Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 2. Breslau, 1877.
Märchen! Ich habe den nicht mehr jungen Mann nur bewegt gesehen, wenn er von einer Kritik über sich etwas erfährt und diese noch nicht gelesen hat. Da wallt sein Blut, da schlägt sein Herz! Dabei lebt der Fürst ganz in alten Zeiten, die ich verabscheue. Manchmal, wenn Tante Brenna zum Faltenwurf gekommen ist, wozu sie die erste beste Fenstergardine nimmt, schwärmt er für Sappho. Das kann ich noch mitmachen. Denn Sappho war unglücklich. Aber die Romantik des Mittelalters, dieses Niebelungenwesens und die Götterdämmerung, das ist mir Alles zu hoch und ich versöhne mich erst wieder mit dem guten Prinzen beim Kaffeetrinken. Er schwärmt nämlich außer für die Antike und die Romantik auch noch für das Rococo und möchte bei jedem sächsischen Porzellanservice, das er sieht, Alles wieder in dem putzigen Zopf- und Abbegeschmack mit Schnallenschuhen gehen sehen. Kommen Sie wirklich! Helfen Sie mir über die Welt und die Menschheit lachen! In allem Ernst, können Sie's hier in diesem Dampf aushalten? Die Antwort Marthas, die auf eine Gewöhnung an diese Umgebung ging, wurde vom hastigen Eintreten Raimunds unterbrochen, der mit einer gemachten aufstaunenden Gleichgültigkeit und genialen Geschäftigkeit sich geberdend, sein schönes, rasch frisirtes goldlockiges Haar sich aus den schon ziemlich enthaarten Schläfen und der Stirne zurück- Märchen! Ich habe den nicht mehr jungen Mann nur bewegt gesehen, wenn er von einer Kritik über sich etwas erfährt und diese noch nicht gelesen hat. Da wallt sein Blut, da schlägt sein Herz! Dabei lebt der Fürst ganz in alten Zeiten, die ich verabscheue. Manchmal, wenn Tante Brenna zum Faltenwurf gekommen ist, wozu sie die erste beste Fenstergardine nimmt, schwärmt er für Sappho. Das kann ich noch mitmachen. Denn Sappho war unglücklich. Aber die Romantik des Mittelalters, dieses Niebelungenwesens und die Götterdämmerung, das ist mir Alles zu hoch und ich versöhne mich erst wieder mit dem guten Prinzen beim Kaffeetrinken. Er schwärmt nämlich außer für die Antike und die Romantik auch noch für das Rococo und möchte bei jedem sächsischen Porzellanservice, das er sieht, Alles wieder in dem putzigen Zopf- und Abbégeschmack mit Schnallenschuhen gehen sehen. Kommen Sie wirklich! Helfen Sie mir über die Welt und die Menschheit lachen! In allem Ernst, können Sie’s hier in diesem Dampf aushalten? Die Antwort Marthas, die auf eine Gewöhnung an diese Umgebung ging, wurde vom hastigen Eintreten Raimunds unterbrochen, der mit einer gemachten aufstaunenden Gleichgültigkeit und genialen Geschäftigkeit sich geberdend, sein schönes, rasch frisirtes goldlockiges Haar sich aus den schon ziemlich enthaarten Schläfen und der Stirne zurück- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0143" n="137"/> Märchen! Ich habe den nicht mehr jungen Mann nur bewegt gesehen, wenn er von einer Kritik über sich etwas erfährt und diese noch nicht gelesen hat. Da wallt sein Blut, da schlägt sein Herz! Dabei lebt der Fürst ganz in alten Zeiten, die ich verabscheue. Manchmal, wenn Tante Brenna zum Faltenwurf gekommen ist, wozu sie die erste beste Fenstergardine nimmt, <ref xml:id="TEXTschwaermtBISSappho" type="editorialNote" target="NSer3E.htm#ERLschwaermtBISSappho">schwärmt er für Sappho. </ref> Das kann ich noch mitmachen. Denn Sappho war unglücklich. Aber die Romantik des Mittelalters, <ref xml:id="TEXTdiesesBISGoetterdaemmerung" type="editorialNote" target="NSer3E.htm#ERLdiesesBISGoetterdaemmerung">dieses Niebelungenwesens und die Götterdämmerung, </ref> das ist mir Alles zu hoch und ich versöhne mich erst wieder mit dem guten Prinzen beim Kaffeetrinken. Er schwärmt nämlich außer für die Antike und die Romantik auch noch für das Rococo und möchte bei jedem sächsischen Porzellanservice, das er sieht, Alles wieder in dem putzigen <ref xml:id="TEXTZopfBISSchnallenschuhen" type="editorialNote" target="NSer3E.htm#ERLZopfBISSchnallenschuhen">Zopf- und Abbégeschmack mit Schnallenschuhen</ref> gehen sehen. Kommen Sie wirklich! Helfen Sie mir über die Welt und die Menschheit lachen! In allem Ernst, können Sie’s hier in diesem Dampf aushalten?</p> <p>Die Antwort Marthas, die auf eine Gewöhnung an diese Umgebung ging, wurde vom hastigen Eintreten Raimunds unterbrochen, der mit einer gemachten aufstaunenden Gleichgültigkeit und genialen Geschäftigkeit sich geberdend, sein schönes, rasch frisirtes goldlockiges Haar sich aus den schon ziemlich enthaarten Schläfen und der Stirne zurück- </p> </div> </body> </text> </TEI> [137/0143]
Märchen! Ich habe den nicht mehr jungen Mann nur bewegt gesehen, wenn er von einer Kritik über sich etwas erfährt und diese noch nicht gelesen hat. Da wallt sein Blut, da schlägt sein Herz! Dabei lebt der Fürst ganz in alten Zeiten, die ich verabscheue. Manchmal, wenn Tante Brenna zum Faltenwurf gekommen ist, wozu sie die erste beste Fenstergardine nimmt, schwärmt er für Sappho. Das kann ich noch mitmachen. Denn Sappho war unglücklich. Aber die Romantik des Mittelalters, dieses Niebelungenwesens und die Götterdämmerung, das ist mir Alles zu hoch und ich versöhne mich erst wieder mit dem guten Prinzen beim Kaffeetrinken. Er schwärmt nämlich außer für die Antike und die Romantik auch noch für das Rococo und möchte bei jedem sächsischen Porzellanservice, das er sieht, Alles wieder in dem putzigen Zopf- und Abbégeschmack mit Schnallenschuhen gehen sehen. Kommen Sie wirklich! Helfen Sie mir über die Welt und die Menschheit lachen! In allem Ernst, können Sie’s hier in diesem Dampf aushalten?
Die Antwort Marthas, die auf eine Gewöhnung an diese Umgebung ging, wurde vom hastigen Eintreten Raimunds unterbrochen, der mit einer gemachten aufstaunenden Gleichgültigkeit und genialen Geschäftigkeit sich geberdend, sein schönes, rasch frisirtes goldlockiges Haar sich aus den schon ziemlich enthaarten Schläfen und der Stirne zurück-
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| Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 2. Breslau, 1877, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder02_1877/143>, abgerufen am 18.04.2024. |
