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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.

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Jungfrauen, und da ging er mit seiner Jorinde nach Hause, und sie lebten lange vergnügt zusammen.

70.
Die drei Glückskinder.

Ein Vater ließ einmal seine drei Söhne vor sich kommen und schenkte dem ersten einen Hahn, dem zweiten eine Sense, dem dritten eine Katze. "Jch bin schon alt, sagte er, und mein Tod ist nah, da wollte ich euch vor meinem Ende noch versorgen. Geld hab ich nicht, und was ich euch jetzt gebe, scheint wenig werth, es kommt aber bloß darauf an, daß ihr es verständig anwendet; sucht euch nur ein Land, wo dergleichen Dinge noch unbekannt sind, so ist euer Glück gemacht." Nach dem Tode des Vaters ging der älteste mit seinem Hahn aus, wo er aber hinkam, in den Städten sah er einen Hahn schon von weitem auf den Thürmen sitzen und sich mit dem Wind umdrehen, in den Dörfern hörte er mehr als einen krähen und niemand wollte sich über das Thier verwundern, so daß es nicht das Ansehen hatte, als würde er sein Glück damit machen. Endlich aber gerieths ihm doch, daß er auf eine Jnsel kam, wo die Leute nichts von einem Hahn wußten, sogar auch ihre Zeit nicht einzutheilen verstanden. Sie wußten wohl, wenns Morgen oder Abend war, aber Nachts, wenn sies nicht verschliefen, wußt sich keiner aus der Zeit herauszufinden. "Seht, sprach er, was für ein stolzes Thier, es trägt eine rubinrothe Krone auf dem Kopf und hat Sporn an, wie ein

Jungfrauen, und da ging er mit seiner Jorinde nach Hause, und sie lebten lange vergnuͤgt zusammen.

70.
Die drei Gluͤckskinder.

Ein Vater ließ einmal seine drei Soͤhne vor sich kommen und schenkte dem ersten einen Hahn, dem zweiten eine Sense, dem dritten eine Katze. „Jch bin schon alt, sagte er, und mein Tod ist nah, da wollte ich euch vor meinem Ende noch versorgen. Geld hab ich nicht, und was ich euch jetzt gebe, scheint wenig werth, es kommt aber bloß darauf an, daß ihr es verstaͤndig anwendet; sucht euch nur ein Land, wo dergleichen Dinge noch unbekannt sind, so ist euer Gluͤck gemacht.“ Nach dem Tode des Vaters ging der aͤlteste mit seinem Hahn aus, wo er aber hinkam, in den Staͤdten sah er einen Hahn schon von weitem auf den Thuͤrmen sitzen und sich mit dem Wind umdrehen, in den Doͤrfern hoͤrte er mehr als einen kraͤhen und niemand wollte sich uͤber das Thier verwundern, so daß es nicht das Ansehen hatte, als wuͤrde er sein Gluͤck damit machen. Endlich aber gerieths ihm doch, daß er auf eine Jnsel kam, wo die Leute nichts von einem Hahn wußten, sogar auch ihre Zeit nicht einzutheilen verstanden. Sie wußten wohl, wenns Morgen oder Abend war, aber Nachts, wenn sies nicht verschliefen, wußt sich keiner aus der Zeit herauszufinden. „Seht, sprach er, was fuͤr ein stolzes Thier, es traͤgt eine rubinrothe Krone auf dem Kopf und hat Sporn an, wie ein

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[375/0439] Jungfrauen, und da ging er mit seiner Jorinde nach Hause, und sie lebten lange vergnuͤgt zusammen. 70. Die drei Gluͤckskinder. Ein Vater ließ einmal seine drei Soͤhne vor sich kommen und schenkte dem ersten einen Hahn, dem zweiten eine Sense, dem dritten eine Katze. „Jch bin schon alt, sagte er, und mein Tod ist nah, da wollte ich euch vor meinem Ende noch versorgen. Geld hab ich nicht, und was ich euch jetzt gebe, scheint wenig werth, es kommt aber bloß darauf an, daß ihr es verstaͤndig anwendet; sucht euch nur ein Land, wo dergleichen Dinge noch unbekannt sind, so ist euer Gluͤck gemacht.“ Nach dem Tode des Vaters ging der aͤlteste mit seinem Hahn aus, wo er aber hinkam, in den Staͤdten sah er einen Hahn schon von weitem auf den Thuͤrmen sitzen und sich mit dem Wind umdrehen, in den Doͤrfern hoͤrte er mehr als einen kraͤhen und niemand wollte sich uͤber das Thier verwundern, so daß es nicht das Ansehen hatte, als wuͤrde er sein Gluͤck damit machen. Endlich aber gerieths ihm doch, daß er auf eine Jnsel kam, wo die Leute nichts von einem Hahn wußten, sogar auch ihre Zeit nicht einzutheilen verstanden. Sie wußten wohl, wenns Morgen oder Abend war, aber Nachts, wenn sies nicht verschliefen, wußt sich keiner aus der Zeit herauszufinden. „Seht, sprach er, was fuͤr ein stolzes Thier, es traͤgt eine rubinrothe Krone auf dem Kopf und hat Sporn an, wie ein

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Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12545-9) in Bd. 1, S. 7–27 ein aussagekräftiges Vorwort.




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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819/439>, abgerufen am 29.03.2024.