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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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Das Rappsche Abenteuer

hatten den Massen das Losungswort gegeben: allgemeiner Volksstreik gegen die
Meuterer, "Einigkeit macht stark". Zwei Welten schieden sich wie Feuer und
Wasser.

Daß Kapp nicht einmal die Zensur und sonstiges Zubehör eines Be¬
lagerungsznstandes einzuführen wagte, daß er durch den Setzerstrei! daran ver¬
hindert werden konnte, seine Proklamation in ausreichender Zahl unter das
Volk zu bringen, dazu die Nachrichten aus dem Reich, welche durch den von
Kapp nicht behinderten Fernsprecher Meldungen von der Regierungstreue des
Südens und Westens in die Berliner Bevölkerung trugen: alles das erklärte
d>e offene Mißachtung, welche die Journalisten dem neuen Machthaber kaum
2^ Stunden nach seinem "Regierungsantritt" bewiesen. Als der 60jährige
Mann mit seiner doch immerhin persönlich imponierender Erscheinung den Pfeiler¬
saal betrat, und sich vor den etwa 200 Anwesenden verneigte, erwiderten ihm
kaum zehn den Gruß. Und als er dann an Stelle eines Programms nur be-
hende, Monarchist oder Militürdiktator zu sein, da hat diese Versammlung, das
nnzigx Stück Volk oder Parlament, vor welchem sich dieser zehnte "Nachfolger"
Bismcircks während seiner ganzen Amtszeit öffentlich vorgestellt hat, vollkommen
begriff^ daß hier wirklich kein Diktator vor ihr stand, sondern ein armer
Mann, der um gut Wetter bat, der das Beste des Vaterlandes, so wie er es
verstand, gewollt hatte, aber bereits an seiner Mission irre geworden war und
sie innerlich verloren gab.

Man brauchte nur ins Nebelthaus einzutreten, um zu sehen, wie alles gegen
Kapp einig war. Das Auswärtige Amt hatte sich unter einer Art von drei-
opfigem Direktorium selbständig gemacht und Unterstaatssekretär v. Hamlet er-
arte den Abgesandten Kapps, er würde zwar seine Tätigkeit fortsetzen, aber
^ handeln, als ob die alte Regierung auf Urlaub wäre. Die Beantwortung
e^ Frage, ob er auch solche Anweisungen der alten Negierung entgegennähme, die
''es gegen die neue richteten, lehnte Herr v. Hamlet ab. Die Neichshauptkassc
verweigere auf Grund einer Weisung des Neichsfinanzministeriums jegliche
Zahlung, und sich das Geld einfach zu holen, das ging den Kappleuten gegen
U)r Anstandsgefühl. Auch hier wieder kein ernster Wille, sich durchzusetzen:
erste Revolution ohne Geld.

Aber noch fand Kapp an diesem Sonntag keinen Rückzug aus der Sack-
liesse. Am Nachmittag versammelte sich das "Kabinett" zu der ersten seiner
^idem einzigen Sitzungen. Es wurde beschlossen, trotz dem Generalstreik, welchem
"'-e "Regierung" hilflos gegenüberstand, und trotz den bedenklichen Nachrichten
Ms dem Reich "unbedingt durchzuhalten".

Das was Bauer und Pabst die "militärische Lage" nannten, wurde als
günstig hingestellt, die Fiktion des einheitlichen Handelns der Wehrmacht auf¬
rechterhalten. General Ludendorff war durch seinen alten Freund Bauer
gebeten worden, der Sitzung als Privatperson beizuwohnen. Er hatte den
Pulses solchen nicht gewünscht. Zu seinen bekannten Wesenszügen gehört aber


Das Rappsche Abenteuer

hatten den Massen das Losungswort gegeben: allgemeiner Volksstreik gegen die
Meuterer, „Einigkeit macht stark". Zwei Welten schieden sich wie Feuer und
Wasser.

Daß Kapp nicht einmal die Zensur und sonstiges Zubehör eines Be¬
lagerungsznstandes einzuführen wagte, daß er durch den Setzerstrei! daran ver¬
hindert werden konnte, seine Proklamation in ausreichender Zahl unter das
Volk zu bringen, dazu die Nachrichten aus dem Reich, welche durch den von
Kapp nicht behinderten Fernsprecher Meldungen von der Regierungstreue des
Südens und Westens in die Berliner Bevölkerung trugen: alles das erklärte
d>e offene Mißachtung, welche die Journalisten dem neuen Machthaber kaum
2^ Stunden nach seinem „Regierungsantritt" bewiesen. Als der 60jährige
Mann mit seiner doch immerhin persönlich imponierender Erscheinung den Pfeiler¬
saal betrat, und sich vor den etwa 200 Anwesenden verneigte, erwiderten ihm
kaum zehn den Gruß. Und als er dann an Stelle eines Programms nur be-
hende, Monarchist oder Militürdiktator zu sein, da hat diese Versammlung, das
nnzigx Stück Volk oder Parlament, vor welchem sich dieser zehnte „Nachfolger"
Bismcircks während seiner ganzen Amtszeit öffentlich vorgestellt hat, vollkommen
begriff^ daß hier wirklich kein Diktator vor ihr stand, sondern ein armer
Mann, der um gut Wetter bat, der das Beste des Vaterlandes, so wie er es
verstand, gewollt hatte, aber bereits an seiner Mission irre geworden war und
sie innerlich verloren gab.

