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German Schleifheim von Sulsfort [i. e. Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von]: Der Abentheurliche Simplicissimus Teutsch. Monpelgart [i. e. Nürnberg], 1669.

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Zweytes Buch.
darauff knyet er nider/ hube Augen und Hände auff
gut Einsidlerisch gen Himmel/ und weilen meines
Herrn Reu/ die ich gemercht hatte/ mir das Hertz mit
trefflichem Trost berührte/ konte ich auch die Thre-
nen nicht enthalten/ bat also dem äusserlichen Anse-
hen nach/ mit höchster Andacht/ nach gesprochenem
Vatter unser/ vor alles Anligen der Christenheit/
vor meine Freund und Feind/ und daß mir GOtt in
dieser Zeitlichkeit also zu leben verleyben wolle/ daß
ich würdig werden möchte/ ihn in ewiger Seeligkeit
zu loben; massen mich mein Einsidel ein solches Ge-
bet mit andächtigen concipirten Worten gelehret
hat. Hiervon fiengen etliche wäichhertzige Zuseher
auch bey nahe an zu weynen/ weil sie ein trefflich Mit-
leiden mit mir trugen/ ja meinem Herru selbst stun-
den die Augen voller Wasser.

Nach der Mahlzeit schickte mein Herr nach obge-
meldtem Pfarrherrn/ dem erzehlte er alles/ was ich
vorgebracht hatte/ und gab damit zu verstehen/ daß
er besorge/ es gehe nicht recht mit mir zu/ und daß
vielleicht der Teuffel mit unter der Decken lege/ die-
weil ich vor disem gantz einfältig und unwissend mich
erzeigt/ nunmehr aber Sachen vorzubringen wisse/
daß sich darüber zu verwundern! Der Pfarrer/ dem
meine Beschaffenheit am besten bekant war/ antwor-
tet: Man solte solches bedacht haben/ ehe man mich
zum Narrn zu machen unterstanden hätte/ Menschen
seyen Edenbilder Gottes/ mit welchen/ und bevorab
mit so zarter Jugend/ nicht wie mit Bestien zu scher-
tzen seye; doch wolle er nimmermehr glauben/ daß
dem bösen Geist zugelassen worden/ sich mit in das
Spiel zu mischen/ dieweil ich mich jederzeit durch

in-
H iij

Zweytes Buch.
darauff knyet er nider/ hube Augen und Haͤnde auff
gut Einſidleriſch gen Himmel/ und weilen meines
Herꝛn Reu/ die ich gemercht hatte/ mir das Hertz mit
trefflichem Troſt beruͤhrte/ konte ich auch die Thre-
nen nicht enthalten/ bat alſo dem aͤuſſerlichen Anſe-
hen nach/ mit hoͤchſter Andacht/ nach geſprochenem
Vatter unſer/ vor alles Anligen der Chriſtenheit/
vor meine Freund und Feind/ und daß mir GOtt in
dieſer Zeitlichkeit alſo zu leben verleyben wolle/ daß
ich wuͤrdig werden moͤchte/ ihn in ewiger Seeligkeit
zu loben; maſſen mich mein Einſidel ein ſolches Ge-
bet mit andaͤchtigen concipirten Worten gelehret
hat. Hiervon fiengen etliche waͤichhertzige Zuſeher
auch bey nahe an zu weynen/ weil ſie ein trefflich Mit-
leiden mit mir trugen/ ja meinem Herꝛu ſelbſt ſtun-
den die Augen voller Waſſer.

Nach der Mahlzeit ſchickte mein Herꝛ nach obge-
meldtem Pfarꝛherꝛn/ dem erzehlte er alles/ was ich
vorgebracht hatte/ und gab damit zu verſtehen/ daß
er beſorge/ es gehe nicht recht mit mir zu/ und daß
vielleicht der Teuffel mit unter der Decken lege/ die-
weil ich vor diſem gantz einfaͤltig und unwiſſend mich
erzeigt/ nunmehr aber Sachen vorzubringen wiſſe/
daß ſich daruͤber zu verwundern! Der Pfarꝛer/ dem
meine Beſchaffenheit am beſten bekant war/ antwor-
tet: Man ſolte ſolches bedacht haben/ ehe man mich
zum Narꝛn zu machen unterſtanden haͤtte/ Menſchen
ſeyen Edenbilder Gottes/ mit welchen/ und bevorab
mit ſo zarter Jugend/ nicht wie mit Beſtien zu ſcher-
tzen ſeye; doch wolle er nimmermehr glauben/ daß
dem boͤſen Geiſt zugelaſſen worden/ ſich mit in das
Spiel zu miſchen/ dieweil ich mich jederzeit durch

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[171/0177] Zweytes Buch. darauff knyet er nider/ hube Augen und Haͤnde auff gut Einſidleriſch gen Himmel/ und weilen meines Herꝛn Reu/ die ich gemercht hatte/ mir das Hertz mit trefflichem Troſt beruͤhrte/ konte ich auch die Thre- nen nicht enthalten/ bat alſo dem aͤuſſerlichen Anſe- hen nach/ mit hoͤchſter Andacht/ nach geſprochenem Vatter unſer/ vor alles Anligen der Chriſtenheit/ vor meine Freund und Feind/ und daß mir GOtt in dieſer Zeitlichkeit alſo zu leben verleyben wolle/ daß ich wuͤrdig werden moͤchte/ ihn in ewiger Seeligkeit zu loben; maſſen mich mein Einſidel ein ſolches Ge- bet mit andaͤchtigen concipirten Worten gelehret hat. Hiervon fiengen etliche waͤichhertzige Zuſeher auch bey nahe an zu weynen/ weil ſie ein trefflich Mit- leiden mit mir trugen/ ja meinem Herꝛu ſelbſt ſtun- den die Augen voller Waſſer. Nach der Mahlzeit ſchickte mein Herꝛ nach obge- meldtem Pfarꝛherꝛn/ dem erzehlte er alles/ was ich vorgebracht hatte/ und gab damit zu verſtehen/ daß er beſorge/ es gehe nicht recht mit mir zu/ und daß vielleicht der Teuffel mit unter der Decken lege/ die- weil ich vor diſem gantz einfaͤltig und unwiſſend mich erzeigt/ nunmehr aber Sachen vorzubringen wiſſe/ daß ſich daruͤber zu verwundern! Der Pfarꝛer/ dem meine Beſchaffenheit am beſten bekant war/ antwor- tet: Man ſolte ſolches bedacht haben/ ehe man mich zum Narꝛn zu machen unterſtanden haͤtte/ Menſchen ſeyen Edenbilder Gottes/ mit welchen/ und bevorab mit ſo zarter Jugend/ nicht wie mit Beſtien zu ſcher- tzen ſeye; doch wolle er nimmermehr glauben/ daß dem boͤſen Geiſt zugelaſſen worden/ ſich mit in das Spiel zu miſchen/ dieweil ich mich jederzeit durch in- H iij

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Zitationshilfe: German Schleifheim von Sulsfort [i. e. Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von]: Der Abentheurliche Simplicissimus Teutsch. Monpelgart [i. e. Nürnberg], 1669, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimmelshausen_simplicissimus_1669/177>, abgerufen am 07.05.2024.