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Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.

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tersuchte Poesie und die, welche sie ausübten, ganz eigentlich
bezeichneten. Verhielt es sich früher damit eben so, oder gar
ursprünglich?

Ich bemerke gleich vorerst, daß nach dem oben über den
Ursprung unserer Dichtkunst gesagten, der Name anfänglich
eben so wenig ein gewähltes Kennzeichen gewesen seyn wird,
als bestimmte Gesetze da waren. Wer sich irgend einer Kunst
oder Geschicklichkeit 86) bis zu einer gewissen Stufe von Vor-
trefflichkeit bemächtigt hatte, der hieß Meister, und beson-
ders wurde er von den Jüngern, die sich um ihn bildeten,
als solcher anerkannt, also: Lehrer. Uralt ist die deutsche
Wurzel des Worts, und wenn mit der griechischen verwandt,
nicht wohl daraus abzuleiten, noch Meister, gleich dem französ.
maistre u. s. w. aus dem lateinischen magister geworden, son-
dern eine sprachgemäße Uebersetzung dieses Ausdrucks, der
auch, jedoch vielleicht beschränkter, als das deutsche Wort,
einen Lehrer bedeutet. Der Begriff eines graduirten Lehrers
liegt aber weder in dem einen noch dem andern Wort und
wurde auch erst nach dem Anfang des 13ten Jahrhunderts in
das lateinische magister gelegt 87). Man kann annehmen,
daß nach und nach und gewiß ohne diese Analogie vor Augen
zu haben, der noch allgemeinere Name Meister eine ähnliche
Bestimmtheit erhalten hat.


86) Nur zwei Stellen für hundert. Nibelungen 1707. Eines Mei-
ster seyn, wie noch heute, einem gewaltig, überlegen seyn. ibid.
1911. Im Titurel heißt es ausdrücklich, daß an aller Kunst
Meisterschaft liege. So allgemein ist auch das Wort in dem
Adjectiv meisterlos zu verstehen (Walter 1. 111. Conrad v.
W. 2. 202.), welches: entmeistert, schwach, regellos bedeutet
und noch im süddeutschen Provincialismus lebt. Cf. Fischarts
Garg. Cap. 28. in fine. Phil. von Sittewald, 4. 42. Auch
Gottfr. Tristan, v. 939.
87) Hierüber: Meiners, Gesch. der hohen Schulen. 2. 211. 212.
G 2

terſuchte Poeſie und die, welche ſie ausuͤbten, ganz eigentlich
bezeichneten. Verhielt es ſich fruͤher damit eben ſo, oder gar
urſpruͤnglich?

Ich bemerke gleich vorerſt, daß nach dem oben uͤber den
Urſprung unſerer Dichtkunſt geſagten, der Name anfaͤnglich
eben ſo wenig ein gewaͤhltes Kennzeichen geweſen ſeyn wird,
als beſtimmte Geſetze da waren. Wer ſich irgend einer Kunſt
oder Geſchicklichkeit 86) bis zu einer gewiſſen Stufe von Vor-
trefflichkeit bemaͤchtigt hatte, der hieß Meiſter, und beſon-
ders wurde er von den Juͤngern, die ſich um ihn bildeten,
als ſolcher anerkannt, alſo: Lehrer. Uralt iſt die deutſche
Wurzel des Worts, und wenn mit der griechiſchen verwandt,
nicht wohl daraus abzuleiten, noch Meiſter, gleich dem franzoͤſ.
maistre u. ſ. w. aus dem lateiniſchen magister geworden, ſon-
dern eine ſprachgemaͤße Ueberſetzung dieſes Ausdrucks, der
auch, jedoch vielleicht beſchraͤnkter, als das deutſche Wort,
einen Lehrer bedeutet. Der Begriff eines graduirten Lehrers
liegt aber weder in dem einen noch dem andern Wort und
wurde auch erſt nach dem Anfang des 13ten Jahrhunderts in
das lateiniſche magister gelegt 87). Man kann annehmen,
daß nach und nach und gewiß ohne dieſe Analogie vor Augen
zu haben, der noch allgemeinere Name Meiſter eine aͤhnliche
Beſtimmtheit erhalten hat.


86) Nur zwei Stellen fuͤr hundert. Nibelungen 1707. Eines Mei-
ſter ſeyn, wie noch heute, einem gewaltig, uͤberlegen ſeyn. ibid.
1911. Im Titurel heißt es ausdruͤcklich, daß an aller Kunſt
Meiſterſchaft liege. So allgemein iſt auch das Wort in dem
Adjectiv meiſterlos zu verſtehen (Walter 1. 111. Conrad v.
W. 2. 202.), welches: entmeiſtert, ſchwach, regellos bedeutet
und noch im ſuͤddeutſchen Provincialismus lebt. Cf. Fiſcharts
Garg. Cap. 28. in fine. Phil. von Sittewald, 4. 42. Auch
Gottfr. Triſtan, v. 939.
87) Hieruͤber: Meiners, Geſch. der hohen Schulen. 2. 211. 212.
G 2
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[99/0109] terſuchte Poeſie und die, welche ſie ausuͤbten, ganz eigentlich bezeichneten. Verhielt es ſich fruͤher damit eben ſo, oder gar urſpruͤnglich? Ich bemerke gleich vorerſt, daß nach dem oben uͤber den Urſprung unſerer Dichtkunſt geſagten, der Name anfaͤnglich eben ſo wenig ein gewaͤhltes Kennzeichen geweſen ſeyn wird, als beſtimmte Geſetze da waren. Wer ſich irgend einer Kunſt oder Geſchicklichkeit 86) bis zu einer gewiſſen Stufe von Vor- trefflichkeit bemaͤchtigt hatte, der hieß Meiſter, und beſon- ders wurde er von den Juͤngern, die ſich um ihn bildeten, als ſolcher anerkannt, alſo: Lehrer. Uralt iſt die deutſche Wurzel des Worts, und wenn mit der griechiſchen verwandt, nicht wohl daraus abzuleiten, noch Meiſter, gleich dem franzoͤſ. maistre u. ſ. w. aus dem lateiniſchen magister geworden, ſon- dern eine ſprachgemaͤße Ueberſetzung dieſes Ausdrucks, der auch, jedoch vielleicht beſchraͤnkter, als das deutſche Wort, einen Lehrer bedeutet. Der Begriff eines graduirten Lehrers liegt aber weder in dem einen noch dem andern Wort und wurde auch erſt nach dem Anfang des 13ten Jahrhunderts in das lateiniſche magister gelegt 87). Man kann annehmen, daß nach und nach und gewiß ohne dieſe Analogie vor Augen zu haben, der noch allgemeinere Name Meiſter eine aͤhnliche Beſtimmtheit erhalten hat. 86) Nur zwei Stellen fuͤr hundert. Nibelungen 1707. Eines Mei- ſter ſeyn, wie noch heute, einem gewaltig, uͤberlegen ſeyn. ibid. 1911. Im Titurel heißt es ausdruͤcklich, daß an aller Kunſt Meiſterſchaft liege. So allgemein iſt auch das Wort in dem Adjectiv meiſterlos zu verſtehen (Walter 1. 111. Conrad v. W. 2. 202.), welches: entmeiſtert, ſchwach, regellos bedeutet und noch im ſuͤddeutſchen Provincialismus lebt. Cf. Fiſcharts Garg. Cap. 28. in fine. Phil. von Sittewald, 4. 42. Auch Gottfr. Triſtan, v. 939. 87) Hieruͤber: Meiners, Geſch. der hohen Schulen. 2. 211. 212. G 2

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811/109>, abgerufen am 20.04.2024.