Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite
22.
Das Räthsel.

Es war einmal ein Königssohn, der bekam Lust in der Welt umher zu ziehen, und nahm niemand mit als einen treuen Diener. Eines Tags gerieth er in einen großen Wald, und als der Abend kam, konnte er keine Herberge finden, und wußte nicht wo er die Nacht zubringen sollte. Da sah er ein Mädchen, das nach einem kleinen Häuschen zu gieng, und als er näher kam, sah er daß das Mädchen sehr schön war, und redete es an und sprach 'liebes Kind, kann ich und mein Diener in dem Häuschen für die Nacht ein Unterkommen finden?' 'Ach ja,' sagte das Mädchen mit trauriger Stimme, 'das könnt ihr wohl, aber ich rathe euch nicht dazu.' 'Warum räthst du mir nicht dazu?' fragte der Königssohn. Das Mädchen seufzte und sprach 'meine Stiefmutter treibt böse Künste, sie meints nicht gut mit den Fremden.' Da merkte er wohl daß er zu dem Haus einer Hexe gekommen war, doch weil er nicht weiter konnte, und sich nicht fürchtete, so trat er ein. Die Alte saß auf einem Lehnstuhl beim Feuer, und sah mit ihren rothen und feurigen Augen die Fremden an. 'Guten Abend,' schnarrte sie, und that ganz freundlich, 'laßt euch nieder und ruht euch aus.' Sie blies die Kohlen an, bei welchen sie in einem kleinen

22.
Das Räthsel.

Es war einmal ein Königssohn, der bekam Lust in der Welt umher zu ziehen, und nahm niemand mit als einen treuen Diener. Eines Tags gerieth er in einen großen Wald, und als der Abend kam, konnte er keine Herberge finden, und wußte nicht wo er die Nacht zubringen sollte. Da sah er ein Mädchen, das nach einem kleinen Häuschen zu gieng, und als er näher kam, sah er daß das Mädchen sehr schön war, und redete es an und sprach ‘liebes Kind, kann ich und mein Diener in dem Häuschen für die Nacht ein Unterkommen finden?’ ‘Ach ja,’ sagte das Mädchen mit trauriger Stimme, ‘das könnt ihr wohl, aber ich rathe euch nicht dazu.’ ‘Warum räthst du mir nicht dazu?’ fragte der Königssohn. Das Mädchen seufzte und sprach ‘meine Stiefmutter treibt böse Künste, sie meints nicht gut mit den Fremden.’ Da merkte er wohl daß er zu dem Haus einer Hexe gekommen war, doch weil er nicht weiter konnte, und sich nicht fürchtete, so trat er ein. Die Alte saß auf einem Lehnstuhl beim Feuer, und sah mit ihren rothen und feurigen Augen die Fremden an. ‘Guten Abend,’ schnarrte sie, und that ganz freundlich, ‘laßt euch nieder und ruht euch aus.’ Sie blies die Kohlen an, bei welchen sie in einem kleinen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0186" n="148"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">22.<lb/>
Das Räthsel.</hi> </head><lb/>
        <p><hi rendition="#in">E</hi>s war einmal ein Königssohn, der bekam Lust in der Welt umher zu ziehen, und nahm niemand mit als einen treuen Diener. Eines Tags gerieth er in einen großen Wald, und als der Abend kam, konnte er keine Herberge finden, und wußte nicht wo er die Nacht zubringen sollte. Da sah er ein Mädchen, das nach einem kleinen Häuschen zu gieng, und als er näher kam, sah er daß das Mädchen sehr schön war, und redete es an und sprach &#x2018;liebes Kind, kann ich und mein Diener in dem Häuschen für die Nacht ein Unterkommen finden?&#x2019; &#x2018;Ach ja,&#x2019; sagte das Mädchen mit trauriger Stimme, &#x2018;das könnt ihr wohl, aber ich rathe euch nicht dazu.&#x2019; &#x2018;Warum räthst du mir nicht dazu?&#x2019; fragte der Königssohn. Das Mädchen seufzte und sprach &#x2018;meine Stiefmutter treibt böse Künste, sie meints nicht gut mit den Fremden.&#x2019; Da merkte er wohl daß er zu dem Haus einer Hexe gekommen war, doch weil er nicht weiter konnte, und sich nicht fürchtete, so trat er ein. Die Alte saß auf einem Lehnstuhl beim Feuer, und sah mit ihren rothen und feurigen Augen die Fremden an. &#x2018;Guten Abend,&#x2019; schnarrte sie, und that ganz freundlich, &#x2018;laßt euch nieder und ruht euch aus.&#x2019; Sie blies die Kohlen an, bei welchen sie in einem kleinen
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[148/0186] 22. Das Räthsel. Es war einmal ein Königssohn, der bekam Lust in der Welt umher zu ziehen, und nahm niemand mit als einen treuen Diener. Eines Tags gerieth er in einen großen Wald, und als der Abend kam, konnte er keine Herberge finden, und wußte nicht wo er die Nacht zubringen sollte. Da sah er ein Mädchen, das nach einem kleinen Häuschen zu gieng, und als er näher kam, sah er daß das Mädchen sehr schön war, und redete es an und sprach ‘liebes Kind, kann ich und mein Diener in dem Häuschen für die Nacht ein Unterkommen finden?’ ‘Ach ja,’ sagte das Mädchen mit trauriger Stimme, ‘das könnt ihr wohl, aber ich rathe euch nicht dazu.’ ‘Warum räthst du mir nicht dazu?’ fragte der Königssohn. Das Mädchen seufzte und sprach ‘meine Stiefmutter treibt böse Künste, sie meints nicht gut mit den Fremden.’ Da merkte er wohl daß er zu dem Haus einer Hexe gekommen war, doch weil er nicht weiter konnte, und sich nicht fürchtete, so trat er ein. Die Alte saß auf einem Lehnstuhl beim Feuer, und sah mit ihren rothen und feurigen Augen die Fremden an. ‘Guten Abend,’ schnarrte sie, und that ganz freundlich, ‘laßt euch nieder und ruht euch aus.’ Sie blies die Kohlen an, bei welchen sie in einem kleinen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2017-11-08T15:10:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-01T14:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1843/186
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1843, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1843/186>, abgerufen am 24.04.2024.