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Hackländer, Friedrich Wilhelm: Zwei Nächte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 109–174. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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gegangen; aber giebt es denn auch ein liebenswürdigeres, kleineres, tolleres Geschöpf, als Julietta? und so graziös, und eine so große Künstlerin? Ach, daß sie nicht Prima Ballerina ist, daran ist bei Gott nur ihre Bescheidenheit Schuld. Und wie mich das kleine Ding liebt! Kam sie nicht, als von der gemeinschaftlichen Reise die Rede war, ungeschminkt auf die Bühne, bleich wie der personifizierte Jammer, so daß sogar der alle Oberst, der ihr so lange vergeblich nachgestiegen, zu mir sagte: Aber können Sie bei dem Anblick ans Reisen denken?

Und du dachtest auch ferner nicht mehr daran, sagte der Dragoneroffizier lachend und ließ eine blaue Wolke kerzengerade in die Höhe steigen: du opfertest fort und fort auf dem Altare deiner Göttin, bis --

Du ihr die famose Reise geopfert hattest, unterbrach ihn Graf S., worauf im Gespräch eine kleine Pause eintrat, während welcher die Kaffeetassen und Sporen klirrten, wenn einer trank oder die Füße in eine andere Lage brachte.

Die Zeiten sind aber auch gar zu langweilig, sprach nach einiger Zeit der Infanterieoffizier; ein ewiges Friedens - und Garnisonsleben, Rekruten exerciren und mit der Wiche aufziehen. Man ist wahrhaftig gezwungen, sich eine andere Unterhaltung zu verschaffen, wenn man nicht geistig zu Grunde gehen will. Ich habe nun einmal für Tänzerinnen keine Leidenschaft und kein Geld, und muß mich schon mit einer anderen

gegangen; aber giebt es denn auch ein liebenswürdigeres, kleineres, tolleres Geschöpf, als Julietta? und so graziös, und eine so große Künstlerin? Ach, daß sie nicht Prima Ballerina ist, daran ist bei Gott nur ihre Bescheidenheit Schuld. Und wie mich das kleine Ding liebt! Kam sie nicht, als von der gemeinschaftlichen Reise die Rede war, ungeschminkt auf die Bühne, bleich wie der personifizierte Jammer, so daß sogar der alle Oberst, der ihr so lange vergeblich nachgestiegen, zu mir sagte: Aber können Sie bei dem Anblick ans Reisen denken?

Und du dachtest auch ferner nicht mehr daran, sagte der Dragoneroffizier lachend und ließ eine blaue Wolke kerzengerade in die Höhe steigen: du opfertest fort und fort auf dem Altare deiner Göttin, bis —

Du ihr die famose Reise geopfert hattest, unterbrach ihn Graf S., worauf im Gespräch eine kleine Pause eintrat, während welcher die Kaffeetassen und Sporen klirrten, wenn einer trank oder die Füße in eine andere Lage brachte.

Die Zeiten sind aber auch gar zu langweilig, sprach nach einiger Zeit der Infanterieoffizier; ein ewiges Friedens - und Garnisonsleben, Rekruten exerciren und mit der Wiche aufziehen. Man ist wahrhaftig gezwungen, sich eine andere Unterhaltung zu verschaffen, wenn man nicht geistig zu Grunde gehen will. Ich habe nun einmal für Tänzerinnen keine Leidenschaft und kein Geld, und muß mich schon mit einer anderen

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:37:05Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:37:05Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Hackländer, Friedrich Wilhelm: Zwei Nächte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 109–174. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hacklaender_naechte_1910/10>, abgerufen am 19.04.2024.