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Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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und hart fragte, worüber sie sich stritten. Die Sache war sehr einfach; der Alte wollte seine Tochter mit dem Kaufmanne verheirathen, welcher an der Ecke seinen Kram hatte, und wies den Jüngling ab, der zwar kein Gut und Geld besaß, aber der schönste junge Römer war, den Albert je gesehen hatte. Kaum trat er dazwischen, als sich augenblicklich jeder Einzelne an ihn wandte, und schließlich kam nun auch der Kaufmann aus dem Hause und schrie sein Theil mit ein. Albert war in einer Gesellschaft gewesen, wo man ihn gegen seinen Willen zu hohem Spiel verführt und wo er beide Taschen voll Goldstücke gewonnen hatte. Er wandte sich an den Vater des Mädchens. Es ist so leicht, moralisch und gut zu sein und für das Rechte in Eifer zu gerathen, wenn man ohne eigenes Interesse bei dem Handel ist: er warf dem Manne seine Schlechtigkeit vor, und dem Kaufmanne, daß er ein so schönes blühendes Mädchen einem solchen Geliebten entreißen wolle, und zum Schluß hieß er den unglücklichen Liebhaber den Hut in beiden Händen herhalten und schüttete ihm das Gold hinein, das er aus der Tasche holte. Nie hatte er einen solchen Rollenwechsel erlebt; das Mädchen fiel ihm zu Füßen und küßte ihm die Hände, der Alte stand wie geblendet, und der junge Mensch starr mit seinem Reichthum vor sich. Der Krämer aber schielte ihm höhnisch von der Seite über die Schulter und schlich sich fort.

Dieses Mädchen war die Frau. Der Vater war

und hart fragte, worüber sie sich stritten. Die Sache war sehr einfach; der Alte wollte seine Tochter mit dem Kaufmanne verheirathen, welcher an der Ecke seinen Kram hatte, und wies den Jüngling ab, der zwar kein Gut und Geld besaß, aber der schönste junge Römer war, den Albert je gesehen hatte. Kaum trat er dazwischen, als sich augenblicklich jeder Einzelne an ihn wandte, und schließlich kam nun auch der Kaufmann aus dem Hause und schrie sein Theil mit ein. Albert war in einer Gesellschaft gewesen, wo man ihn gegen seinen Willen zu hohem Spiel verführt und wo er beide Taschen voll Goldstücke gewonnen hatte. Er wandte sich an den Vater des Mädchens. Es ist so leicht, moralisch und gut zu sein und für das Rechte in Eifer zu gerathen, wenn man ohne eigenes Interesse bei dem Handel ist: er warf dem Manne seine Schlechtigkeit vor, und dem Kaufmanne, daß er ein so schönes blühendes Mädchen einem solchen Geliebten entreißen wolle, und zum Schluß hieß er den unglücklichen Liebhaber den Hut in beiden Händen herhalten und schüttete ihm das Gold hinein, das er aus der Tasche holte. Nie hatte er einen solchen Rollenwechsel erlebt; das Mädchen fiel ihm zu Füßen und küßte ihm die Hände, der Alte stand wie geblendet, und der junge Mensch starr mit seinem Reichthum vor sich. Der Krämer aber schielte ihm höhnisch von der Seite über die Schulter und schlich sich fort.

Dieses Mädchen war die Frau. Der Vater war

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:24:04Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:24:04Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_kind_1910/62>, abgerufen am 18.04.2024.