Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.Die neue Wendung der polnischen Frage daß anfangs Oktober der Abgeordnete Witos öffentlich jene polnischen Legionäre Die deutsche Presse nahm zu den Patenten vom 12. September je nach Die neue Wendung der polnischen Frage daß anfangs Oktober der Abgeordnete Witos öffentlich jene polnischen Legionäre Die deutsche Presse nahm zu den Patenten vom 12. September je nach <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0065" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/333162"/> <fw type="header" place="top"> Die neue Wendung der polnischen Frage</fw><lb/> <p xml:id="ID_197" prev="#ID_196"> daß anfangs Oktober der Abgeordnete Witos öffentlich jene polnischen Legionäre<lb/> scharf angegriffen hatte, die in den Reihen der deutschen und österreichisch¬<lb/> ungarischen Armeen geblieben sind und dort den vorgeschriebenen Treueid geleistet<lb/> haben. Daraufhin hat das Offizierkorps der Legionen durch Major Lazarski von<lb/> Witos Genugtuung gefordert. Auch das Oberste polnische Nationalkomitee hat<lb/> sich mit dieser Angelegenheit befaßt und Witos die Mißbilligung ausgesprochen.<lb/> Im allgemeinen hat sich die gemäßigte Richtung wieder mehr durchgerungen.<lb/> Dem entspricht auch die Anfangs Oktober gemeldete Bildung einer neuen polnischen<lb/> politischen Partei unter dem Namen „Gruppe der nationalen Arbeit". Sie will<lb/> eine Organisation der gemäßigten Elemente aus allen polnischen Parteien durch¬<lb/> führen und in allen Ortschaften Galiziens Vereine der nationalen Arbeit gründen.<lb/> In einem Aufruf der Gründer der neuen Organisation wird gegen den unfrucht¬<lb/> baren politischen Maximalismus, welcher sich gegenwärtig in Galizien breitmacht,<lb/> und den Polen großen Schaden zufügt, Stellung genommen. Bezüglich der Lösung<lb/> der polnischen Frage steht die neue Organisation auf dem Boden des Programms<lb/> des Obersten Nationalkomitees. (Vgl. mein „Polen und die polnisch-ruthenische<lb/> Frage" 2. Aufl.. S. 100 f.).</p><lb/> <p xml:id="ID_198" next="#ID_199"> Die deutsche Presse nahm zu den Patenten vom 12. September je nach<lb/> ihrer Stellung eine verschiedene Haltung ein. Während die liberalen und demo¬<lb/> kratischen Blätter den Schritt guthießen, tadelten ihn die konservativen und völ-<lb/> kischen. Der Kern aller dieser Ausführungen ist: die Polen waren und sind un¬<lb/> zuverlässig; sie haben stets gegen Deutschland und Osterreich gehetzt; werden sie<lb/> jetzt ihre Politik wirklich ändern und im engsten Anschlusse an die Zentralmächte<lb/> allein ihr Heil suchen: wird das selbständige Königreich und sein Reichstag nicht<lb/> ein Tummelplatz für die uns feindlichen Mächte sein und wird es nicht dem<lb/> folgen, der mehr gibt, oder doch verspricht? Das neue Königreich ist von Berlin<lb/> nur wenige Stunden entfernt. Preußen ist aus dem Zerfall Polens entstanden,<lb/> auch Ostpreußen ist ehemals polnisches Land. Der polnische Staatsgedanke, den<lb/> wir als Waffe gegen unsere Funde und als Sicherung unserer Grenzen gebrauchen<lb/> wollten, würde für Deutschlands Zukunft gefährlich werden, zumindestens müßte<lb/> dafür gesorgt werdeu, daß das neue Reich militärisch, politisch und wirtschaftlich<lb/> unauflöslich mit den Mittemächten verbunden bleibe, daß auf das Verkehrs¬<lb/> wesen uns Einfluß zustehe, Polen niemals wirtschaftlich zum Kampfplatz für uns<lb/> werde u. dergl. Die Rechte der deutschen Ansiedler sind festzulegen. Es wird<lb/> auch der Vorschlag gemacht, die Polen aus Preußen und Osterreich zum Teil auf<lb/> die polnischen Staatsgüter zu versetzen. Viel seltener sind Aufsätze, die Vorschläge<lb/> machen, wie der polnische Staat auszubauen sei. Darauf kommt es aber vor<lb/> allem an! Ein österreichischer Politiker legt in der Deutschen Zeitung (Berlin,<lb/> 2. Oktober) dar, daß an ein Festhalten Polens in deutscher Hand nicht zu denken<lb/> sei. Käme es aber doch dazu, so würden die Polen Galiziens in Osterreich bleiben,<lb/> es nach den Erfahrungen der letzten Monate mit der slawischen Majorität ganz<lb/> beherrschen und dann auch eine gegen Deutschland gerichtete Politik durchsetzen.<lb/> Um Österreich dem bisherigen Bündnisse zu erhalten, müsse daher Galizien aus<lb/> Osterreich ausscheiden. Das könne aber nur geschehen durch Angliederung an<lb/> Polen und zwar nur unter der Bedingung, daß der Kaiser von Osterreich pol¬<lb/> nischer König werde; sonst würde Osterreich seine größte Provinz nicht aufgeben</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0065]
Die neue Wendung der polnischen Frage
daß anfangs Oktober der Abgeordnete Witos öffentlich jene polnischen Legionäre
scharf angegriffen hatte, die in den Reihen der deutschen und österreichisch¬
ungarischen Armeen geblieben sind und dort den vorgeschriebenen Treueid geleistet
haben. Daraufhin hat das Offizierkorps der Legionen durch Major Lazarski von
Witos Genugtuung gefordert. Auch das Oberste polnische Nationalkomitee hat
sich mit dieser Angelegenheit befaßt und Witos die Mißbilligung ausgesprochen.
