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Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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wer kann sich auf die Jugend verlassen und auf ein Mädchenherz! -- Lieber Himmel, wenn andere Mädchen auf einen Ball gehen, so beten sie vorher zu ihrem Schutzheiligen, daß sie nicht sitzen bleiben, und wie viele müssen die Marter erleben, wie auf einem Sclavenmarkt feil dazusitzen und wie Waare ausgeboten zu werden -- zu harren und zu hoffen, bis endlich ein mitleidiger Käufer kommt, der sich ihrer erbarmt; -- meine kleine Lulu braucht nur in den Saal zu treten, und die Tragödie beginnt.

Tragödie -- Sie erschrecken mich, Frau Conrectorin.

Na, ich meine, das sogenannte Poetische beginnt -- das, wie es im Buche steht von den Montecchi und Capuletti, von dem schönen Pilgersmann und so weiter. Kurz und gut, kaum ist das kleine Gärtnermädchen sichtbar geworden, so drängt sich ein junger Mann an sie, um sie zu engagiren -- natürlich weigert sie sich, aber der kleine Schlaukopf giebt zugleich den Grund an, das Tanzen sei ihr verboten. Der junge Mann gleich hin zu den Gardedamen und Cousinen und weiß so artig zu schwadroniren, so elegant zu tanzen mit den fremden Cousinen, daß diese endlich ihre Erlaubniß geben. Er führt die Julia zum Walzer, und nun war's um sie geschehen.

Mein Gott, was Sie für Ausdrücke wählen, Frau Conrectorin! -- "war's um sie geschehen," -- was soll das wieder heißen?

wer kann sich auf die Jugend verlassen und auf ein Mädchenherz! — Lieber Himmel, wenn andere Mädchen auf einen Ball gehen, so beten sie vorher zu ihrem Schutzheiligen, daß sie nicht sitzen bleiben, und wie viele müssen die Marter erleben, wie auf einem Sclavenmarkt feil dazusitzen und wie Waare ausgeboten zu werden — zu harren und zu hoffen, bis endlich ein mitleidiger Käufer kommt, der sich ihrer erbarmt; — meine kleine Lulu braucht nur in den Saal zu treten, und die Tragödie beginnt.

Tragödie — Sie erschrecken mich, Frau Conrectorin.

Na, ich meine, das sogenannte Poetische beginnt — das, wie es im Buche steht von den Montecchi und Capuletti, von dem schönen Pilgersmann und so weiter. Kurz und gut, kaum ist das kleine Gärtnermädchen sichtbar geworden, so drängt sich ein junger Mann an sie, um sie zu engagiren — natürlich weigert sie sich, aber der kleine Schlaukopf giebt zugleich den Grund an, das Tanzen sei ihr verboten. Der junge Mann gleich hin zu den Gardedamen und Cousinen und weiß so artig zu schwadroniren, so elegant zu tanzen mit den fremden Cousinen, daß diese endlich ihre Erlaubniß geben. Er führt die Julia zum Walzer, und nun war's um sie geschehen.

Mein Gott, was Sie für Ausdrücke wählen, Frau Conrectorin! — „war's um sie geschehen,“ — was soll das wieder heißen?

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:31:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:31:15Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grosse_isidor_1910/21>, abgerufen am 24.04.2024.