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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Der Roman Lothringens

gesinnten Bewohnern der entrissenen Departements den Rat, im Lande zu
bleiben. In dein Buch ssrvi<zö as 1'H.11<zinagiie> dient der Elsässer Ehrmann
ruhig sein Jahr ab. Folgte er Jean Oberle, würde er ja nur Platz schaffen
für die nachwandernden Germanen und würde das Land der Germanisierung
Preisgeben. Der Elsaß-Lothringer hat aber auf seinem Posten an Rhein und
Vogesen auszuhalten und den weltgeschichtlichen Beruf des Landes weiter zu
erfüllen. I^a, romariisation als8 (?6rnig.iii8 68t> ig, tenäimviz con8eines Ah
l'^IsAvien-I^orram. Im Schlußwort zu /^u sorvioe cle l'^llöins^rio redet
Barres den Helden Bazins an: "Jean Oberle, willst du ein Held sein? Verlaß
das Elsaß nicht!" -- "Ja, was kann ich hier nützliches tun, ich armer Ver¬
dächtiger, gegenüber einem Niesenreich?" -- "Ich verlange nicht, daß du handelst;
du sollst nur leben. Ich verlange nicht einmal, daß du protestiert; aber
natürlich wird jeder deiner Atemzüge ein Atemzug im Rhythmus zweier Jahr¬
hunderte des Zusammenklangs mit dem französischen Herzen sein. Bleib ein
Kiesel Frankreichs unter dem Stiefel des Eindringlings. Ertrage das Unver¬
meidliche und erhalte, was nicht stirbt." In dem Vorwort zu Florent Makkers
Buch Il'^lsaeg-LoriNns Ah nos ^jorirs kommt Barres auf diesen Gedankengang
zurück. "Man kann heute sagen, daß jeder Auswanderer ein Soldat war,
den Frankreich verlor in dem Kampf, der sich ewig fortsetzt jenseits der Vogesen
zwischen zwei feindlichen Zivilisationen." Ein andermal sagt Barres, man
müsse das Französische des Elsaß nicht von der Verwaltungstätigkeit eines
französischen Präfekten oder der Anwesenheit französischer Regimenter in der
Kaserne am Austerlitzplatz oder dem Absatz der Mülhauser Waren nach Paris
abhängig machen. Das seien politische, militärische, wirtschaftliche.Zustände,
die das furchtbare Unglück von 1870 wohl ändern konnte. Das hindert die
Elsüsser aber nicht, eine besondre französische Feinheit des Ehrgefühls und eine
Höflichkeit der Sitten, die eben die französische Sittlichkeit selbst ist, zu haben
und weiter zu bewähren. Diese Barressche Anschauungsweise ist in Frankreich
immer mehr zur Anerkennung gekommen und hat die Theorien Bazins zurück¬
gedrängt.

Die bisher genannten Bücher stellten Schicksale elsüssischer Familien dar.
Soeben ist nun ein neuer Band der Sammlung I^es Lastions <Zö l'Lst, von
Maurice Barres erschienen: die Geschichte einer jungen Metzerin: Lolotte
LaudooKiz. Barres will in den "Bastionen des Ostens" zeigen, daß sich
der Charakter dieser Marken im Wandel der Schicksale von Jahrhunderten
immer gleich geblieben ist, das heißt nach der Meinung Barres natürlich, daß
diese Marken immer die teutonischen Barbaren abgewehrt, die Andrängenden
aber zur wahren Kultur, der lateinisch-französischen nämlich, erzogen haben.
Für Maurice Barres, den rationalistisch-konservativen Politiker, wird das
Lateinisch-Französische im übrigen durch das Römisch-Katholische ergänzt. Diese
alte Kultur des Westens ist es, die, wie die Lorelei, die Germanen unwider¬
stehlich anzieht, ihnen aber auch Furcht einflößt und sie leicht zugrunde gehen


Der Roman Lothringens

gesinnten Bewohnern der entrissenen Departements den Rat, im Lande zu
bleiben. In dein Buch ssrvi<zö as 1'H.11<zinagiie> dient der Elsässer Ehrmann
ruhig sein Jahr ab. Folgte er Jean Oberle, würde er ja nur Platz schaffen
für die nachwandernden Germanen und würde das Land der Germanisierung
Preisgeben. Der Elsaß-Lothringer hat aber auf seinem Posten an Rhein und
Vogesen auszuhalten und den weltgeschichtlichen Beruf des Landes weiter zu
erfüllen. I^a, romariisation als8 (?6rnig.iii8 68t> ig, tenäimviz con8eines Ah
l'^IsAvien-I^orram. Im Schlußwort zu /^u sorvioe cle l'^llöins^rio redet
Barres den Helden Bazins an: „Jean Oberle, willst du ein Held sein? Verlaß
das Elsaß nicht!" — „Ja, was kann ich hier nützliches tun, ich armer Ver¬
dächtiger, gegenüber einem Niesenreich?" — „Ich verlange nicht, daß du handelst;
du sollst nur leben. Ich verlange nicht einmal, daß du protestiert; aber
natürlich wird jeder deiner Atemzüge ein Atemzug im Rhythmus zweier Jahr¬
hunderte des Zusammenklangs mit dem französischen Herzen sein. Bleib ein
Kiesel Frankreichs unter dem Stiefel des Eindringlings. Ertrage das Unver¬
meidliche und erhalte, was nicht stirbt." In dem Vorwort zu Florent Makkers
Buch Il'^lsaeg-LoriNns Ah nos ^jorirs kommt Barres auf diesen Gedankengang
zurück. „Man kann heute sagen, daß jeder Auswanderer ein Soldat war,
den Frankreich verlor in dem Kampf, der sich ewig fortsetzt jenseits der Vogesen
zwischen zwei feindlichen Zivilisationen." Ein andermal sagt Barres, man
müsse das Französische des Elsaß nicht von der Verwaltungstätigkeit eines
französischen Präfekten oder der Anwesenheit französischer Regimenter in der
Kaserne am Austerlitzplatz oder dem Absatz der Mülhauser Waren nach Paris
abhängig machen. Das seien politische, militärische, wirtschaftliche.Zustände,
die das furchtbare Unglück von 1870 wohl ändern konnte. Das hindert die
Elsüsser aber nicht, eine besondre französische Feinheit des Ehrgefühls und eine
Höflichkeit der Sitten, die eben die französische Sittlichkeit selbst ist, zu haben
und weiter zu bewähren. Diese Barressche Anschauungsweise ist in Frankreich
immer mehr zur Anerkennung gekommen und hat die Theorien Bazins zurück¬
gedrängt.

