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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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vom Charakter der Franzosen

nahmen abgesehen, immer die gleiche Bemerkung gemacht: kleine Beamte,
Arbeiter, Bürger und Bauern, nirgends in der Welt findet man soviel infame
Unverschämtheit, elende kleinliche Bosheit, bloß aus Freude an der Sache selbst,
als in Frankreich. Eine gewisse Lebhaftigkeit und Heiterkeit, die dem gallischen
Volke eignet, kann darüber oberflächliche Beobachter und solche Leute, die Paris
vermittelst eines Retourbillets kennen, täuschen, andere kaum!

Es ist derselbe Charakterzug. der, verfeinert und salonfähig gemacht, bei
dem bessern Franzosen in jenem höhnischen Zynismus und der giftigen Ironie
wiederkehrt, der neben einer großen nationalen Borniertheit und Eitelkeit ein
Hauptcharakteristikum der Franzosen ist. Gewiß, die Wirtshaus- und Cafe¬
gespräche der jeune8se clvrös, der Studenten. Soldaten und jungen Angestellten
sind in der ganzen Welt nicht prüde und zart. Aber so wie in Frankreich . . ?
Und man muß sich klar machen: aus diesen Kreisen rekrutiert sich auch jene
Bürgerschicht von skrupelloser Parvenus, die in Frankreich die Regierung leiten.
Der alte Adel hat sich grollend zurückgezogen, der Pöbel in seiner schlimmsten
Form, als verkappter Pöbel mit Gentlemanallüren dominiert. Daß es daneben
in Frankreich Menschen von feinster Kultur und edelster Bildung gibt, werde
ich am wenigsten leugnen, aber meine Freundschaft und Verehrung für diese
wird mich nie bestechen, den häßlichen Grundcharakter des ganzen Volkes zu
übersehen. Und man bedenke auch, wie verschwindend wenig wirkich sympathische
und edle Persönlichkeiten sich unter den großen Dichtern finden! Überall Eitel¬
keit und Schlimmeres!

Im Grunde ahnt der Deutsche auch etwas davon, daß die weit gepriesene
Höflichkeit und Liebenswürdigkeit der Franzosen nicht deren Wesenskern aus¬
macht. Man fügt darum gern hinzu, wenn man jene Qualitäten rühmt, sie
seien im Grunde "falsch". Indessen möchte ich auch hier widersprechen. "Falsch"
in dem Sinne, daß der Franzose etwa bewußt betröge und belöge, ist er nicht.
Man muß. um ihn zu verstehen, sich über einen Grundunterschied des ganzen
romanischen und germanischen Lebens klar werden, der überall sich äußert. Wir
verlangen von allen Äußerungen des Lebens, daß sie echt seien, das heißt, daß
sie einen unentstellten Ausdruck des inneren Erlebens darstellen. Wir fragen
bei jedem Satz, der uns gesagt wird, ob er aus dem Herzen kommt. Das
tut der Romane längst nicht in demselben Grade Wie wir von einem Gedicht
verlangen, daß es "empfunden" sei, so heischt der Romane vor allem, daß es
"schön" sei, ohne sich um den dahinter steckenden Lebensgehalt viel zu kümmern.
Wie mit der Dichtkunst aber ist es auch mit den übrigen Lebensformen. Auch
diese sind in Frankreich viel losgelöster von den Gefühlen, sind eine Form an
sich geworden. In Frankreich ist das Wort aufgekommen, daß die Sprache dem
Menschen gegeben sei, um seine Gefühle zu verbergen. Man braucht das nicht
fo zu fassen, als handle es sich stets um ein bewußtes Lügen, nein, es handelt
sich nur um eine schöne Form auch der Redeweise, von der man nichts weiter
verlangt, als daß sie schön sei. Man muß dieses Streben nach einer Schönheit,


Grcuzboren III ZV 1,4 23
vom Charakter der Franzosen

nahmen abgesehen, immer die gleiche Bemerkung gemacht: kleine Beamte,
Arbeiter, Bürger und Bauern, nirgends in der Welt findet man soviel infame
Unverschämtheit, elende kleinliche Bosheit, bloß aus Freude an der Sache selbst,
als in Frankreich. Eine gewisse Lebhaftigkeit und Heiterkeit, die dem gallischen
Volke eignet, kann darüber oberflächliche Beobachter und solche Leute, die Paris
vermittelst eines Retourbillets kennen, täuschen, andere kaum!

Es ist derselbe Charakterzug. der, verfeinert und salonfähig gemacht, bei
dem bessern Franzosen in jenem höhnischen Zynismus und der giftigen Ironie
wiederkehrt, der neben einer großen nationalen Borniertheit und Eitelkeit ein
Hauptcharakteristikum der Franzosen ist. Gewiß, die Wirtshaus- und Cafe¬
gespräche der jeune8se clvrös, der Studenten. Soldaten und jungen Angestellten
sind in der ganzen Welt nicht prüde und zart. Aber so wie in Frankreich . . ?
Und man muß sich klar machen: aus diesen Kreisen rekrutiert sich auch jene
Bürgerschicht von skrupelloser Parvenus, die in Frankreich die Regierung leiten.
Der alte Adel hat sich grollend zurückgezogen, der Pöbel in seiner schlimmsten
Form, als verkappter Pöbel mit Gentlemanallüren dominiert. Daß es daneben
in Frankreich Menschen von feinster Kultur und edelster Bildung gibt, werde
ich am wenigsten leugnen, aber meine Freundschaft und Verehrung für diese
wird mich nie bestechen, den häßlichen Grundcharakter des ganzen Volkes zu
übersehen. Und man bedenke auch, wie verschwindend wenig wirkich sympathische
und edle Persönlichkeiten sich unter den großen Dichtern finden! Überall Eitel¬
keit und Schlimmeres!

Im Grunde ahnt der Deutsche auch etwas davon, daß die weit gepriesene
Höflichkeit und Liebenswürdigkeit der Franzosen nicht deren Wesenskern aus¬
macht. Man fügt darum gern hinzu, wenn man jene Qualitäten rühmt, sie
seien im Grunde „falsch". Indessen möchte ich auch hier widersprechen. „Falsch"
in dem Sinne, daß der Franzose etwa bewußt betröge und belöge, ist er nicht.
Man muß. um ihn zu verstehen, sich über einen Grundunterschied des ganzen
romanischen und germanischen Lebens klar werden, der überall sich äußert. Wir
verlangen von allen Äußerungen des Lebens, daß sie echt seien, das heißt, daß
sie einen unentstellten Ausdruck des inneren Erlebens darstellen. Wir fragen
bei jedem Satz, der uns gesagt wird, ob er aus dem Herzen kommt. Das
tut der Romane längst nicht in demselben Grade Wie wir von einem Gedicht
verlangen, daß es „empfunden" sei, so heischt der Romane vor allem, daß es
„schön" sei, ohne sich um den dahinter steckenden Lebensgehalt viel zu kümmern.
Wie mit der Dichtkunst aber ist es auch mit den übrigen Lebensformen. Auch
diese sind in Frankreich viel losgelöster von den Gefühlen, sind eine Form an
sich geworden. In Frankreich ist das Wort aufgekommen, daß die Sprache dem
Menschen gegeben sei, um seine Gefühle zu verbergen. Man braucht das nicht
fo zu fassen, als handle es sich stets um ein bewußtes Lügen, nein, es handelt
sich nur um eine schöne Form auch der Redeweise, von der man nichts weiter
verlangt, als daß sie schön sei. Man muß dieses Streben nach einer Schönheit,


Grcuzboren III ZV 1,4 23
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/341>, abgerufen am 19.04.2024.