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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1843.

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55.
Rumpelstilzchen.

Es war einmal ein Müller, der war arm, aber er hatte eine schöne Tochter. Nun traf es sich, daß er mit dem König zu sprechen kam, und zu ihm sagte 'ich habe eine Tochter, die kann Stroh zu Gold spinnen.' Dem König, der das Gold lieb hatte, gefiel die Kunst gar wohl, und er befahl die schöne Müllerstochter sollte vor ihn gebracht werden. Da führte er sie in eine Kammer, die ganz voll Stroh war, gab ihr Rad und Haspel, und sprach 'wenn du diese Nacht durch bis morgen früh dieses Stroh nicht zu Gold versponnen hast, so mußt du sterben. Darauf ward die Kammer verschlossen, und sie blieb allein darin.

Da saß nun die arme Müllerstochter, und wußte um ihr Leben keinen Rath, denn sie vorstand gar nichts davon, wie das Stroh zu Gold zu spinnen war, und ihre Angst ward immer größer, daß sie endlich zu weinen anfieng. Da gieng auf einmal die Thüre auf und trat ein kleines Männchen herein, und sprach 'guten Abend, Jungfer Müllerin, warum weint sie so sehr?' 'Ach,' antwortete das Mädchen, 'ich soll Stroh zu Gold spinnen, und verstehe das nicht.' Sprach das Männchen 'was giebst du mir, wenn ich dirs spinne?' 'Mein Halsband' sagte das Mädchen. Das Männchen nahm das Halsband, setzte sich

55.
Rumpelstilzchen.

Es war einmal ein Müller, der war arm, aber er hatte eine schöne Tochter. Nun traf es sich, daß er mit dem König zu sprechen kam, und zu ihm sagte ‘ich habe eine Tochter, die kann Stroh zu Gold spinnen.’ Dem König, der das Gold lieb hatte, gefiel die Kunst gar wohl, und er befahl die schöne Müllerstochter sollte vor ihn gebracht werden. Da führte er sie in eine Kammer, die ganz voll Stroh war, gab ihr Rad und Haspel, und sprach ‘wenn du diese Nacht durch bis morgen früh dieses Stroh nicht zu Gold versponnen hast, so mußt du sterben. Darauf ward die Kammer verschlossen, und sie blieb allein darin.

Da saß nun die arme Müllerstochter, und wußte um ihr Leben keinen Rath, denn sie vorstand gar nichts davon, wie das Stroh zu Gold zu spinnen war, und ihre Angst ward immer größer, daß sie endlich zu weinen anfieng. Da gieng auf einmal die Thüre auf und trat ein kleines Männchen herein, und sprach ‘guten Abend, Jungfer Müllerin, warum weint sie so sehr?’ ‘Ach,’ antwortete das Mädchen, ‘ich soll Stroh zu Gold spinnen, und verstehe das nicht.’ Sprach das Männchen ‘was giebst du mir, wenn ich dirs spinne?’ ‘Mein Halsband’ sagte das Mädchen. Das Männchen nahm das Halsband, setzte sich

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[328/0366] 55. Rumpelstilzchen. Es war einmal ein Müller, der war arm, aber er hatte eine schöne Tochter. Nun traf es sich, daß er mit dem König zu sprechen kam, und zu ihm sagte ‘ich habe eine Tochter, die kann Stroh zu Gold spinnen.’ Dem König, der das Gold lieb hatte, gefiel die Kunst gar wohl, und er befahl die schöne Müllerstochter sollte vor ihn gebracht werden. Da führte er sie in eine Kammer, die ganz voll Stroh war, gab ihr Rad und Haspel, und sprach ‘wenn du diese Nacht durch bis morgen früh dieses Stroh nicht zu Gold versponnen hast, so mußt du sterben. Darauf ward die Kammer verschlossen, und sie blieb allein darin. Da saß nun die arme Müllerstochter, und wußte um ihr Leben keinen Rath, denn sie vorstand gar nichts davon, wie das Stroh zu Gold zu spinnen war, und ihre Angst ward immer größer, daß sie endlich zu weinen anfieng. Da gieng auf einmal die Thüre auf und trat ein kleines Männchen herein, und sprach ‘guten Abend, Jungfer Müllerin, warum weint sie so sehr?’ ‘Ach,’ antwortete das Mädchen, ‘ich soll Stroh zu Gold spinnen, und verstehe das nicht.’ Sprach das Männchen ‘was giebst du mir, wenn ich dirs spinne?’ ‘Mein Halsband’ sagte das Mädchen. Das Männchen nahm das Halsband, setzte sich

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1843, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1843/366>, abgerufen am 28.03.2024.