Man brauchte nur ins Nebelthaus einzutreten, um zu sehen, wie alles gegen
Kapp einig war. Das Auswärtige Amt hatte sich unter einer Art von drei-
opfigem Direktorium selbständig gemacht und Unterstaatssekretär v. Hamlet er-
arte den Abgesandten Kapps, er würde zwar seine Tätigkeit fortsetzen, aber
^ handeln, als ob die alte Regierung auf Urlaub wäre. Die Beantwortung
e^ Frage, ob er auch solche Anweisungen der alten Negierung entgegennähme, die
''es gegen die neue richteten, lehnte Herr v. Hamlet ab. Die Neichshauptkassc
verweigere auf Grund einer Weisung des Neichsfinanzministeriums jegliche
Zahlung, und sich das Geld einfach zu holen, das ging den Kappleuten gegen
U)r Anstandsgefühl. Auch hier wieder kein ernster Wille, sich durchzusetzen:
erste Revolution ohne Geld.

Aber noch fand Kapp an diesem Sonntag keinen Rückzug aus der Sack-
liesse. Am Nachmittag versammelte sich das „Kabinett" zu der ersten seiner
^idem einzigen Sitzungen. Es wurde beschlossen, trotz dem Generalstreik, welchem
"'-e „Regierung" hilflos gegenüberstand, und trotz den bedenklichen Nachrichten
Ms dem Reich „unbedingt durchzuhalten".

Das was Bauer und Pabst die „militärische Lage" nannten, wurde als
günstig hingestellt, die Fiktion des einheitlichen Handelns der Wehrmacht auf¬
rechterhalten. General Ludendorff war durch seinen alten Freund Bauer
gebeten worden, der Sitzung als Privatperson beizuwohnen. Er hatte den
Pulses solchen nicht gewünscht. Zu seinen bekannten Wesenszügen gehört aber


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[0349] Das Rappsche Abenteuer hatten den Massen das Losungswort gegeben: allgemeiner Volksstreik gegen die Meuterer, „Einigkeit macht stark". Zwei Welten schieden sich wie Feuer und Wasser. Daß Kapp nicht einmal die Zensur und sonstiges Zubehör eines Be¬ lagerungsznstandes einzuführen wagte, daß er durch den Setzerstrei! daran ver¬ hindert werden konnte, seine Proklamation in ausreichender Zahl unter das Volk zu bringen, dazu die Nachrichten aus dem Reich, welche durch den von Kapp nicht behinderten Fernsprecher Meldungen von der Regierungstreue des Südens und Westens in die Berliner Bevölkerung trugen: alles das erklärte d>e offene Mißachtung, welche die Journalisten dem neuen Machthaber kaum 2^ Stunden nach seinem „Regierungsantritt" bewiesen. Als der 60jährige Mann mit seiner doch immerhin persönlich imponierender Erscheinung den Pfeiler¬ saal betrat, und sich vor den etwa 200 Anwesenden verneigte, erwiderten ihm kaum zehn den Gruß. Und als er dann an Stelle eines Programms nur be- hende, Monarchist oder Militürdiktator zu sein, da hat diese Versammlung, das nnzigx Stück Volk oder Parlament, vor welchem sich dieser zehnte „Nachfolger" Bismcircks während seiner ganzen Amtszeit öffentlich vorgestellt hat, vollkommen begriff^ daß hier wirklich kein Diktator vor ihr stand, sondern ein armer Mann, der um gut Wetter bat, der das Beste des Vaterlandes, so wie er es verstand, gewollt hatte, aber bereits an seiner Mission irre geworden war und sie innerlich verloren gab. Man brauchte nur ins Nebelthaus einzutreten, um zu sehen, wie alles gegen Kapp einig war. Das Auswärtige Amt hatte sich unter einer Art von drei- opfigem Direktorium selbständig gemacht und Unterstaatssekretär v. Hamlet er- arte den Abgesandten Kapps, er würde zwar seine Tätigkeit fortsetzen, aber ^ handeln, als ob die alte Regierung auf Urlaub wäre. Die Beantwortung e^ Frage, ob er auch solche Anweisungen der alten Negierung entgegennähme, die ''es gegen die neue richteten, lehnte Herr v. Hamlet ab. Die Neichshauptkassc verweigere auf Grund einer Weisung des Neichsfinanzministeriums jegliche Zahlung, und sich das Geld einfach zu holen, das ging den Kappleuten gegen U)r Anstandsgefühl. Auch hier wieder kein ernster Wille, sich durchzusetzen: erste Revolution ohne Geld. Aber noch fand Kapp an diesem Sonntag keinen Rückzug aus der Sack- liesse. Am Nachmittag versammelte sich das „Kabinett" zu der ersten seiner ^idem einzigen Sitzungen. Es wurde beschlossen, trotz dem Generalstreik, welchem "'-e „Regierung" hilflos gegenüberstand, und trotz den bedenklichen Nachrichten Ms dem Reich „unbedingt durchzuhalten". Das was Bauer und Pabst die „militärische Lage" nannten, wurde als günstig hingestellt, die Fiktion des einheitlichen Handelns der Wehrmacht auf¬ rechterhalten. General Ludendorff war durch seinen alten Freund Bauer gebeten worden, der Sitzung als Privatperson beizuwohnen. Er hatte den Pulses solchen nicht gewünscht. Zu seinen bekannten Wesenszügen gehört aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/349>, abgerufen am 07.10.2024.