanden. Die amtliche Teilung des Landes in die Departements Hiwt-Kbin und Lks-Min hat den innern Zusammenhang des elsässischen Volksstamms nicht zerstören können. Die Bewohner beider Departements haben sich jederzeit mit demselben Stolz als „Elsässer" gefühlt; Straßburger und Mülhäuser Dichter haben gewetteifert, die Schönheiten ihrer gemeinsamen Heimat zu besingen. Im Jahre 1850 wurde in Kolmar die noch heute bestehende elsässische Monatsschrift Ksvug ä'^is^vo begründet, zu der "und viele Unterelsässer Beiträge geliefert haben. Wenig Jahre später — 1855 — entstand in Straßburg die sooivtö pour ig, vonservMcm clss inonuinsiits Kisto- i'Mks ä'^lsAvo, die auch im Oberelsaß zahlreiche Freunde und Mitglieder fand. Die genannte Zeitschrift und die genannte Gesellschaft sind wohl die einzigen Beispiele dafür, daß sich in dem streng zentralisierten Frankreich An-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/331
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/331>, abgerufen am 19.04.2024.