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Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Thräne nach der andern auf das Papier tropfte. Sie schwieg, sie sah nach Albert, der Stuhl verbarg ihn, aber sie hörte seinen Athem. Albert, sagte sie endlich, was soll ich dazu sagen? -- Daß es das Beste war, liebe Therese. Sie ging auf ihn zu und stellte sich neben ihn, aber er sah nicht zu ihr auf.

Er war wie sonst und doch anders. Als er im Herbste ankam, als er sich verlobte, als er sie dann verließ, lag auf ihm ein Schimmer, der etwas Beherrschendes hatte, etwas, das im Accent seiner Rede durchklang, in seinem Gange lag, in seiner Handschrift sich aussprach: Selbstvertrauen; mehr noch, Gefühl von Unfehlbarkeit. Das war von ihm gewichen. Er saß da, wie jeder Andere. Sein Rang, seine Erfahrungen, seine liebenswürdige Art, die Menschen zu fesseln und zum Zuhören zu zwingen, alles war zu leerem Flitterkram zusammengesunken, und er nicht mehr stolz darauf. Er war ein Mensch wie alle andern und hatte ein Herz wie alle andern, eines, das sich beleidigt in ihm hin und her drehte, wie ein losgerissenes Schiffstrümmer in den Wellen, die es nicht versinken lassen, aber dahin und dorthin werfen und endlich auf den öden Strand.

Gieb mir eine Hand, sagte sie. -- Du bist immer die alte Freundliche, antwortete er und reichte sie ihr. -- Ach, Albert, sagte sie wieder, ich sehe Alles ein, es macht mich ganz traurig. Und du? was willst du nun thun? -- O, die Eisenbahn geht ja alle Tage

Thräne nach der andern auf das Papier tropfte. Sie schwieg, sie sah nach Albert, der Stuhl verbarg ihn, aber sie hörte seinen Athem. Albert, sagte sie endlich, was soll ich dazu sagen? — Daß es das Beste war, liebe Therese. Sie ging auf ihn zu und stellte sich neben ihn, aber er sah nicht zu ihr auf.

Er war wie sonst und doch anders. Als er im Herbste ankam, als er sich verlobte, als er sie dann verließ, lag auf ihm ein Schimmer, der etwas Beherrschendes hatte, etwas, das im Accent seiner Rede durchklang, in seinem Gange lag, in seiner Handschrift sich aussprach: Selbstvertrauen; mehr noch, Gefühl von Unfehlbarkeit. Das war von ihm gewichen. Er saß da, wie jeder Andere. Sein Rang, seine Erfahrungen, seine liebenswürdige Art, die Menschen zu fesseln und zum Zuhören zu zwingen, alles war zu leerem Flitterkram zusammengesunken, und er nicht mehr stolz darauf. Er war ein Mensch wie alle andern und hatte ein Herz wie alle andern, eines, das sich beleidigt in ihm hin und her drehte, wie ein losgerissenes Schiffstrümmer in den Wellen, die es nicht versinken lassen, aber dahin und dorthin werfen und endlich auf den öden Strand.

Gieb mir eine Hand, sagte sie. — Du bist immer die alte Freundliche, antwortete er und reichte sie ihr. — Ach, Albert, sagte sie wieder, ich sehe Alles ein, es macht mich ganz traurig. Und du? was willst du nun thun? — O, die Eisenbahn geht ja alle Tage

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[0077] Thräne nach der andern auf das Papier tropfte. Sie schwieg, sie sah nach Albert, der Stuhl verbarg ihn, aber sie hörte seinen Athem. Albert, sagte sie endlich, was soll ich dazu sagen? — Daß es das Beste war, liebe Therese. Sie ging auf ihn zu und stellte sich neben ihn, aber er sah nicht zu ihr auf. Er war wie sonst und doch anders. Als er im Herbste ankam, als er sich verlobte, als er sie dann verließ, lag auf ihm ein Schimmer, der etwas Beherrschendes hatte, etwas, das im Accent seiner Rede durchklang, in seinem Gange lag, in seiner Handschrift sich aussprach: Selbstvertrauen; mehr noch, Gefühl von Unfehlbarkeit. Das war von ihm gewichen. Er saß da, wie jeder Andere. Sein Rang, seine Erfahrungen, seine liebenswürdige Art, die Menschen zu fesseln und zum Zuhören zu zwingen, alles war zu leerem Flitterkram zusammengesunken, und er nicht mehr stolz darauf. Er war ein Mensch wie alle andern und hatte ein Herz wie alle andern, eines, das sich beleidigt in ihm hin und her drehte, wie ein losgerissenes Schiffstrümmer in den Wellen, die es nicht versinken lassen, aber dahin und dorthin werfen und endlich auf den öden Strand. Gieb mir eine Hand, sagte sie. — Du bist immer die alte Freundliche, antwortete er und reichte sie ihr. — Ach, Albert, sagte sie wieder, ich sehe Alles ein, es macht mich ganz traurig. Und du? was willst du nun thun? — O, die Eisenbahn geht ja alle Tage

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:24:04Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:24:04Z)

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Zitationshilfe: Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_kind_1910/77>, abgerufen am 16.04.2024.