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Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Sünde an; ich liebe Sie so sehr und glaubte Sie wären unglücklich. Ich beobachtete Sie überall von ferne und in der Nähe, ohne daß Sie davon wußten. Aber Sie waren heiter und strahlend wie am ersten Tage. Ich sah Sie öfter mit Ihrem Verlobten, es schien mir kein Zug in Ihrem Wesen, der mir ein Recht gäbe, mich ferner auch nur mit einem Gedanken zwischen Sie und ihn zu stellen. Verzeihen Sie mir, wenn ich mir die letzte Genugthuung nicht versage, Ihnen zu schreiben, daß ich jetzt bereue, was ich gethan habe. Ich wünsche Glück und Segen auf Ihr Leben. Daß ich Sie ewig lieben werde, ist ein Geständniß, das Sie nicht mehr belästigen wird, und mich macht es so glücklich, nur daß Sie es wissen. Begegnen werden wir uns nicht mehr. Und auch dies noch hören Sie. Mein Herz ist so besorgt, daß es mir zuflüstert: sollte ich dennoch nicht von Ihnen vergessen sein, ja sollte all Ihr Wesen nur ein Schein sein, den ich falsch deutete, sollten Sie den Wunsch haben mich zu sehen -- ich werde jeden Morgen von heute ab im Coliseum sein und Sie erwarten. Belächeln Sie dies als eine Schwäche, so haben Sie ein Recht dazu, und ich schließe mit der herzlichen Bitte, sie mir zu vergeben. Ihr Verlobter, der diesen Brief dann lesen wird, wird so großmüthig sein als Sie selber.

Emil von M.

Emma, hier ist der Brief, ich habe gesehen was darin steht. Lies ihn und laß uns morgen darüber

Sünde an; ich liebe Sie so sehr und glaubte Sie wären unglücklich. Ich beobachtete Sie überall von ferne und in der Nähe, ohne daß Sie davon wußten. Aber Sie waren heiter und strahlend wie am ersten Tage. Ich sah Sie öfter mit Ihrem Verlobten, es schien mir kein Zug in Ihrem Wesen, der mir ein Recht gäbe, mich ferner auch nur mit einem Gedanken zwischen Sie und ihn zu stellen. Verzeihen Sie mir, wenn ich mir die letzte Genugthuung nicht versage, Ihnen zu schreiben, daß ich jetzt bereue, was ich gethan habe. Ich wünsche Glück und Segen auf Ihr Leben. Daß ich Sie ewig lieben werde, ist ein Geständniß, das Sie nicht mehr belästigen wird, und mich macht es so glücklich, nur daß Sie es wissen. Begegnen werden wir uns nicht mehr. Und auch dies noch hören Sie. Mein Herz ist so besorgt, daß es mir zuflüstert: sollte ich dennoch nicht von Ihnen vergessen sein, ja sollte all Ihr Wesen nur ein Schein sein, den ich falsch deutete, sollten Sie den Wunsch haben mich zu sehen — ich werde jeden Morgen von heute ab im Coliseum sein und Sie erwarten. Belächeln Sie dies als eine Schwäche, so haben Sie ein Recht dazu, und ich schließe mit der herzlichen Bitte, sie mir zu vergeben. Ihr Verlobter, der diesen Brief dann lesen wird, wird so großmüthig sein als Sie selber.

Emil von M.

Emma, hier ist der Brief, ich habe gesehen was darin steht. Lies ihn und laß uns morgen darüber

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[0064] Sünde an; ich liebe Sie so sehr und glaubte Sie wären unglücklich. Ich beobachtete Sie überall von ferne und in der Nähe, ohne daß Sie davon wußten. Aber Sie waren heiter und strahlend wie am ersten Tage. Ich sah Sie öfter mit Ihrem Verlobten, es schien mir kein Zug in Ihrem Wesen, der mir ein Recht gäbe, mich ferner auch nur mit einem Gedanken zwischen Sie und ihn zu stellen. Verzeihen Sie mir, wenn ich mir die letzte Genugthuung nicht versage, Ihnen zu schreiben, daß ich jetzt bereue, was ich gethan habe. Ich wünsche Glück und Segen auf Ihr Leben. Daß ich Sie ewig lieben werde, ist ein Geständniß, das Sie nicht mehr belästigen wird, und mich macht es so glücklich, nur daß Sie es wissen. Begegnen werden wir uns nicht mehr. Und auch dies noch hören Sie. Mein Herz ist so besorgt, daß es mir zuflüstert: sollte ich dennoch nicht von Ihnen vergessen sein, ja sollte all Ihr Wesen nur ein Schein sein, den ich falsch deutete, sollten Sie den Wunsch haben mich zu sehen — ich werde jeden Morgen von heute ab im Coliseum sein und Sie erwarten. Belächeln Sie dies als eine Schwäche, so haben Sie ein Recht dazu, und ich schließe mit der herzlichen Bitte, sie mir zu vergeben. Ihr Verlobter, der diesen Brief dann lesen wird, wird so großmüthig sein als Sie selber. Emil von M. Emma, hier ist der Brief, ich habe gesehen was darin steht. Lies ihn und laß uns morgen darüber

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:24:04Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:24:04Z)

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Zitationshilfe: Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_kind_1910/64>, abgerufen am 29.03.2024.