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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1843.

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begraben werden.' Und als sie weinte, wie sie das sprach, so tröstete sie der Sohn und sagte 'weine nicht, liebe Mutter, wir wollen uns helfen, und wollen fortgehen.' Sie aber sprach 'geh mit deinen elf Brüdern hinaus in den Wald, und einer setze sich immer auf den höchsten Baum, der zu finden ist, und halte Wacht, und schaue nach dem Thurm hier im Schloß. Gebär ich ein Söhnlein, so will ich eine weiße Fahne aufstecken, und dann dürft ihr wiederkommen: gebär ich ein Töchterlein, so will ich eine rothe Fahne aufstecken, und dann flieht fort, so schnell ihr könnt, und der liebe Gott behüte euch. Alle Nacht will ich aufstehen und für euch beten, im Winter, daß ihr an einem Feuer euch wärmen könnt, im Sommer, daß ihr nicht in der Hitze schmachtet.'

Nachdem sie also ihre Söhne gesegnet hatte, giengen sie hinaus in den Wald. Einer hielt um den andern Wacht, saß auf der höchsten Eiche, und schauete nach dem Thurm. Als elf Tage herum waren, und die Reihe an Benjamin kam, da sah er wie eine Fahne aufgesteckt wurde, es war aber nicht die weiße sondern die rothe Blutfahne, die verkündigte daß sie alle sterben sollten. Wie die Brüder das nun hörten, wurden sie zornig, und sprachen 'sollten wir um eines Mädchens willen den Tod leiden! wir schwören daß wir uns rächen wollen, wo wir ein Mädchen finden, soll sein rothes Blut fließen.'

Darauf giengen sie tiefer in den Wald hinein, und mitten drein, wo er am dunkelsten war, fanden sie ein kleines verwünschtes Häuschen, das leer stand. Da sprachen sie 'hier wollen wir wohnen, und du, Benjamin, du bist der jüngste und schwächste, du sollst daheim bleiben

begraben werden.’ Und als sie weinte, wie sie das sprach, so tröstete sie der Sohn und sagte ‘weine nicht, liebe Mutter, wir wollen uns helfen, und wollen fortgehen.’ Sie aber sprach ‘geh mit deinen elf Brüdern hinaus in den Wald, und einer setze sich immer auf den höchsten Baum, der zu finden ist, und halte Wacht, und schaue nach dem Thurm hier im Schloß. Gebär ich ein Söhnlein, so will ich eine weiße Fahne aufstecken, und dann dürft ihr wiederkommen: gebär ich ein Töchterlein, so will ich eine rothe Fahne aufstecken, und dann flieht fort, so schnell ihr könnt, und der liebe Gott behüte euch. Alle Nacht will ich aufstehen und für euch beten, im Winter, daß ihr an einem Feuer euch wärmen könnt, im Sommer, daß ihr nicht in der Hitze schmachtet.’

Nachdem sie also ihre Söhne gesegnet hatte, giengen sie hinaus in den Wald. Einer hielt um den andern Wacht, saß auf der höchsten Eiche, und schauete nach dem Thurm. Als elf Tage herum waren, und die Reihe an Benjamin kam, da sah er wie eine Fahne aufgesteckt wurde, es war aber nicht die weiße sondern die rothe Blutfahne, die verkündigte daß sie alle sterben sollten. Wie die Brüder das nun hörten, wurden sie zornig, und sprachen ‘sollten wir um eines Mädchens willen den Tod leiden! wir schwören daß wir uns rächen wollen, wo wir ein Mädchen finden, soll sein rothes Blut fließen.’

Darauf giengen sie tiefer in den Wald hinein, und mitten drein, wo er am dunkelsten war, fanden sie ein kleines verwünschtes Häuschen, das leer stand. Da sprachen sie ‘hier wollen wir wohnen, und du, Benjamin, du bist der jüngste und schwächste, du sollst daheim bleiben

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[56/0094] begraben werden.’ Und als sie weinte, wie sie das sprach, so tröstete sie der Sohn und sagte ‘weine nicht, liebe Mutter, wir wollen uns helfen, und wollen fortgehen.’ Sie aber sprach ‘geh mit deinen elf Brüdern hinaus in den Wald, und einer setze sich immer auf den höchsten Baum, der zu finden ist, und halte Wacht, und schaue nach dem Thurm hier im Schloß. Gebär ich ein Söhnlein, so will ich eine weiße Fahne aufstecken, und dann dürft ihr wiederkommen: gebär ich ein Töchterlein, so will ich eine rothe Fahne aufstecken, und dann flieht fort, so schnell ihr könnt, und der liebe Gott behüte euch. Alle Nacht will ich aufstehen und für euch beten, im Winter, daß ihr an einem Feuer euch wärmen könnt, im Sommer, daß ihr nicht in der Hitze schmachtet.’ Nachdem sie also ihre Söhne gesegnet hatte, giengen sie hinaus in den Wald. Einer hielt um den andern Wacht, saß auf der höchsten Eiche, und schauete nach dem Thurm. Als elf Tage herum waren, und die Reihe an Benjamin kam, da sah er wie eine Fahne aufgesteckt wurde, es war aber nicht die weiße sondern die rothe Blutfahne, die verkündigte daß sie alle sterben sollten. Wie die Brüder das nun hörten, wurden sie zornig, und sprachen ‘sollten wir um eines Mädchens willen den Tod leiden! wir schwören daß wir uns rächen wollen, wo wir ein Mädchen finden, soll sein rothes Blut fließen.’ Darauf giengen sie tiefer in den Wald hinein, und mitten drein, wo er am dunkelsten war, fanden sie ein kleines verwünschtes Häuschen, das leer stand. Da sprachen sie ‘hier wollen wir wohnen, und du, Benjamin, du bist der jüngste und schwächste, du sollst daheim bleiben

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1843, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1843/94>, abgerufen am 23.04.2024.