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Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.

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die ersteren freilich, so aber immer, daß in beiderlei einerlei
Art und Geist zu erkennen ist.

Diese Gleichsetzung offenbart sich nun auch in der Jenai-
schen Sammlung 110), worin aber umgekehrt die sogenannten
wahren Meisterlieder überwiegen, weil sie in eine etwas spä-
tere Zeit fiel, wo die Minnepoesie bereits abnahm. Spuren
der letzteren sind inzwischen noch genug hier, und wenn man
einmal gewiß dieß Buch dem rechten Meistergesang nicht ab-
sprechen darf, so wäre es sonderbar, anzunehmen, daß dem
Sammler die Ungehörigkeit der Wizlauischen Lieder, der Strophe
Misners DXXVIII, oder der CXLVIII. CXLIX. Alexanders
gar nicht aufgefallen seyn sollte.

Auf gleiche Weise werden sich aus den ferneren Hand-
schriften entweder die einzelnen Liebes- oder die einzelnen ernst-
haften Lieder für meine Sache anführen lassen, sobald nur
bessere Nachricht darüber vorhanden wäre. Merkwürdig ist
schon, daß die älteste vaticanische v. 357, welche meistentheils
Minnelieder enthalten wird, mit den drei Reinmars und Wal-
ter anhebt. Der Weingartener Codex ist wohl eben so wie
die maneß. Sammlung vorzugsweise der Minnepoesie gewidmet,
und der Colmarer und Wirzburger wieder mehr dem Jenai-
schen entsprechend. Der Weimarer gibt mehrere Minnelieder,
die auch in dem Maneßischen vorhanden, mitten unter andern
von Frauenlob. Spätere Meistergesangbücher enthalten zwar
mehr gleichzeitige und darum einartige Gedichte, aber immer
darunter sicher solche, die den von Docen gezogenen Kreis
des Meistergesangs übertreten. Die Gesänge Mögelins im
Göttinger Ms. werden mit mehreren Minneliedern beschlossen.

110) Es ist Bedürfniß, daß dieser zerstreut, unvollständig und
durch einander gedruckten Handschrift eine bessere Ausgabe wi-
derfahre, wobei die Musiknoten nicht zu vergessen wären. Dem
Vernehmen nach hat Herr von Finkenstein neulich eine
complete Abschrift genommen.

die erſteren freilich, ſo aber immer, daß in beiderlei einerlei
Art und Geiſt zu erkennen iſt.

Dieſe Gleichſetzung offenbart ſich nun auch in der Jenai-
ſchen Sammlung 110), worin aber umgekehrt die ſogenannten
wahren Meiſterlieder uͤberwiegen, weil ſie in eine etwas ſpaͤ-
tere Zeit fiel, wo die Minnepoeſie bereits abnahm. Spuren
der letzteren ſind inzwiſchen noch genug hier, und wenn man
einmal gewiß dieß Buch dem rechten Meiſtergeſang nicht ab-
ſprechen darf, ſo waͤre es ſonderbar, anzunehmen, daß dem
Sammler die Ungehoͤrigkeit der Wizlauiſchen Lieder, der Strophe
Miſners DXXVIII, oder der CXLVIII. CXLIX. Alexanders
gar nicht aufgefallen ſeyn ſollte.

Auf gleiche Weiſe werden ſich aus den ferneren Hand-
ſchriften entweder die einzelnen Liebes- oder die einzelnen ernſt-
haften Lieder fuͤr meine Sache anfuͤhren laſſen, ſobald nur
beſſere Nachricht daruͤber vorhanden waͤre. Merkwuͤrdig iſt
ſchon, daß die aͤlteſte vaticaniſche v. 357, welche meiſtentheils
Minnelieder enthalten wird, mit den drei Reinmars und Wal-
ter anhebt. Der Weingartener Codex iſt wohl eben ſo wie
die maneß. Sammlung vorzugsweiſe der Minnepoeſie gewidmet,
und der Colmarer und Wirzburger wieder mehr dem Jenai-
ſchen entſprechend. Der Weimarer gibt mehrere Minnelieder,
die auch in dem Maneßiſchen vorhanden, mitten unter andern
von Frauenlob. Spaͤtere Meiſtergeſangbuͤcher enthalten zwar
mehr gleichzeitige und darum einartige Gedichte, aber immer
darunter ſicher ſolche, die den von Docen gezogenen Kreis
des Meiſtergeſangs uͤbertreten. Die Geſaͤnge Moͤgelins im
Goͤttinger Ms. werden mit mehreren Minneliedern beſchloſſen.

110) Es iſt Beduͤrfniß, daß dieſer zerſtreut, unvollſtaͤndig und
durch einander gedruckten Handſchrift eine beſſere Ausgabe wi-
derfahre, wobei die Muſiknoten nicht zu vergeſſen waͤren. Dem
Vernehmen nach hat Herr von Finkenſtein neulich eine
complete Abſchrift genommen.
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[125/0135] die erſteren freilich, ſo aber immer, daß in beiderlei einerlei Art und Geiſt zu erkennen iſt. Dieſe Gleichſetzung offenbart ſich nun auch in der Jenai- ſchen Sammlung 110), worin aber umgekehrt die ſogenannten wahren Meiſterlieder uͤberwiegen, weil ſie in eine etwas ſpaͤ- tere Zeit fiel, wo die Minnepoeſie bereits abnahm. Spuren der letzteren ſind inzwiſchen noch genug hier, und wenn man einmal gewiß dieß Buch dem rechten Meiſtergeſang nicht ab- ſprechen darf, ſo waͤre es ſonderbar, anzunehmen, daß dem Sammler die Ungehoͤrigkeit der Wizlauiſchen Lieder, der Strophe Miſners DXXVIII, oder der CXLVIII. CXLIX. Alexanders gar nicht aufgefallen ſeyn ſollte. Auf gleiche Weiſe werden ſich aus den ferneren Hand- ſchriften entweder die einzelnen Liebes- oder die einzelnen ernſt- haften Lieder fuͤr meine Sache anfuͤhren laſſen, ſobald nur beſſere Nachricht daruͤber vorhanden waͤre. Merkwuͤrdig iſt ſchon, daß die aͤlteſte vaticaniſche v. 357, welche meiſtentheils Minnelieder enthalten wird, mit den drei Reinmars und Wal- ter anhebt. Der Weingartener Codex iſt wohl eben ſo wie die maneß. Sammlung vorzugsweiſe der Minnepoeſie gewidmet, und der Colmarer und Wirzburger wieder mehr dem Jenai- ſchen entſprechend. Der Weimarer gibt mehrere Minnelieder, die auch in dem Maneßiſchen vorhanden, mitten unter andern von Frauenlob. Spaͤtere Meiſtergeſangbuͤcher enthalten zwar mehr gleichzeitige und darum einartige Gedichte, aber immer darunter ſicher ſolche, die den von Docen gezogenen Kreis des Meiſtergeſangs uͤbertreten. Die Geſaͤnge Moͤgelins im Goͤttinger Ms. werden mit mehreren Minneliedern beſchloſſen. 110) Es iſt Beduͤrfniß, daß dieſer zerſtreut, unvollſtaͤndig und durch einander gedruckten Handſchrift eine beſſere Ausgabe wi- derfahre, wobei die Muſiknoten nicht zu vergeſſen waͤren. Dem Vernehmen nach hat Herr von Finkenſtein neulich eine complete Abſchrift genommen.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811/135>, abgerufen am 24.04.2024.