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German Schleifheim von Sulsfort [i. e. Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von]: Der Abentheurliche Simplicissimus Teutsch. Monpelgart [i. e. Nürnberg], 1669.

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Fünfftes Buch.
über die bundert Kunckeln oder Spinnrocken in ei-
nem Zimmer bey einander antraff/ da war eine ein
Wäscherin/ die ander eine Bettmacherin/ die dritte
Vieh-Magd/ die vierte Schüsselwäscherin/ die fünf-
te Kellerin/ die sechste hatte das weiß Zeug zu ver-
walten/ und also auch die übrige alle/ wuste ein jed-
wedere was sie thun solte; und gleichwie die Aemp-
ter unter dem Weiblichen Geschlecht ordentlich auß-
getheilet waren/ also wuste auch unter den Männern
und Jünglinge jeder sein Geschäffte/ wurde einer o-
der eine kranck/ so hatte er oder dieselbe einen sonder-
bahren Kranckenwarter oder Warterin/ auch beyde
Theil einen allgemeinen Medicum und Apotecker;
wiewol sie wegen löbl. Diaet und guter Ordnung sel-
ten erkrancken/ wie ich dann manchen feinen Mann
in hohem gesundem und geruhigem Alter bey ihnen
sahe/ dergleichen anderswo wenig anzutreffen/ sie
hatten ihre gewisse Stunden zum Essen/ ihr gewisse
Stunden zum Schlaffen/ aber kein einzige Minut
zum spielen noch spatzieren/ ausserhalb die Jugend/
welche mit ihrem Praeceptor jedes mal nach dem es-
sen der Gesundheit halber ein Stund spatzieren ge-
hen: mithin aber beten/ und geistliche Gesänge sin-
gen muste/ da war kein Zorn/ kein Eifer/ kein Rach-
gier/ kein Neid/ kein Feindschafft/ kein Sorg umb
Zeitlichs/ kein Hoffart/ kein Reu! Jn Summa/ es
war durchauß eine solche liebliche Harmonia, die auff
nichts anders angestimbt zu seyn schiene/ als das
Menschlich Geschlecht und das Reich Gottes in al-
ler Erbarkeit zu vermehren/ kein Mann sahe sein
Weib/ als wann er auff die bestimbte Zeit sich mit
derselbigen in seiner Schlafkammer befande/ in wel-

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Fuͤnfftes Buch.
uͤber die bundert Kunckeln oder Spinnrocken in ei-
nem Zimmer bey einander antraff/ da war eine ein
Waͤſcherin/ die ander eine Bettmacherin/ die dritte
Vieh-Magd/ die vierte Schuͤſſelwaͤſcherin/ die fuͤnf-
te Kellerin/ die ſechſte hatte das weiß Zeug zu ver-
walten/ und alſo auch die uͤbrige alle/ wuſte ein jed-
wedere was ſie thun ſolte; und gleichwie die Aemp-
ter unter dem Weiblichen Geſchlecht oꝛdentlich auß-
getheilet waren/ alſo wuſte auch unter den Maͤnnern
und Juͤnglinge jeder ſein Geſchaͤffte/ wurde einer o-
der eine kranck/ ſo hatte er oder dieſelbe einen ſonder-
bahren Kranckenwarter oder Warterin/ auch beyde
Theil einen allgemeinen Medicum und Apotecker;
wiewol ſie wegen loͤbl. Diæt und guter Ordnung ſel-
ten erkrancken/ wie ich dann manchen feinen Mann
in hohem geſundem und geruhigem Alter bey ihnen
ſahe/ dergleichen anderswo wenig anzutreffen/ ſie
hatten ihre gewiſſe Stunden zum Eſſen/ ihr gewiſſe
Stunden zum Schlaffen/ aber kein einzige Minut
zum ſpielen noch ſpatzieren/ auſſerhalb die Jugend/
welche mit ihrem Præceptor jedes mal nach dem eſ-
ſen der Geſundheit halber ein Stund ſpatzieren ge-
hen: mithin aber beten/ und geiſtliche Geſaͤnge ſin-
gen muſte/ da war kein Zorn/ kein Eifer/ kein Rach-
gier/ kein Neid/ kein Feindſchafft/ kein Sorg umb
Zeitlichs/ kein Hoffart/ kein Reu! Jn Summa/ es
war durchauß eine ſolche liebliche Harmonia, die auff
nichts anders angeſtimbt zu ſeyn ſchiene/ als das
Menſchlich Geſchlecht und das Reich Gottes in al-
ler Erbarkeit zu vermehren/ kein Mann ſahe ſein
Weib/ als wann er auff die beſtimbte Zeit ſich mit
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[587/0593] Fuͤnfftes Buch. uͤber die bundert Kunckeln oder Spinnrocken in ei- nem Zimmer bey einander antraff/ da war eine ein Waͤſcherin/ die ander eine Bettmacherin/ die dritte Vieh-Magd/ die vierte Schuͤſſelwaͤſcherin/ die fuͤnf- te Kellerin/ die ſechſte hatte das weiß Zeug zu ver- walten/ und alſo auch die uͤbrige alle/ wuſte ein jed- wedere was ſie thun ſolte; und gleichwie die Aemp- ter unter dem Weiblichen Geſchlecht oꝛdentlich auß- getheilet waren/ alſo wuſte auch unter den Maͤnnern und Juͤnglinge jeder ſein Geſchaͤffte/ wurde einer o- der eine kranck/ ſo hatte er oder dieſelbe einen ſonder- bahren Kranckenwarter oder Warterin/ auch beyde Theil einen allgemeinen Medicum und Apotecker; wiewol ſie wegen loͤbl. Diæt und guter Ordnung ſel- ten erkrancken/ wie ich dann manchen feinen Mann in hohem geſundem und geruhigem Alter bey ihnen ſahe/ dergleichen anderswo wenig anzutreffen/ ſie hatten ihre gewiſſe Stunden zum Eſſen/ ihr gewiſſe Stunden zum Schlaffen/ aber kein einzige Minut zum ſpielen noch ſpatzieren/ auſſerhalb die Jugend/ welche mit ihrem Præceptor jedes mal nach dem eſ- ſen der Geſundheit halber ein Stund ſpatzieren ge- hen: mithin aber beten/ und geiſtliche Geſaͤnge ſin- gen muſte/ da war kein Zorn/ kein Eifer/ kein Rach- gier/ kein Neid/ kein Feindſchafft/ kein Sorg umb Zeitlichs/ kein Hoffart/ kein Reu! Jn Summa/ es war durchauß eine ſolche liebliche Harmonia, die auff nichts anders angeſtimbt zu ſeyn ſchiene/ als das Menſchlich Geſchlecht und das Reich Gottes in al- ler Erbarkeit zu vermehren/ kein Mann ſahe ſein Weib/ als wann er auff die beſtimbte Zeit ſich mit derſelbigen in ſeiner Schlafkammer befande/ in wel- cher B b vij

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Zitationshilfe: German Schleifheim von Sulsfort [i. e. Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von]: Der Abentheurliche Simplicissimus Teutsch. Monpelgart [i. e. Nürnberg], 1669, S. 587. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimmelshausen_simplicissimus_1669/593>, abgerufen am 28.04.2024.