Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

verstand sie, einige Wochen darauf war sie verheirathet. Ein Jahr später starb sie im Kindbette.

Den Schmerz dieser Geschichte kann man fühlen, wenn man nur ein Herz hat; aber die ganz eigenthümliche heilige Weihe, die auf ihr liegt, versteht man nur, wenn man dabei Wilsons lächelnde Resignation auf einem hinreißend einnehmenden Antlitze sieht, wie er fast beschämt, fast jungfräulich sein Auge niederschlägt und eine Thräne nicht zu bemerken scheint, die ihm zwischen seinen schwarzen Augenwimpern hängen bleibt! Wilson ist jetzt seit zwanzig Jahren verheirathet. Es war Pflicht der Dankbarkeit, die ihn bestimmte, einem Frauenzimmer seine Hand zu geben, das ihn anbetete (er war schön), und das ihn doch verschmähte. Ein eignes Verhältniß! Sophiens Eltern waren einfach genug, aber sie zogen eine ansehnliche Pension, die sie durch irgend einen Zufall mit der von Wilson nur mühsam ernährten Passamentirfamilie theilten. Dieß edle Verhältniß währte lange Zeit hindurch. Wilson bekam freie Hand. Er warf sich auf die Kaufmannschaft und trat, durch seine Kenntnisse und seine imponirende Gestalt empfohlen, sogleich in eine große Handlung ein. Für seine Eltern war gesorgt. Sophie wurde darüber dreißig Jahr: es verstand sich von selbst, daß Wilson die stillschweigende Verpflichtung hatte, sie zu heirathen. Sie sträubte sich, weil sie einen starken, fast männlichen Charakter hatte. Er, weil er sie nicht lieben konnte. Endlich verbanden sie sich, ohne Rücksprache, ohne vor dem Altar sich

verstand sie, einige Wochen darauf war sie verheirathet. Ein Jahr später starb sie im Kindbette.

Den Schmerz dieser Geschichte kann man fühlen, wenn man nur ein Herz hat; aber die ganz eigenthümliche heilige Weihe, die auf ihr liegt, versteht man nur, wenn man dabei Wilsons lächelnde Resignation auf einem hinreißend einnehmenden Antlitze sieht, wie er fast beschämt, fast jungfräulich sein Auge niederschlägt und eine Thräne nicht zu bemerken scheint, die ihm zwischen seinen schwarzen Augenwimpern hängen bleibt! Wilson ist jetzt seit zwanzig Jahren verheirathet. Es war Pflicht der Dankbarkeit, die ihn bestimmte, einem Frauenzimmer seine Hand zu geben, das ihn anbetete (er war schön), und das ihn doch verschmähte. Ein eignes Verhältniß! Sophiens Eltern waren einfach genug, aber sie zogen eine ansehnliche Pension, die sie durch irgend einen Zufall mit der von Wilson nur mühsam ernährten Passamentirfamilie theilten. Dieß edle Verhältniß währte lange Zeit hindurch. Wilson bekam freie Hand. Er warf sich auf die Kaufmannschaft und trat, durch seine Kenntnisse und seine imponirende Gestalt empfohlen, sogleich in eine große Handlung ein. Für seine Eltern war gesorgt. Sophie wurde darüber dreißig Jahr: es verstand sich von selbst, daß Wilson die stillschweigende Verpflichtung hatte, sie zu heirathen. Sie sträubte sich, weil sie einen starken, fast männlichen Charakter hatte. Er, weil er sie nicht lieben konnte. Endlich verbanden sie sich, ohne Rücksprache, ohne vor dem Altar sich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0036" n="8"/>
verstand sie, einige Wochen darauf war sie verheirathet. Ein Jahr später starb sie im Kindbette.</p>
        <p>Den Schmerz dieser Geschichte kann man fühlen, wenn man nur ein Herz hat; aber die ganz eigenthümliche heilige Weihe, die auf ihr liegt, versteht man nur, wenn man dabei Wilsons lächelnde Resignation auf einem hinreißend einnehmenden Antlitze sieht, wie er fast beschämt, fast jungfräulich sein Auge niederschlägt und eine Thräne nicht zu bemerken scheint, die ihm zwischen seinen schwarzen Augenwimpern hängen bleibt! Wilson ist jetzt seit zwanzig Jahren verheirathet. Es war Pflicht der Dankbarkeit, die ihn bestimmte, einem Frauenzimmer seine Hand zu geben, das ihn anbetete (er war schön), und das ihn doch verschmähte. Ein eignes Verhältniß! Sophiens Eltern waren einfach genug, aber sie zogen eine ansehnliche Pension, die sie durch irgend einen Zufall mit der von Wilson nur mühsam ernährten Passamentirfamilie theilten. Dieß edle Verhältniß währte lange Zeit hindurch. Wilson bekam freie Hand. Er warf sich auf die Kaufmannschaft und trat, durch seine Kenntnisse und seine imponirende Gestalt empfohlen, sogleich in eine große Handlung ein. Für seine Eltern war gesorgt. Sophie wurde darüber dreißig Jahr: es verstand sich von selbst, daß Wilson die stillschweigende Verpflichtung hatte, sie zu heirathen. Sie sträubte sich, weil sie einen starken, fast männlichen Charakter hatte. Er, weil er sie nicht lieben konnte. Endlich verbanden sie sich, ohne Rücksprache, ohne vor dem Altar sich
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[8/0036] verstand sie, einige Wochen darauf war sie verheirathet. Ein Jahr später starb sie im Kindbette. Den Schmerz dieser Geschichte kann man fühlen, wenn man nur ein Herz hat; aber die ganz eigenthümliche heilige Weihe, die auf ihr liegt, versteht man nur, wenn man dabei Wilsons lächelnde Resignation auf einem hinreißend einnehmenden Antlitze sieht, wie er fast beschämt, fast jungfräulich sein Auge niederschlägt und eine Thräne nicht zu bemerken scheint, die ihm zwischen seinen schwarzen Augenwimpern hängen bleibt! Wilson ist jetzt seit zwanzig Jahren verheirathet. Es war Pflicht der Dankbarkeit, die ihn bestimmte, einem Frauenzimmer seine Hand zu geben, das ihn anbetete (er war schön), und das ihn doch verschmähte. Ein eignes Verhältniß! Sophiens Eltern waren einfach genug, aber sie zogen eine ansehnliche Pension, die sie durch irgend einen Zufall mit der von Wilson nur mühsam ernährten Passamentirfamilie theilten. Dieß edle Verhältniß währte lange Zeit hindurch. Wilson bekam freie Hand. Er warf sich auf die Kaufmannschaft und trat, durch seine Kenntnisse und seine imponirende Gestalt empfohlen, sogleich in eine große Handlung ein. Für seine Eltern war gesorgt. Sophie wurde darüber dreißig Jahr: es verstand sich von selbst, daß Wilson die stillschweigende Verpflichtung hatte, sie zu heirathen. Sie sträubte sich, weil sie einen starken, fast männlichen Charakter hatte. Er, weil er sie nicht lieben konnte. Endlich verbanden sie sich, ohne Rücksprache, ohne vor dem Altar sich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-09-13T12:39:16Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-09-13T12:39:16Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/36
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/36>, abgerufen am 19.04.2024.