Im allgemeinen hat sich die gemäßigte Richtung wieder mehr durchgerungen.
Dem entspricht auch die Anfangs Oktober gemeldete Bildung einer neuen polnischen
politischen Partei unter dem Namen „Gruppe der nationalen Arbeit". Sie will
eine Organisation der gemäßigten Elemente aus allen polnischen Parteien durch¬
führen und in allen Ortschaften Galiziens Vereine der nationalen Arbeit gründen.
In einem Aufruf der Gründer der neuen Organisation wird gegen den unfrucht¬
baren politischen Maximalismus, welcher sich gegenwärtig in Galizien breitmacht,
und den Polen großen Schaden zufügt, Stellung genommen. Bezüglich der Lösung
der polnischen Frage steht die neue Organisation auf dem Boden des Programms
des Obersten Nationalkomitees. (Vgl. mein „Polen und die polnisch-ruthenische
Frage" 2. Aufl.. S. 100 f.).
Die deutsche Presse nahm zu den Patenten vom 12. September je nach
ihrer Stellung eine verschiedene Haltung ein. Während die liberalen und demo¬
kratischen Blätter den Schritt guthießen, tadelten ihn die konservativen und völ-
kischen. Der Kern aller dieser Ausführungen ist: die Polen waren und sind un¬
zuverlässig; sie haben stets gegen Deutschland und Osterreich gehetzt; werden sie
jetzt ihre Politik wirklich ändern und im engsten Anschlusse an die Zentralmächte
allein ihr Heil suchen: wird das selbständige Königreich und sein Reichstag nicht
ein Tummelplatz für die uns feindlichen Mächte sein und wird es nicht dem
folgen, der mehr gibt, oder doch verspricht? Das neue Königreich ist von Berlin
nur wenige Stunden entfernt. Preußen ist aus dem Zerfall Polens entstanden,
auch Ostpreußen ist ehemals polnisches Land. Der polnische Staatsgedanke, den
wir als Waffe gegen unsere Funde und als Sicherung unserer Grenzen gebrauchen
wollten, würde für Deutschlands Zukunft gefährlich werden, zumindestens müßte
dafür gesorgt werdeu, daß das neue Reich militärisch, politisch und wirtschaftlich
unauflöslich mit den Mittemächten verbunden bleibe, daß auf das Verkehrs¬
wesen uns Einfluß zustehe, Polen niemals wirtschaftlich zum Kampfplatz für uns
werde u. dergl. Die Rechte der deutschen Ansiedler sind festzulegen. Es wird
auch der Vorschlag gemacht, die Polen aus Preußen und Osterreich zum Teil auf
die polnischen Staatsgüter zu versetzen. Viel seltener sind Aufsätze, die Vorschläge
machen, wie der polnische Staat auszubauen sei. Darauf kommt es aber vor
allem an! Ein österreichischer Politiker legt in der Deutschen Zeitung (Berlin,
2. Oktober) dar, daß an ein Festhalten Polens in deutscher Hand nicht zu denken
sei. Käme es aber doch dazu, so würden die Polen Galiziens in Osterreich bleiben,
es nach den Erfahrungen der letzten Monate mit der slawischen Majorität ganz
beherrschen und dann auch eine gegen Deutschland gerichtete Politik durchsetzen.
Um Österreich dem bisherigen Bündnisse zu erhalten, müsse daher Galizien aus
Osterreich ausscheiden. Das könne aber nur geschehen durch Angliederung an
Polen und zwar nur unter der Bedingung, daß der Kaiser von Osterreich pol¬
nischer König werde; sonst würde Osterreich seine größte Provinz nicht aufgeben
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