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Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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mehr so unsicher bleiben. Sie sind ja auf dem besten Wege, endlich einmal Carriere zu machen, als Gelehrter, als -- was weiß ich. Ah, ein solcher Mann thut schwere Sünde, wenn er --

Ich muß denn doch freundlichst bitten, Frau Conrectorin, unterbrach sie der Vetter, dieses in der That unerquickliche Thema -- --

Aber im Ernst, Vetterchen, worauf warten Sie denn eigentlich?

Ich warte gar nicht, sagte der Vetter mit ausdrucksvollem Aufschlag der wasserblauen Augen, ich habe resignirt, ich finde doch nichts mehr, Frau Conrectorin.

Weil Sie sich keine Mühe geben, sagte die Frau mit etwas ungeduldigem Tone. Glauben Sie denn, die gebratenen Tauben sollten von selbst kommen? Nein, Vetterchen, so kommen Sie nicht zum Ziel.

Keine Mühe gegeben -- ich muß sehr bitten, Frau Conrectorin, sagte Vetter Isidor und fuhr durch seine Hobelspanlocken; im Gegentheil, sehr im Gegentheil. Sie glauben nicht, welche Erfahrungen ich gemacht habe seit zwanzig Jahren. Ich mochte meine Wohnung so oft wechseln, als ich wollte, überall dieselben Versuchungen, dieselben Gefahren, derselbe Abgrund! -- O, wenn ich Ihnen alles erzählen könnte, wie man es eingeleitet hat, mir Nachstellungen zu bereiten, mir Fallen zu legen, mich verkuppeln zu wollen. Man hat mir Briefe geschrieben, man hat mir Blumen geschickt und Bildnisse,

mehr so unsicher bleiben. Sie sind ja auf dem besten Wege, endlich einmal Carriere zu machen, als Gelehrter, als — was weiß ich. Ah, ein solcher Mann thut schwere Sünde, wenn er —

Ich muß denn doch freundlichst bitten, Frau Conrectorin, unterbrach sie der Vetter, dieses in der That unerquickliche Thema — —

Aber im Ernst, Vetterchen, worauf warten Sie denn eigentlich?

Ich warte gar nicht, sagte der Vetter mit ausdrucksvollem Aufschlag der wasserblauen Augen, ich habe resignirt, ich finde doch nichts mehr, Frau Conrectorin.

Weil Sie sich keine Mühe geben, sagte die Frau mit etwas ungeduldigem Tone. Glauben Sie denn, die gebratenen Tauben sollten von selbst kommen? Nein, Vetterchen, so kommen Sie nicht zum Ziel.

Keine Mühe gegeben — ich muß sehr bitten, Frau Conrectorin, sagte Vetter Isidor und fuhr durch seine Hobelspanlocken; im Gegentheil, sehr im Gegentheil. Sie glauben nicht, welche Erfahrungen ich gemacht habe seit zwanzig Jahren. Ich mochte meine Wohnung so oft wechseln, als ich wollte, überall dieselben Versuchungen, dieselben Gefahren, derselbe Abgrund! — O, wenn ich Ihnen alles erzählen könnte, wie man es eingeleitet hat, mir Nachstellungen zu bereiten, mir Fallen zu legen, mich verkuppeln zu wollen. Man hat mir Briefe geschrieben, man hat mir Blumen geschickt und Bildnisse,

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:31:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:31:15Z)

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Zitationshilfe: Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grosse_isidor_1910/10>, abgerufen am 25.04.2024.