Die bisher genannten Bücher stellten Schicksale elsüssischer Familien dar.
Soeben ist nun ein neuer Band der Sammlung I^es Lastions <Zö l'Lst, von
Maurice Barres erschienen: die Geschichte einer jungen Metzerin: Lolotte
LaudooKiz. Barres will in den „Bastionen des Ostens" zeigen, daß sich
der Charakter dieser Marken im Wandel der Schicksale von Jahrhunderten
immer gleich geblieben ist, das heißt nach der Meinung Barres natürlich, daß
diese Marken immer die teutonischen Barbaren abgewehrt, die Andrängenden
aber zur wahren Kultur, der lateinisch-französischen nämlich, erzogen haben.
Für Maurice Barres, den rationalistisch-konservativen Politiker, wird das
Lateinisch-Französische im übrigen durch das Römisch-Katholische ergänzt. Diese
alte Kultur des Westens ist es, die, wie die Lorelei, die Germanen unwider¬
stehlich anzieht, ihnen aber auch Furcht einflößt und sie leicht zugrunde gehen


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[0507] Der Roman Lothringens gesinnten Bewohnern der entrissenen Departements den Rat, im Lande zu bleiben. In dein Buch ssrvi<zö as 1'H.11<zinagiie> dient der Elsässer Ehrmann ruhig sein Jahr ab. Folgte er Jean Oberle, würde er ja nur Platz schaffen für die nachwandernden Germanen und würde das Land der Germanisierung Preisgeben. Der Elsaß-Lothringer hat aber auf seinem Posten an Rhein und Vogesen auszuhalten und den weltgeschichtlichen Beruf des Landes weiter zu erfüllen. I^a, romariisation als8 (?6rnig.iii8 68t> ig, tenäimviz con8eines Ah l'^IsAvien-I^orram. Im Schlußwort zu /^u sorvioe cle l'^llöins^rio redet Barres den Helden Bazins an: „Jean Oberle, willst du ein Held sein? Verlaß das Elsaß nicht!" — „Ja, was kann ich hier nützliches tun, ich armer Ver¬ dächtiger, gegenüber einem Niesenreich?" — „Ich verlange nicht, daß du handelst; du sollst nur leben. Ich verlange nicht einmal, daß du protestiert; aber natürlich wird jeder deiner Atemzüge ein Atemzug im Rhythmus zweier Jahr¬ hunderte des Zusammenklangs mit dem französischen Herzen sein. Bleib ein Kiesel Frankreichs unter dem Stiefel des Eindringlings. Ertrage das Unver¬ meidliche und erhalte, was nicht stirbt." In dem Vorwort zu Florent Makkers Buch Il'^lsaeg-LoriNns Ah nos ^jorirs kommt Barres auf diesen Gedankengang zurück. „Man kann heute sagen, daß jeder Auswanderer ein Soldat war, den Frankreich verlor in dem Kampf, der sich ewig fortsetzt jenseits der Vogesen zwischen zwei feindlichen Zivilisationen." Ein andermal sagt Barres, man müsse das Französische des Elsaß nicht von der Verwaltungstätigkeit eines französischen Präfekten oder der Anwesenheit französischer Regimenter in der Kaserne am Austerlitzplatz oder dem Absatz der Mülhauser Waren nach Paris abhängig machen. Das seien politische, militärische, wirtschaftliche.Zustände, die das furchtbare Unglück von 1870 wohl ändern konnte. Das hindert die Elsüsser aber nicht, eine besondre französische Feinheit des Ehrgefühls und eine Höflichkeit der Sitten, die eben die französische Sittlichkeit selbst ist, zu haben und weiter zu bewähren. Diese Barressche Anschauungsweise ist in Frankreich immer mehr zur Anerkennung gekommen und hat die Theorien Bazins zurück¬ gedrängt. Die bisher genannten Bücher stellten Schicksale elsüssischer Familien dar. Soeben ist nun ein neuer Band der Sammlung I^es Lastions <Zö l'Lst, von Maurice Barres erschienen: die Geschichte einer jungen Metzerin: Lolotte LaudooKiz. Barres will in den „Bastionen des Ostens" zeigen, daß sich der Charakter dieser Marken im Wandel der Schicksale von Jahrhunderten immer gleich geblieben ist, das heißt nach der Meinung Barres natürlich, daß diese Marken immer die teutonischen Barbaren abgewehrt, die Andrängenden aber zur wahren Kultur, der lateinisch-französischen nämlich, erzogen haben. Für Maurice Barres, den rationalistisch-konservativen Politiker, wird das Lateinisch-Französische im übrigen durch das Römisch-Katholische ergänzt. Diese alte Kultur des Westens ist es, die, wie die Lorelei, die Germanen unwider¬ stehlich anzieht, ihnen aber auch Furcht einflößt und sie leicht zugrunde gehen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/507>, abgerufen am 23.04.2024.