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Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

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ist Fraß, ist thierisches Brüten und Liegen auf den Rindsvierteln, die sein Riesenmagen aufnehmen kann. Sein Herz ist so sehr von Fett umwickelt, daß er ein Narr geworden wäre, wenn nicht zufällig sein behagliches Daseyn ihn von eitler Casuistik der Umstände, von jeder Nothwendigkeit, hier oder da einen Entschluß zu fassen, befreit hätte. Und dieser Mann geht in die Kirche! Wie kann er dieß, da sein Herz keiner einzigen Regung fähig ist? Nur aus Gewohnheit, weil er sonntäglich seine reinen Handschuhe und seinen Stock mit einem silbernen Knopfe auf den Tisch seines Wohnzimmers hingelegt bekömmt und aus Jnstinkt und durch jahrelange Gewohnheit bemerkt, daß dieß das Zeichen zum Kirchgehen ist. Er ist verheirathet (der Lebenswandel seiner Frau ist bekannt), er hat Kinder (glücklicherweise ähneln sie ihm nicht), ja er liest sogar die Times, aber nur aus Dummheit, ähnlich jenem Hogarth'schen Zeitungsleser, der sich an dem Lichte seinen Hut verbrennt. Ueber die Annoncen, über die Kutschen, die zu kaufen, über die Ammen, die zu miethen, kurz über diese Alltagsallwissenheit der Times, die größer ist, als ihre übrige politische Weisheit, kömmt er nicht hinaus. Alles zusammengenommen, stellt Master Caliban doch immer nichts Anders in der Welt vor, als den rohsten Urstoff, aus welchem das erste Gestell der übrigen Menschen gebildet wurde. Er ist die abolute Materie.

Sir Ariel und Lord Abstrakt würden es ihrerseits sehr übel nehmen, wenn sie wüßten - und sie werden

ist Fraß, ist thierisches Brüten und Liegen auf den Rindsvierteln, die sein Riesenmagen aufnehmen kann. Sein Herz ist so sehr von Fett umwickelt, daß er ein Narr geworden wäre, wenn nicht zufällig sein behagliches Daseyn ihn von eitler Casuistik der Umstände, von jeder Nothwendigkeit, hier oder da einen Entschluß zu fassen, befreit hätte. Und dieser Mann geht in die Kirche! Wie kann er dieß, da sein Herz keiner einzigen Regung fähig ist? Nur aus Gewohnheit, weil er sonntäglich seine reinen Handschuhe und seinen Stock mit einem silbernen Knopfe auf den Tisch seines Wohnzimmers hingelegt bekömmt und aus Jnstinkt und durch jahrelange Gewohnheit bemerkt, daß dieß das Zeichen zum Kirchgehen ist. Er ist verheirathet (der Lebenswandel seiner Frau ist bekannt), er hat Kinder (glücklicherweise ähneln sie ihm nicht), ja er liest sogar die Times, aber nur aus Dummheit, ähnlich jenem Hogarth’schen Zeitungsleser, der sich an dem Lichte seinen Hut verbrennt. Ueber die Annoncen, über die Kutschen, die zu kaufen, über die Ammen, die zu miethen, kurz über diese Alltagsallwissenheit der Times, die größer ist, als ihre übrige politische Weisheit, kömmt er nicht hinaus. Alles zusammengenommen, stellt Master Caliban doch immer nichts Anders in der Welt vor, als den rohsten Urstoff, aus welchem das erste Gestell der übrigen Menschen gebildet wurde. Er ist die abolute Materie.

Sir Ariel und Lord Abstrakt würden es ihrerseits sehr übel nehmen, wenn sie wüßten – und sie werden

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ist Fraß, ist thierisches Brüten und Liegen auf den Rindsvierteln, die sein Riesenmagen aufnehmen kann. Sein Herz ist so sehr von Fett umwickelt, daß er ein Narr geworden wäre, wenn nicht zufällig sein behagliches Daseyn ihn von eitler Casuistik der Umstände, von jeder Nothwendigkeit, hier oder da einen Entschluß zu fassen, befreit hätte. Und dieser Mann geht in die Kirche! Wie kann er dieß, da sein Herz keiner einzigen Regung fähig ist? Nur aus Gewohnheit, weil er sonntäglich seine reinen Handschuhe und seinen Stock mit einem silbernen Knopfe auf den Tisch seines Wohnzimmers hingelegt bekömmt und aus Jnstinkt und durch jahrelange Gewohnheit bemerkt, daß dieß das Zeichen zum Kirchgehen ist. Er ist verheirathet (der Lebenswandel seiner Frau ist bekannt), er hat Kinder (glücklicherweise ähneln sie ihm nicht), ja er liest sogar die Times, aber nur aus Dummheit, ähnlich jenem Hogarth&#x2019;schen Zeitungsleser, der sich an dem Lichte seinen Hut verbrennt. Ueber die Annoncen, über die Kutschen, die zu kaufen, über die Ammen, die zu miethen, kurz über diese Alltagsallwissenheit der Times, die größer ist, als ihre übrige politische Weisheit, kömmt er nicht hinaus. Alles zusammengenommen, stellt Master Caliban doch immer nichts Anders in der Welt vor, als den rohsten Urstoff, aus welchem das erste Gestell der übrigen Menschen gebildet wurde. Er ist die abolute Materie.</p>
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[175/0203] ist Fraß, ist thierisches Brüten und Liegen auf den Rindsvierteln, die sein Riesenmagen aufnehmen kann. Sein Herz ist so sehr von Fett umwickelt, daß er ein Narr geworden wäre, wenn nicht zufällig sein behagliches Daseyn ihn von eitler Casuistik der Umstände, von jeder Nothwendigkeit, hier oder da einen Entschluß zu fassen, befreit hätte. Und dieser Mann geht in die Kirche! Wie kann er dieß, da sein Herz keiner einzigen Regung fähig ist? Nur aus Gewohnheit, weil er sonntäglich seine reinen Handschuhe und seinen Stock mit einem silbernen Knopfe auf den Tisch seines Wohnzimmers hingelegt bekömmt und aus Jnstinkt und durch jahrelange Gewohnheit bemerkt, daß dieß das Zeichen zum Kirchgehen ist. Er ist verheirathet (der Lebenswandel seiner Frau ist bekannt), er hat Kinder (glücklicherweise ähneln sie ihm nicht), ja er liest sogar die Times, aber nur aus Dummheit, ähnlich jenem Hogarth’schen Zeitungsleser, der sich an dem Lichte seinen Hut verbrennt. Ueber die Annoncen, über die Kutschen, die zu kaufen, über die Ammen, die zu miethen, kurz über diese Alltagsallwissenheit der Times, die größer ist, als ihre übrige politische Weisheit, kömmt er nicht hinaus. Alles zusammengenommen, stellt Master Caliban doch immer nichts Anders in der Welt vor, als den rohsten Urstoff, aus welchem das erste Gestell der übrigen Menschen gebildet wurde. Er ist die abolute Materie. Sir Ariel und Lord Abstrakt würden es ihrerseits sehr übel nehmen, wenn sie wüßten – und sie werden

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Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/203>, abgerufen am 25.04.2024.